Adhäsive Befestigung von Brackets ist mit Gebühren-Nr. 2197 GOZ berechenbar

Gericht: Amtsgericht Hildesheim | Aktenzeichen: 81 C 91/13 | Dokumententyp: Urteil | Rechtskraft: nicht rechtskräftig - aufgehoben durch LG Hildesheim Az.: 1 C 15/14
Paragraphen: § 4 - Gebühren
Gebührennummern: 2180, 2190, 2195, 2197, 6100

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

Die Gebühren-Nummer 6100 umfasst nicht die adhäsive Befestigung von Klebebrackets. Deren adhäsive Befestigung ist zusätzlich mit der Gebühren-Nummer 2197 abrechenbar.

Urteilstext


Tenor

1.
Die Klage wird abgewiesen.

2.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4.
Die Berufung wird zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger begehrt Zahlung aufgrund eines Versicherungsvertrages.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung nach dem Tarif Zahn Premium, über die auch sein Sohn versichert ist. Für die Einzelheiten der Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage B1 Bezug genommen. Der Kieferorthopäde behandelte den Sohn des Klägers und brachte 20 Brackets mittels einer adhäsiven Befestigung an.

Mit Rechnung vom ... rechnete der Kieferorthopäde unter anderem die Gebührenziffern 2197 und 6100 nach GOZ für jeweils 20 Zähne ab. Für die Einzelheiten wird auf die Rechnung vom Bezug genommen. Die Beklagte zahlte lediglich die Kosten der Ziffer 6100 und lehnte einen weiteren Ausgleich ab.
Der Kläger behauptet, ein Kleben sei auch durch Glasionomerzement möglich, was keine adhäsive Befestigung sei.

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 219,34 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2013 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 46,41 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, Klebebrackets im Sinne der Gebührenziffer 6100 könnten nur durch Kleben, also stets nur adhäsiv befestigt werden.

Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I.
Die Klage ist unbegründet.

Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 192 Abs. 1 WG erfüllt (§ 362 BGB). Ein darüber hinausgehender Anspruch steht dem Kläger nicht zu, weil es sich bei den zur Gebührenziffer 2197 abgerechneten EUR 219,34 nicht um notwendige Heilbehandlungskosten handelt.
Zumindest im vorliegenden Fall ist die Gebührenziffer 2197 GOZ nicht ansetzbar, weil die hier erbrachte Leistung nicht in den Anwendungsbereich dieser Gebührenziffer fällt. Das ergibt sich nach der Auslegung der Ziffern 2197 und 6100 GOZ. Hierfür kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob eine adhäsive Befestigung bereits von der Leistungsbeschreibung der Ziffer 6100 GOZ erfasst wird. Das ist eine Frage des Zielleistungsprinzips, das in § 4 Abs. 2 Satz 4 GOZ legaldefiniert ist. Dieses setzt jedoch voraus, dass zwei Gebührenziffern überhaupt im Grundsatz auf dieselbe Leistung anwendbar sind. Das ist hier indes nicht der Fall.

Bei der GOZ handelt es sich um ein Gesetz im Sinne von Art. 2 EGBGB.

Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Der objektivierte Wille des Gesetzgebers wird durch die anerkannten Auslegungsmethoden, also Wortlaut der Norm, Systematik, Sinn und Zweck sowie Gesetzesmaterialien und Entstehungsgeschichte erfasst. Die Methoden der Auslegung ergänzen sich gegenseitig, ein unbedingter Vorrang lässt sich keinem Kriterium zuweisen. Aufgabe des Gerichts ist es, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. In keinem Fall darf die richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2883/10, 2555/11, juris, Rz. 66; BGH, Beschluss vom 16.05.2013, II ZB 7/11, juris, Rz. 27).

Dem Kläger ist zuzugeben, dass die Ziffer 2197 „Adhäsive Befestigung (plastischer Aufbau, Stift, Inlay, Krone, Teilkrone, Veneer etc.)" vom Wortlaut her grundsätzlich auch die hier vorgenommene adhäsive Befestigung der Brackets erfassen könnte.

