§ 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.
§ 252 BGB
Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
§ 280 Abs. 1 BGB
Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
§ 293 BGB
Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt.
§ 296 BGB
Ist für die von dem Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, so bedarf es des Angebots nur, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitig vornimmt. Das Gleiche gilt, wenn der Handlung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Handlung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt.
§ 305c BGB
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.
§ 615 BGB
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
§ 4 Abs. 2 Satz 1 Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ)
Der Zahnarzt kann Gebühren nur für selbständige zahnärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht wurden (eigene Leistungen).
§ 4 Abs. 2 Satz 1Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)
Der Arzt kann Gebühren nur für selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht wurden (eigene Leistungen).
I.
Ausweislich statistischer Erhebungen betrug der durchschnittliche Minutenkostensatz einer zahnärztlichen Modellpraxis in den Jahren 2021-2023 6,10 Euro (Quelle: prognos AG, aus Statistisches Jahrbuch der Bundeszahnärztekammer 2022/2023).
Dieser Betrag variiert in Abhängigkeit von der individuellen betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der einzelnen Praxis.
Die Kosten entstehen im Wesentlichen auch dann, wenn in einem dafür bestimmten Zeitraum eine geplante Behandlung nicht stattfindet.
Sofern die Nichtvornahme der Behandlung auf ein unangekündigtes Ausbleiben des Patienten zurückzuführen ist, stellt sich die Frage nach der Kompensation des finanziellen Schadens für die Praxis.
Juristische Kommentare und die zu dieser Problematik ergangene Rechtsprechung sind uneinheitlich hinsichtlich des Anspruchs überhaupt, und, im Falle eines bestätigten Anspruchs, im Hinblick auf die Art und Weise, in der das Ausfallhonorar zu ermitteln ist.
Auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH Az.: III ZR 78/21 vom 12.05.2022) schafft keine abschließende Klarheit:
Der BGH befindet zwar, dass die Regelungen des § 615 Anwendung auf Behandlungsverträge finden. § 615 BGB besagt, dass der Zahnarzt, sofern er im vereinbarten Zeitraum bereit zur Leistungserbringung war, finanziell so zu stellen ist, als hätte er die geplante Leistung erbracht, also seinen Teil des Behandlungsvertrages erfüllt hat. Juristisch handelt es sich dabei um die „Erfüllung positiven Interesses“.
(Anm.: Andere Quellen erkennen einen Anspruch auf „Ersatz des negativen Interesses“: Da der Patient als Vertragspartner verpflichtet ist, Rücksicht auf die wirtschaftlichen Belange des Zahnarztes zu nehmen (§ 241 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB), kann er bei Nicht-Einhaltung des Termins zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet werden).
Nach Auffassung des BGH verbietet sich jedoch hinsichtlich der kalendermäßigen Bestimmung des Behandlungstermins (s.u.) eine schematische Betrachtungsweise. Bei der Entscheidungsfindung seien vielmehr sämtliche Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere die Interessen der Parteien, die Art der Terminorganisation und deren Erkennbarkeit für den Patienten zu berücksichtigen.
II.
Aus bisher bekannt gewordener Rechtsprechung lassen sich Voraussetzungen und Umstände ableiten, die den Anspruch auf ein Ausfallhonorar zwar nicht in jedem Fall sicherstellen, aber doch wahrscheinlich machen:
- Es muss sich um eine Bestellpraxis mit Terminvorlauf handeln, d.h. die Terminvereinbarung darf nicht nur organisatorischen Zwecken der Praxis dienen, sondern die Terminvereinbarung verfolgt den Zweck, dem Patienten eine Behandlung, die eine gewisse, nicht unerhebliche Dauer beansprucht, zu einem bestimmten Zeitpunkt zuzusichern. Unter diesen Bedingungen handelt es sich gemäß § 296 BGB um einen „kalendermäßig bestimmten“ Termin.
Durch das unentschuldigte Fernbleiben des Patienten gerät dieser dann gemäß § 293 BGB in „Annahmeverzug“, dadurch entsteht ein Anspruch des Zahnarztes gegenüber dem Patienten.
