Anforderungen an eine wirksame Honorarvereinbarung

Gericht: Amtsgericht Düsseldorf | Aktenzeichen: 39 C 198/16 | Dokumententyp: Urteil | Rechtskraft: unbekannt
Paragraphen: § 2 - Abweichende Vereinbarung , § 10 - Fälligkeit und Abrechnung der Vergütung; Rechnung

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

Paragraf 2 Abs. 2 GOZ erfordert eine Erörterung der Fragen der vertragsgemäßgen Gebührenregelung. Ein Aushandeln und "zur Disposition stellen" ist hierfür nicht erforderlich. Sind von der Gebührenvereinbarung auch Leistungen erfasst, die nicht erbracht wurden, so ist dies unschädlich. Im Falle einer wirksamen Gebührenvereinbarung besteht keine Begründungspflicht gemäß § 10 Abs. 3 GOZ.

Urteilstext


Tenor

Das Amtsgericht Düsseldorf hat auf der mündliche Verhandlung vom 24.08.2017 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 2.241,24 nebst Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 213,89 seit dem 31.03.2013, weiteren EUR 371,48 seit dem 10.07.2013, aus weiteren EUR 150,82  seit dem 24.12.2013, aus weiteren EUR 139,14 seit dem 24.01.2015, aus weiteren EUR 748,97 seit dem 28.02.2015, aus weiteren EUR 197,45 seit dem 18.08.2015, aus weiteren EUR 162,57 seit dem 18.11.2015, aus weiteren EUR 110,44 seit dem 06.01.2016 und aus weiteren EUR 146,48 seit dem 22.10.2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

ie Parteien streiten um die Erstattung von Zahnarzthonorar.

Die Klägerin ist bei der Beklagten unter der Vers.-Nr. 0006989072-531 privat krankenversichert. Am 21.11.1975 unterzeichnete sie bei der Vereinigten Krankenversicherung AG, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einen Krankenversicherungsantrag, in dem unter anderem als zahnärztlicher Tarif der Tarif 741 vorgesehen ist (Anl. B7 = Bl. 235, 236 der Akte).

Zum 01.11.1994 nahm die Klägerin einen Tarifwechsel zum Tarif 740 vor. Hierüber erstellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Versicherungsschein vom 24.11.1994 (Anl.: B8 = Bl. 237 der Akte).

Am 16.01.2012 unterzeichnete die Klägerin eine von ihrem Zahnarzt, dem Zeugen Dr. … vorbereitete Gebührenvereinbarung (Anl.: K3 = Bl. 29 - 31 der Akte). Zur Vorbereitung erhielt sie ein Erläuterungsblatt (Anl.: K4 = Bl. 32, 32 Rück der Akte).

In der Zeit vom 05.07.2012 bis zum 24.09.2012 führte der Zeuge Dr. … zahnärztliche Maßnahmen bei der Klägerin durch und stellte hierüber eine Rechnung Nr. 1616/130211 vom 15.02.2013 (Anl. K5 = Bl. 33 - 35 der Akte) über insgesamt EUR 1.691,25 aus. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 20.03.2013 (Anl. K6 = Bl. 36 - 39 der Akte) EUR 652,99. Mit Leistungsabrechnungen vom 03.04.2013 (Anl. K7 = Bl. 40 - 43 der Akte) erstattete die Beklagte einen weiteren Teilbetrag i. H. v. EUR 401,56.

In der Zeit vom 29.04.2013 bis zum 27.05.2013 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/130601 vom 05.06.2013 (Anl. K8 = Bl. 44 - 46 der Akte) mit EUR 1.940,07 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 09.07.2013 (Anl. K9 = Bl. 47, 48 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 1.083,57.

In der Zeit vom 10.06.2013 bis zum 19.11.2013 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/131102 vom 25.11.2013 (Anl. K13 = Bl. 55 - 57 der Akte) mit EUR 372,38 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 15.01.2014 (Anl. K16 = Bl. 60 - 62 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 128,47.