Allerdings spricht bereits die Systematik gegen eine Anwendbarkeit der Ziffer 2197. So steht die Ziffer 2197 im Abschnitt „C. Konservierende Leistungen", die Ziffer 6100 jedoch im Abschnitt „G. Kieferorthopädische Leistungen". Vorliegend ist jedoch unstreitig, dass der Zahnarzt keine konservierende Leistung mit Anbringung der Brackets vorgenommen hat, sondern den behaupteten Mehraufwand einer adhäsiven Befestigung gegenüber einer Klebebefestigung durch andere Mittel abrechnen möchte.

Die Ziffer 2197 bezieht sich jedoch nicht auf andere als konservierende Leistungen. Bereits die bei der Gebührenziffer aufgeführten Beispiele „(plastischer Aufbau, Stift, Inlay, Krone, Teilkrone, Veneer etc.)" beziehen sich nur auf konservierende Leistungen.

Auch der besondere Teil der Entwurfsbegründung für den Referentenentwurf einer
Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte vom 24.03.2011 nennt nur Anwendungsbeispiele für konservierende Leistungen. So heißt es dort auf S. 25:
„Zu den Leistungen nach den Nummern 2180 bis 2197:

Die Leistungen nach den Nummern 2180, 2195 und 2197 können entsprechend den durchgeführten Leistungen auch nebeneinander berechnet werden. [...] Die Leistung nach Nummer 2197 gilt den Mehraufwand für eine adhäsive Befestigung z. B. eines plastischen Aufbaumaterials (Nummer 2180) oder eines Schraubenaufbau bzw. Glasfaserstift (Nummer 2195) ab. Dabei kann die Leistung nach Nummer 2197 nur einmal je Zahn berechnet werden, da die Aufzählung der adhäsiv zu befestigenden Teile kumulativ angelegt ist. Der denkbare höhere Aufwand bei adhäsiver Befestigung mehrerer Teile im Rahmen des Aufbaus eines Zahnes kann einzelfallbezogen bei der Bemessung des Honorars im Gebührenrahmen berücksichtigt werden. Neben Einlagefüllungen (Nummern 2150 bis 2170) können die Aufbauleistungen nach den Nummern 2180 bis 2195 nicht berechnet werden. Je Zahn kann die Leistung nach Nummer 2180 oder 2190 und/oder 2195 nur einmal berechnet werden." Es hätte auch nahegelegen, dass der Verordnungsgeber den Mehraufwand für eine adhäsive Befestigung im Teil A. Allgemeine zahnärztliche Leistungen verortet hätte, wenn er eine Anwendbarkeit in allen Bereichen gewollt hätte. Das ist jedoch nicht geschehen. Im Gegenteil ergibt sich aus der Allgemeinen Bestimmung zu Abschnitt G, dass die Gebührenziffern in diesem Abschnitt auch die Kosten der verwendeten Standardmaterialien erfassen. Will ein Patient besondere Materialien, muss er dies gesondert vereinbaren und vergüten. Darauf, dass eine Erstattung möglicherweise nicht erfolgt, ist er gesondert hinzuweisen. Ist aber in der Gebühr Nr. 6100 das Standardmaterial enthalten und ist für besonderes Material eine gesonderte Vereinbarung erforderlich, so spricht dies gerade dafür, dass die Nr. 2197 nicht mitabgerechnet werden kann. Wäre die Auffassung des Klägers zutreffend, dass Nr. 2197 den Mehraufwand einer adhäsiven Befestigung auch bei einer kieferorthopädischen Behandlung abgelten solle, wäre dieses gesetzgeberische Konzept unterlaufen. Denn die Mehrkosten wären regelmäßig zu erstatten, ohne dass die besonderen Voraussetzungen der Allgemeinen Bestimmung zu Abschnitt G vorliegen müssten. Deshalb kann auch nicht dem Einwand des Klägers gefolgt werden, dass allein die Materialkosten einer adhäsiven Befestigung mit der Gebühr nach Nr. 6100 nicht finanzierbar wären, denn das ist gerade Gegenstand der gesetzlichen Regelung.

II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

III.
Das Gericht lässt die Berufung gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zu, weil die vorliegende Rechtsfrage in einer Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist und, soweit ersichtlich, obergerichtlich noch nicht geklärt wurde.


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