Erfolgt in der Praxis jedoch trotz vereinbarter Termine die Behandlung von Patienten z.B. in der Reihenfolge des Eintreffens, werden des Öfteren vereinbarte Termine vom Zahnarzt nicht eingehalten oder Termine mehrfach vergeben, kann von einer kalendermäßigen Bestimmung nicht ausgegangen und somit ein Anspruch gegenüber dem Patienten nicht begründet werden.
- Der Patient muss vorab darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass der vereinbarte Termin und Zeitraum ausschließlich für seine Behandlung reserviert ist.
Diese individuelle Information kann, vom Patienten unterzeichnet, bereits im Anmelde-/Anamnesebogen, unmittelbar bei der Terminvereinbarung gesondert in einem Schriftstück oder im Heil- und Kostenplan für die beabsichtigte Behandlung erfolgen.
Der Hinweis auf das Ausfallhonorar sollte nicht als „Kleingedrucktes“ erfolgen, sondern optisch hervorgehoben.
Das AG Nettetal(Az.: 17 C 71/03 vom 12.09.2006) hat zum Beispiel folgende Formulierung in einer Behandlungsvereinbarung für wirksam erklärt:
"Sie kommen zur Zahnarztbehandlung in eine Praxis, die nach dem Bestellsystem geführt wird. Dies bedeutet, dass die vereinbarte Zeit ausschließlich für Sie reserviert ist und Ihnen hierdurch in der Regel die anderorts vielfach üblichen Wartezeiten erspart bleiben.
Dies bedeutet jedoch auch, dass sie, wenn sie vereinbarte Termine nicht einhalten können, diese spätestens 48 Stunden vorher absagen müssen, damit wir die für sie vorgesehene Zeit noch anderweitig verplanen können. Bei Präparationsterminen im Zusammenhang mit Kronen oder Zahnersatzarbeiten bitten wir sogar um eventuelle Absage spätestens 5 Arbeitstage im Voraus.
Diese Vereinbarung dient nicht nur der Vermeidung von Wartezeiten im organisatorischen Sinne, sondern begründet zugleich beiderseitige vertragliche Pflichten. So kann Ihnen, wenn Sie den Termin nicht rechtzeitig absagen, die vorgesehene Zeit und die Vergütung bzw. die ungenutzte Zeit gemäß § 615 BGB in Rechnung gestellt werden, es sei denn, an dem Versäumnis des Termins trifft Sie kein Verschulden. Es wird vereinbart, dass ansonsten Annahmeverzug dadurch eintritt, dass der vereinbarte Termin nicht fristgerecht abgesagt und eingehalten wird. ..."
- Gemäß § 293 BGB gerät der Patient zwar auch dann in Annahmeverzug, wenn er die Gründe hierfür nicht zu vertreten hat (so z.B. AG Mannheim (Az.: 19 C 293/04 vom 28.09.2004), nach einer Entscheidung des LG Berlin(Az.: 55 S 310/04 vom 15.04.2005) hat eine derartige Vereinbarung jedoch nur dann Bestand, wenn dem Patienten eine Entlastungsmöglichkeit für unverschuldetes Nichterscheinen eingeräumt wird.
- Dem Patienten muss auch eine vom Anspruch befreiende Frist zur Absage des Behandlungstermins eingeräumt werden.
Die Dauer der zu setzenden Frist kann sich an praxisindividuellen Erfordernissen ausrichten.
Bei übermäßig ausgedehnten Fristen besteht allerdings die Gefahr, dass diese vom Gericht als unangemessen lang bewertet werden.
Eine 24-Stunden-Frist wird bestätigt durch u.a. das AG Düsseldorf (Az.: 48 C 17511/00 vom 18.02.2003) und das AG Fulda (Az.: 34 C 120/02 vom 16.05.2002).
Es ist zu gewährleisten, dass die Praxis auch tatsächlich auf den üblichen Kommunikationswegen erreichbar ist, was Probleme z.B. bei einem an einem Montag vereinbarten Termin bereiten kann.