Am 27.11.2014 unterzeichnete die Klägerin eine vom Zeugen Dr. … vorbereitete erneute Gebührenvereinbarung (Anl. K17 = Bl. 63 - 65 der Akte).

Am 27.11.2014 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/141204 vom 25.11.2013 (Anl. K18 = Bl. 66 - 68 der Akte) mit EUR 505,67 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 23.01.2015 (Anl. K19 = Bl. 69 - 72 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 240,11.

In der Zeit vom 19.01.2015 bis zum 26.01.2015 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/150105 vom 27.01.2015 (Anl. K20 Bl. 73 - 75 der Akte) mit EUR 1.641,16 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 27.02.2015 (Anl. K21 = Bl. 76 - 80 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 481,90.

Am 15.07.2015 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/150706 vom 22.07.2015 (Anl. K22 = Bl. 81 -  83 der Akte) mit EUR 440,56 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 17.08.2015 (Anl. K23 = Bl. 84 - 87 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v.EUR 132,97.

In der Zeit vom 07.09.2015 bis zum 14.10.2015 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/151008 vom 15.10.2015 (Anl. K24 = Bl. 88 - 90 der Akte) mit EUR 788,25 in Rechnung. Ferner leitete der Zahnarzt mit seiner Rechnung Nr. 1690/151007 vom 12.10.2015 eine Fremdlaborrechnung über EUR 494,47 (Anlage K 25 = Bl. 91, 92 der Akte) an die Klägerin weiter. Die Beklagte rechnete hiervon EUR 301,32 dem Tarif 740 zu und erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 04.01.2016 (Anl. K28 = Bl. 97 -100 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 63,42.

Am 28.10.2015 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/151109 vom 10.11.2015 (Anl. K32 = Bl. 106 - 108 der Akte) mit EUR 286,93 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 05.01.2016 (Anl. K33 = Bl. 109 - 111 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 24,47. Mit Abrechnungsschreiben vom 12.02.2016 (Bl. 114 - 115 der Akte) erstattet die Beklagte weitere EUR 80,29.

In der Zeit vom 08.09.2016 bis zum 15.09.2016 erbrachte Leistungen stellte der Zeuge Dr. … der Klägerin mit Rechnung Nr. 1690/160914 vom 29.09.2016 (Anl. K37 = Bl. 116 - 118 der Akte) mit EUR 407,04 in Rechnung. Die Beklagte erstattete hierauf mit Erstattungsschreiben vom 21.10.2016 (Anl. K38 = Bl. 119 - 123 der Akte) einen Teilbetrag i. H. v. EUR 158,80.

Die Klägerin behauptet, die von ihr vorgelegten AVB der Vereinigten Krankenversicherung AG aus dem Jahre 1970 (Anl. K2 = Bl. 18-28 der Akte) seien Vertragsbestandteil geworden, daran habe sich durch den späteren Tarifwechsel der Beklagten nichts geändert. Demgemäß seien sämtliche Zahnbehandlungen zu 75 % und Zahnersatz sowie Zahn-Kieferregulierung zu 50 % zu erstatten. Unter Zahnersatz seien richtigerweise nur Brücken und Prothesen zu verstehen. Sämtliche der hier streitgegenständlichen Leistungen seien somit zu 75 % zu erstatten.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung der rechnerischen Differenzbeträge i.H. v. EUR 2.241,24.
Die beiden vorgelegten Gebührenvereinbarungen seien vor Beginn der Behandlungen am 16.01.2012 und am 27.11.2014 zwischen der Klägerin und dem Zahnarzt ausführlich persönlich abgesprochen worden. Die Gebührenvereinbarungen seien damit wirksam und stünden im Einklang mit § 2 GOZ.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 2.241,24 nebst Verzugszinsen i.  H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 213,89 seit dem 21.03.2013, aus weiteren EUR 371,48 seit dem 10.07.2013, aus weiteren EUR 150,82 seit dem 24.12.2013, aus weiteren EUR 139,14 seit dem 24.01.2015, aus weiteren EUR 748,97 seit dem 28.02.2015, aus weiteren EUR 197,45 seit dem 18.08.2015, aus weiteren EUR 162,57 seit dem 18.11.2015, aus weiteren EUR 110,44 seit dem 06.01.2016 und aus weiteren EUR 146,48 seit dem 22.10.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wendet ein, die Gebührenvereinbarung sei unwirksam, die von der Klägerin vorgesehene tarifliche Erstattungsquote teilweise unzutreffend.

