Adhäsive Befestigung von Brackets; AG Saarbrücken

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

Die adhäsive Befestigung nach der Geb.-Nr. 2197 GOZ ist neben der Geb.-Nr. 6100 GOZ berechenbar.

Urteilstext


Tenor

Das Amtsgericht Saarbrücken hat im schriftlichen Verfahren nach dem Sach- und Streitstand vom 27.06.2014 für Recht erkannt:

I.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 390,42 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 376,96 seit dem 04.01.2014 und aus weiteren EUR 13,46 seit dem 06.02.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt 43,6 % und die Beklagte 56,4 % der Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

III.

Dem Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10 % über den jeweils beizutreibenden Beträgen vorläufig abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Berufung wird zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger unterhält für sich und seinen minderjährigen Sohn bei der Beklagten eine private Krankenvollversicherung; vereinbart sind die MBKK i. V. m. den speziellen Tarifvereinbarungen, bezüglich des Sohnes nach dem Tarif VZ 110. Für zahnärztliche Behandlung besteht nach dem Tarif ein Anspruch auf Erstattungsleistung in Höhe von 100 % und bei Zahnersatz und Kieferorthopädie zu 80 %.

Mit der Klage begehrt der Kläger Zahlung von restlichen Kosten wegen Behandlung des Sohnes in einer kieferorthopädischen Praxis.

Mit Rechnung vom 03.09.2013 stellte der Zahnarzt orthopädische Behandlungen am 20.8.2013 über einen Betrag in Höhe von EUR 898,94 in Rechnung. Mit Rechnung vom 01.10.2013 werden ebenfalls Behandlungen am 20.08.2013 und am 17.09.2013 mit einem Betrag in Höhe von insgesamt EUR 991,15 in Rechnung gestellt. Die Beklagte kürzte die Kosten hinsichtlich der in Rechnung gestellten GOZ Ziff. 2197 in Höhe von insgesamt EUR 470,96.

Auf die Rechnung des behandelnden Arztes vom 03.12.2013 über einen Betrag in Höhe von EUR 233,23 erstattete die Beklagte einen Betrag in Höhe von EUR 12,21. Eine Erstattung der Behandlung unter der GOZ 2197 und Ä 2702 lehnte sie ab.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein Betrag in Höhe von EUR 691,98 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von EUR 470,96 seit dem 04.01.2014 und aus einem Betrag von EUR 221,02 seit dem 06.02.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen das Sitzungsprotokoll verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der Liquidation des Zahnarztes vom 03.09.2013, 01.10.2013 und 03.12.2013 gemäß § 1 Abs. 2 MBKK i. V. m. den tariflichen Bedingungen in Höhe von insgesamt EUR 390,42 zu.

Unstreitig ist ein Versicherungsfall im Sinne des §§ 1 Abs. 2 MBKK gegeben, da eine medizinisch notwendige Heilbehandlung des versicherten Kindes wegen einer Krankheit erfolgt ist. Sämtliche Maßnahmen waren nach objektiven medizinischen Erkenntnissen zur Zeit des Versicherungsfalles notwendig.

Weiterhin wird vorausgesetzt, dass dem behandelnden Zahnarzt aufgrund des Behandlungsvertrages ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Kosten zusteht. Die Krankenversicherung als „Passivenversicherung" verpflichtet den Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer zum Ersatz derjenigen Aufwendungen, die ihm unter Bezug auf das versicherte Risiko zur Ablösung aus der Verpflichtung aus berechtigten Ansprüchen Dritter erwachsen sind. Nach dem versicherten Risiko im Tarif VZ 110 sind erstattungsfähig die im Rahmen einer zahnärztlichen Versorgung verbleibenden Aufwendungen für Zahnersatz und Kieferorthopädie zu 80 %.

Vorliegend wurden bei dem Sohn des Klägers kieferorthopädische Maßnahmen durchgeführt, sodass die Rechnung insgesamt von vornherein um 80 % zu kürzen war.

Die Versicherungsbedingungen sind allgemeine Geschäftsbedingungen. Sie sind so auszulegen, wie ein verständiger Erklärungsempfänger sie vernünftigerweise verstehen dürfte. Danach besteht vorliegend ein Erstattungsanspruch, wenn der Zahnarzt eine nach Maßgabe der GOZ erstellte Liquidation zur Zahlung vorgelegt hat. Auszugehen ist dementsprechend von den gesetzlich normierten GOZ-Vorschriften. Nur solange und soweit die Zahlungsverpflichtung des Zahnarztes gegenüber dem Versicherungsnehmer besteht, kann eine Erstattungsverpflichtung ausgelöst sein.

I.

Rechnungen vom 03.09.2013 und 01.10.2013

Der Zahnarzt hat zwar zwei Rechnungen erstellt. Da die Behandlungen im Wesentlichen am 20.08.2013 erfolgten, sind die Rechnungen insofern einer Gesamtwürdigung zu unterziehen.

Am 20.08.2013 hat der behandelnde Zahnarzt an allen Zähnen des Patienten Klebebrackets mit adhäsiver Befestigung angebracht und diese Behandlung mit der GOZ-Ziff. 2197 (EUR 470,96) und soweit hier interessierend GOZ-Ziff. 6100 in Rechnung gestellt.

Diese Berechnung ist zutreffend.

