Kosten für die Kopie einer Patientenakte

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Ausschuss Gebührenrecht der Bundeszahnärztekammer


§ 12 Abs. 4 Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer (MBO) Zahnärztliche Dokumentation

Der Zahnarzt hat dem Patienten auf dessen Verlangen in die ihn betreffenden zahnärztlichen Dokumentationen Einsicht zu gewähren. Auf Verlangen sind dem Patienten Kopien der Unterlagen gegen Erstattung der Kosten herauszugeben.

 § 630g Abs. 1 BGB Einsichtnahme in die Patientenakte

Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. § 811 ist entsprechend anzuwenden.

§ 630g Abs. 2 BGB Einsichtnahme in die Patientenakte

Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.

§ 662 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Vertragstypische Pflichten beim Auftrag

Durch die Annahme eines Auftrags verpflichtet sich der Beauftragte, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen.

§ 670 BGB Ersatz von Aufwendungen

Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet.

§ 7 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) Ersatz für sonstige Aufwendungen

Für die Anfertigung von Kopien und Ausdrucken werden ersetzt

1.  bis zu einer Größe von DIN A3 0,50 Euro je Seite für die ersten 50 Seiten und 0,15 Euro für jede weitere Seite, …

§ 7 Abs. 3 JVEG

Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien anstelle der in Absatz 2 genannten Kopien und Ausdrucke werden 1,50 Euro je Datei ersetzt. Für die in einem Arbeitsgang überlassenen oder in einem Arbeitsgang auf denselben Datenträger übertragenen Dokumente werden höchstens 5 Euro ersetzt.

Art. 12 Abs. 5 DSGVO

Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 sowie alle Mitteilungen und Maßnahmen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34 werden unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person kann der Verantwortliche entweder

  1. ein angemessenes Entgelt verlangen, bei dem die Verwaltungskosten für die Unterrichtung oder die Mitteilung oder die Durchführung der beantragten Maßnahme berücksichtigt werden, oder
  2. sich weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden.

 Der Verantwortliche hat den Nachweis für den offenkundig unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen.

Artikel 15 Abs. 3 Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 vom 27.04.2016 (DSGVO)

Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen. Stellt die betroffene Person den Antrag elektronisch, so sind die Informationen in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen, sofern sie nichts anderes angibt.

Artikel 15 Abs. 4 DSGVO

Das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Absatz 3 darf die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen.

Artikel 23 Abs 1 DSGVO

Durch Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, denen der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter unterliegt, können die Pflichten und Rechte gemäß den Artikeln 12 bis 22 und Artikel 34 sowie Artikel 5, insofern dessen Bestimmungen den in den Artikeln  12 bis 22 vorgesehenen Rechten und Pflichten entsprechen, im Wege vonGesetzgebungsmaßnahmen beschränkt werden, sofern eine solche BeschränkungdenWesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die Folgendes sicherstellt:

i) den Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen;


I.

§ 12 Abs. 4 MBO-Zahnärzte verpflichtet den Zahnarzt, dem Patienten auf dessen Verlangen hin Einsicht in die ihn betreffenden Behandlungsunterlagen zu gewähren und gegen Erstattung der hierdurch entstehenden Kosten Kopien der Behandlungsunterlagen auszuhändigen.

Basierend auf deutschem Recht war gesetzliche Grundlage des Anspruchs auf Erstattung der durch die Kopien entstehenden Kosten § 670 BGB, der den Auftraggeber (Patient) bei Aufträgen im Sinne § 662 BGB verpflichtete, dem Auftragnehmer (Zahnarzt) diese Kosten zu erstatten.

Mit Inkrafttreten des „Patientenrechtegesetzes“ wurde nicht nur das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in die Patientenakte in § 630g Abs. 1 BGB normiert, sondern in § 630g Abs. 2 BGB auch dessen Verpflichtung, die Kosten für die Kopien an den Zahnarzt zu erstatten.

Als angemessene Kosten wurden in Anlehnung an § 7 Abs. 1 und 3 JVEG die dort bestimmten Kosten für physische und elektronische Kopien gerichtlich (vgl. u.a. AG Saarbrücken Az.: 36 C 802/94 vom 30.01.1995; AG Frankfurt am Main Az.: 30 C 1340/98-47 vom 16.10.1998) als angemessen erachtet und im allgemeinen Geschäftsverkehr akzeptiert.
 