Die Gebührenvereinbarungen seien formell unwirksam. Sie seien nicht für den Einzelfall getroffen worden, nicht auf das individuelle Behandlungsbedürfnis des Patienten abgestimmt und nicht nach persönlicher Absprache zwischen Zahnarzt und Patient getroffen worden.

Die berechneten Steigerungssätze seien nicht nachvollziehbar. Die Beklagte sei nicht an aus betriebswirtschaftlichen Gründen abgeschlossene Gebührenvereinbarungen gebunden. Die Leistungen des Zahnarztes seien nicht von überdurchschnittlicher Qualität und Präzision. Die berechneten Gebühren seien unangemessen hoch und stünden in einem unangemessenen und auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen.

Als Tarifbedingungen seien die von ihr als Anl. B9 (Bl. 238 - 247 der Akte) vorgelegten Bedingungen maßgeblich. Diese stammten aus dem Jahre 1994. Nach diesen Bedingungen seien in der Rechnung vom 22.07.2015 (Anlage K 22) die Leistungen mit den Nrn. 2330 und 2320 dem Zahnersatz zuzurechnen und daher nur zu 50 % und nicht zu 75 % zu erstatten. Dasselbe gelte für die funktionsanalytischen und funktionstherapeutischen Leistungen einschließlich der Leistungen gemäß Nr. 7010, 7030 und 7040 in den Rechnungen vom 15.02.2013, 05.06.2013, 25.11.2013, 3.12.2014, 27.01.2015, 22.07.2015, 10.11.2015 und 29.09.2016.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 24.05.2017 durch Vernehmung des Zeugen Dr. … und Vernehmung der Klägerin als Partei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.08.2017 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung in Höhe von EUR 2.241,24 gemäß dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Krankenversicherungsvertrag vom 10.12.1975.

1.
Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der zahlreichen von der Klägerin eingereichten Rechnungen ist im Hinblick auf ihre medizinische Notwendigkeit zwischen den Parteien unstreitig.

2.
Die funktionsanalytischen Leistungen gemäß Nr. 7010, 7030 und 7040 in den Rechnungen vom 15.02.2013, 05.06.2013, 25.11.2013, 3.12.2014, 27.01.2015, 22.07.2015, 10.11.2015 und 29.09.2016 sowie die die Positionen mit den Nrn. 2320 und 2330 gemäß Rechnung vom 22.07.2015 sind sämtlich zu 75 % zu erstatten.

Die streitgegenständlichen zahnärztlichen Behandlungen sind von der Beklagten nach dem Krankenversicherungsvertrag vom 10.12.1975, hinsichtlich des Tarifes zum 1.11.1994 geändert in Tarif 740, zu erstatten. Zunächst schloss die Klägerin am 10.12.1975 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Krankenversicherungsvertrag über den Tarif 741, wie sich aus Anl. B7 ergibt. Sodann wurde der Tarif von der Rechtsvorgängerin der Beklagten gewechselt auf den Tarif 740, wie sich aus Anl. B8 ergibt. Der Vertragsinhalt ist dem in Anl. K2 enthaltenen Tarif der 70er Sehe, Tarif 740, zu entnehmen. Dort heißt es: „Die Aufwendungen für Zahnbehandlung, Zahnersatz, Zahn- und Kieferregulierung (§ 4 Teil II Abs. 3 AVG) werden erstattet mit nachstehenden Prozentsätzen der Rechnungsbeträge

mit 75 % für Zahnbehandlung
mit 50 % für Zahnersatz, Zahn- und Kieferregulierung."