Die Beklagte verweist zwar zu Recht darauf, dass GOZ-Ziffer 6100 „Eingliederung von Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel" als Behandlungsmaßnahme unter Abschnitt G „kieferorthopädische Leistungen" unter Zugrundelegung des sogenannten Zielleistungsprinzips dahin zu verstehen ist, dass hiermit die Gesamtleistung des Zahnarztes beim Einbringen von Klebebrackets zu verstehen sein könnte.

Allein aus dem verwendeten Wortlaut „Klebebrackets" lässt sich dies jedoch nicht herleiten. Es ist davon auszugehen, dass Brackets ausschließlich durch Kleben, sei es durch Zement oder andere chemisch-physikalische Vorgänge am Zahn befestigt werden. Es handelt sich insofern bei dem Begriff des Klebebrackets um eine Tautologie, d. h. der Begriff Brackets wäre ausreichend. Unter Berücksichtigung des Zielleistungsprinzips wäre die Leistung dementsprechend umfassend und vollständig durch „Eingliederung eines Brackets" beschrieben gewesen.

Der Streitverkündete hat allerdings insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass GOZ-Ziffer 2197 erstmals seit dem Januar 2012 als Zusatzvergütung für eine adhäsive Befestigung vom Gesetzgeber aufgenommen wurde, GOZ-Ziffer 6100 wurde insofern nicht verändert.

Ausgehend von Leistungsbeschreibung und Leistungsvergütung ist GOZ-Ziffer 2197 deshalb aufgenommen worden, um den zusätzlichen Aufwand des Zahnarztes gegenüber hergebrachten Methoden zu vergüten.

GOZ-Ziffer 6100 wäre daher dahin zu verstehen, dass damit der Vorgang des Eingliederns als solcher bezeichnet wird, nicht aber die Art der Befestigung (vgl. Kommentar der Bundeszahnärztekammer zur GOZ Stand 13.08.2013; AG Pankow Urteil vom 10.01.2014 Az. 6 C 46/13; a. A AG Hildesheim Urteil vom 07.02.2014 Az. 81 C 91/13).

Die Auffassung der Beklagten, der Gesetzgeber habe durch die Aufnahme von GOZ-Ziffer 2197 in Abschnitt C „konservierende Leistungen" und nicht in Abschnitt A „allgemeine zahnärztliche Leistungen" deutlich gemacht, dass die besondere Form der Befestigung nur hinsichtlich der Maßnahmen in Abschnitt C anzuwenden sei, teilt das Gericht demnach nicht.

Abschnitt A ist nicht in diesem Sinne zu verstehen, dass er auf alle Anwendungsbereiche Anwendung fände, sondern dort sind Maßnahmen des Arztes beschrieben, die Beratungs- und Vorbereitungshandlungen sowie die Anästhesie sowie einen Zuschlag für den Einsatz eines Mikroskops oder Lasers betreffen, also keine „handwerklichen Leistungen" zum Gegenstand haben. In Abschnitt C sind Maßnahmen beschrieben, die eine besondere Vorgehensweise bei konservierenden Behandlungen beinhalten. Auf eine spezielle Zielrichtung der Behandlung wird hier ebensowenig wie in den anderen Abschnitten abgestellt, es geht vielmehr um die Leistungsbeschreibung. Die Überschrift dient der Zusammenfassung, aber nicht der Ausgrenzung. Die dort beschriebenen Maßnahmen können daher auch auf andere Bereiche angewendet werden (vgl. Kommentar der Bundeszahnärztekammer).

Die Liquidation des Zahnarztes ist daher zutreffend. EUR 470,96 konnten daher eingesetzt werden.

Soweit der Kläger jedoch die Zahlung von EUR 470,96 begehrt, war dieser Betrag von vornherein um 20 % zu kürzen, da es sich um eine kieferorthopädische Maßnahme handelt und daher nur 80 % erstattungsfähig sind. Zu erstatten sind daher EUR 376,96.

II.

Rechnung vom 03.12.2013

1.

GOZ-Ziffer 2197 (EUR16,82)

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten diesbezüglich ein Anspruch auf Erstattung in Höhe von 80 %, also von EUR 13,46 zu. Auf die Ausführung unter Ziffer I wird zurückverwiesen.

2.

Ä2702 „Wiederanbringung einer gelösten Apparatur"

Der Streitverkündete hat klargestellt, dass insofern die Entfernung vom Bögen am 17. September, 07. Oktober und 05. November 2013 in Rechnung gestellt wurden.

Da die Entfernung eines Bogens nicht in der GOZ beschrieben sei, habe er auf die GOÄ zurückgegriffen und eine Analogberechnung durchgeführt.

Die Inrechnungsstellung unter einer Analogberechnung ist vorliegend fehlerhaft.

Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Entfernung von Bögen von jeher durchgeführt wird. Gleichwohl hat der Verordnungsgeber hierfür keine eigene Gebührenposition geschaffen. Die Voraussetzungen einer analogen Bestimmung sind insofern von vornherein nicht gegeben; es gibt keine irrtümliche Gesetzeslücke. Der Verordnungsgeber hat in der amtlichen Begründung insofern ausgeführt: Die Maßnahmen im Sinne der GOZ-Ziffern 6030 bis 6080 erfassen alle Leistungen zu Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraums von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten.

Die Leistung ist daher mit den Kernpositionen 6030 und 6080 abgegolten.

Es besteht daher insgesamt ein Anspruch auf Zahlung von EUR 390,42 (reiner EUR 76,96 + EUR 13,46).

Die Entscheidung wegen der Zinsen ergibt sich aus § 286 BGB.

Die Entscheidung wegen der Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.


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