- Es sollte darüber hinaus auch der dokumentierte Nachweis geführt werden, dass es trotz entsprechender Anstrengungen nicht gelungen ist, andere Patienten in dem in Rede stehenden Zeitraum zu behandeln.
Der Zahnarzt muss sich jedoch nicht auf Verwaltungs- oder sonstige Tätigkeiten verweisen lassen, die nicht mit einer Vergütung verknüpft sind (AG Hameln Az.: 21 C 199/01 [4b] vom 07.09.2001).
- Der Anspruch des Zahnarztes kann hinfällig werden, wenn bei kurzfristiger Absage des Patienten unmittelbar und einvernehmlich ein neuer Termin zur Durchführung der geplanten Behandlung vereinbart wird (OLG Stuttgart Az.: 1 U 154/06 vom 17.04.2007), da in diesem Fall von einer kalendermäßigen Bestimmung des ursprünglichen Termins nicht auszugehen ist.
- Folgende Urteile bestätigen den Anspruch des Zahnarztes auf ein Ausfallhonorar:
LG Dortmund Az.: 17 S 175/92 vom 12.11.1992
LG Konstanz Az.: 1 S 237/93 vom 27.05.1994
AG Wetter Az.: 8 C 197/04 vom 31.10.1994
AG Bremen Az.: 24 C 72/95 vom 02.06.1995
LG Hannover Az.: 19 S 34/97 vom 11.06.1998
AG Münster Az.: 49 C 6135/99 vom 11.05.2000
AG Fulda Az.: 34 C 120/02 (D) vom 16.05.2002
AG Düsseldorf Az.: 48 C 17511/00 vom 18.02.2003
LG Itzehoe Az.: 1 S 264/02 vom 06.05.2003
AG Neukölln Az.: 4 C 179/04 vom 07.10.2004
AG Wetzlar Az.: 32 C 1826/03 vom 09.12.2004
LG Berlin Az.: 55 S 310/04 vom 15.04.2005
AG Viersen Az.: 17 C 199/05 vom 30.12.2005
AG Nettetal Az.: 17 C 71/03 vom 12.09.2006
AG Mannheim Az.: 12 C 40/06 vom 15.12.2006
AG Dresden Az.: 107 C 5428/09 vom 28.01.2010
AG Düsseldorf Az.: 52 C 4822/13 vom 18.11.2013
AG Bielefeld Az.: 411 C 3/17 vom 10.02.2017
III.
Zur Ermittlung der Höhe des Schadenersatzanspruchs erscheinen unterschiedliche Verfahren geeignet:
- Es werden – lediglich kalkulatorisch – die Gebühren der Leistungen zugrunde gelegt, die an dem betreffenden Termin erbracht worden wären und danach in einen Eurobetrag umgewandelt.
Die unmittelbare Berechnung einer zahnärztlichen Gebühr nach den Bestimmungen von GOZ oder GOÄ ist aufgrund § 4 Abs. 2 GOZ/GOÄ nicht möglich, da die Leistung ja tatsächlich nicht erbracht wurde.
Gemäß § 615 BGB sind diejenigen Aufwendungen in Abzug zu bringen, die durch die nicht erfolgte Erbringung der Leistung nicht angefallen sind (AG Mainz, Az.: 86 C 308/96 vom 18.09.1997). - Es wird – unter Zuhilfenahme des Steuerberaters – gemäß § 252 BGB der durchschnittliche Praxisgewinn, bezogen auf die geplante Dauer des Behandlungstermins, in Rechnung gestellt.
- Es wird der Stundenkostensatz der Praxis zugrunde gelegt (LG Hannover, Az.: 19 S 34/97 vom 11.06.1998).
- Es wird mit dem Patienten ein angemessener, individuell bestimmter Betrag für den Fall seines Nichterscheinens vereinbart.
Die unterschiedlichen Verfahren können durchaus unterschiedliche Ergebnisse zeitigen. Dennoch sollte im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung in jedem Fall eine fallbezogene, individuell ermittelte Schadenshöhe vorgetragen werden, um das Gericht nicht zu eigenen, u.U. nicht sachgerechten Schätzungen zu veranlassen.