II.

Im Unterschied zur vorstehenden rechtlichen Einordnung nach nationalem Recht sieht Artikel 15 Abs. 3 der europäischen DSGVO vor, dass die erste Kopie der personenbezogenen Daten (Patientenakte) dem Antragsteller (Patient) vom Datenschutzverantwortlichen (in der Regel der Zahnarzt) entgeltfrei zur Verfügung gestellt werden muss.

Nachdem der Bundesgerichtshof (Az.: VI ZR 1352/20 vom 29.03.2022) in einem beim 6. Senat anhängigen Verfahren einen Widerspruch von nationalem zu europäischem Recht erkannte, richtete er an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Vorlagefragen zur Klärung u.a. „der Reichweite des unionsrechtlichen Anspruchs auf kostenfreie Zurverfügungstellung einer ersten Kopie seiner (der) in der Patientenakteverarbeiteten personenbezogenen Daten und der möglichen Beschränkung dieses Anspruchs durch § 630g Abs. 2 BGB“.

Der EuGH (Az.: C 307/22 vom 26.10.2023) entschied, dass die Pflicht des Datenschutzverantwortlichen, der betroffenen Person eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten kostenfrei zur Verfügung zu stellen, nicht nur dann besteht, wenn der Antrag datenschutzrechtlichen Gründen folgt, sondern auch dann, wenn die Ausfertigung der ersten Kopie anderen Zwecken dient. Für weitere Kopien auf Verlangen des Patienten könne der Zahnarzt jedoch ein angemessenes Entgelt verlangen.

In dem vorstehend bezeichneten Verfahren beim BGH vermutete der Patient einen Behandlungsfehler, zu dessen Aufklärung er eine Kopie der Patientenakte beanspruchte.

Des Weiteren führte der EuGH aus, dass Artikel 23 Abs. 1 Buchstabe i DSGVO zwar grundsätzlich eine Abweichung von dieser Auslegung durch nationale Regelungen gestatte, wirtschaftliche Interessen des Datenschutzverantwortlichen jedoch nicht geeignet seien, eine derartige Abweichung zu rechtfertigen.

Das im Verhältnis zu nationalem Recht höherrangige Recht der Europäischen Union i.V.m. der Entscheidung des EuGH hat zur Folge, dass eine erste Kopie der Patientenakte dem Patienten auf dessen Verlangen kostenlos zur Verfügung zu stellen ist.
 

III.

Die Entscheidung des EuGH würdigt ausschließlich die an den datenschutzrechtlichen und dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ausgerichteten Regelungen der DSGVO ohne Berücksichtigung anderer rechtlicher Aspekte.

Die DSGVO selbst sieht in Artikel 15 Abs. 4 DSGVO vor, dass das Recht auf Erhalt einer kostenlosen Kopie das Recht und die Freiheit anderer Personen nicht beeinträchtigen darf. Der EuGH erachtet jedoch offenkundig die wirtschaftlichen Belange und Eingriffe in das Eigentum des Zahnarztes als nicht schutzwürdig.

Auf Grund dieser Negierung der Rechte Dritter lehnt der EuGH auch die durch Art. 23 Abs. 1 DSGVO vorgesehene Beschränkung des Rechts auf eine kostenlose Kopie der Patientenakte durch auch nationales Recht ab.

Die Bestimmung des § 12 Abs. 5 DSGVO, bei offenkundig unbegründeter Anforderung einer ersten Kopie ein angemessenes Entgelt verlangen zu können, läuft infolge der Entscheidung des EuGH ins Leere, da einerseits a.a.O. die Nachweispflicht für die Unbegründetheit dem Zahnarzt auferlegt wird und der EuGH andererseits ausführt:

„Die unentgeltliche Zurverfügungstellung einer ersten Kopie der personenbezogenen Daten ist weder nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 5 noch dem von Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO davon abhängig, dass diese Personen ihren Antrag begründen. Diese Bestimmungen ermöglichen dem Verantwortlichen demnach nicht, für den Auskunftsantrag der betroffenen Person eine Begründung zu verlangen.“ (Rd. Nummer 100 der Entscheidungsgründe).


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