Ohne Erfolg beruft die Beklagte sich darauf, es seien die bei ihrer Rechtsvorgängerin seinerzeit per 06/1994 gültigen Musterbedingungen (MB/KK 76), wie in Anl. B9 abgedruckt, sowie die Tarife 74 für zahnärztliche Heilbehandlung, Stand 10/1994 (Anlage B 10) für die Erstattung maßgeblich. Das Gericht schließt sich insoweit der Auffassung des Landgerichts Düsseldorf (Urteil vom 21.11.2015 - 9 S 46/15) sowie der Auffassung des Amtsgerichts Düsseldorf (Urteil vom 21.01.2016 - 27 C 11833/14) an. Für laufende Verträge können die AVB grundsätzlich nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers geändert werden. Eine konkludente Zustimmung zu einer Änderung kann nur dann angenommen werden, wenn die Änderung für den Versicherungsnehmer vorteilhaft ist, was vorliegend nicht der Fall ist (vergleiche LG Münster, Urteil vom 03.04.2012 - 115 O 66/09; zitiert in AG Düsseldorf a. a. O.). Die bloße Änderung des Tarifs 741 auf den jeweils 25 % weniger Versicherungsleistung gewährenden Tarif 740 hatte somit nicht zur Folge, dass der Versicherungsvertrag nicht mehr grundsätzlich dem Regime des ursprünglichen im Jahre 1975 abgeschlossenen Vertrages unterlag, sondern demjenigen aus dem Jahre 1994. Die Beklagte hat nicht dargelegt, mit der Klägerin hinreichend eindeutig vereinbart zu haben, dass der Krankenversicherungsvertrag insgesamt hinsichtlich der zahnärztlichen Versorgung vollständig neuen Bedingungen unterworfen werden soll. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem als Anl. B8 vorgelegten Versicherungsschein. Dort heißt es nur allgemein: „Es gelten die jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), gesetzliche Vorschriften und ggf. schriftliche Vereinbarungen."

Es kommt demgemäß nicht darauf an, dass in den Tarifbedingungen aus dem Jahre 1994 funktionsanalytische und kieferorthopädische Leistungen ausdrücklich nur zu 50 % erstattungsfähig sein sollen nach dem Tarif 740.

Gnathologische (auch funktionsanalytische und therapeutische) Leistungen, die in den AVB zum Tarif 740 aus dem Jahre 1975 nicht ausdrücklich genannt sind, fallen somit unter den allgemeinen Begriff der Zahnbehandlung und sind zu 75 % zu erstatten und nicht nur zu 50 %. Die diesbezügliche Kürzung der Beklagten ist somit zu Unrecht erfolgt.

Auch die Positionen Nr. 2320 und 2330, die Arbeiten in Bezug auf eine Teilkrone betreffen, sind zu 75 % zu erstatten. Nr. 2320 betrifft die Wiederherstellung einer Krone, einer Teilkrone, eines Veneer, eines Brückenankers, einer Verblendschale oder einer Verblendung an festsitzendem Zahnersatz, gegebenenfalls einschließlich Wiedereingliederung und Abformung. In den hier maßgeblichen Tarifbedingungen wird eine Teilkrone nicht erwähnt, sondern es wird unterschieden zwischen „Zahnbehandlung" einerseits und „Zahnersatz, Zahn- -und Kieferregulierung" andererseits. Die Teilkrone fällt vorliegend nicht unter den Begriff des Zahnersatzes. Denn in § 4 Teil II Abs. 3 b) der Allgemeinen Versicherungsbedingungen von 1975 (Anl. K2) ist Zahnersatz definiert als prothetische Leistungen (z.B. Prothesen, Kronen, Stiftzähne, Brücken). Da es vorliegend um die Behandlung von Teilkronen und nicht um Kronen ging, besteht eine Erstattungspflicht für Zahnbehandlung zu 75 %.

Nr. 2330 ist einschlägig bei Maßnahmen bei Karies profunda. Derartige Maßnahmen sind eindeutig rechtlich nicht dem Bereich Zahnersatz zuzuordnen.

3.
Die in den streitgegenständlichen Rechnungen enthaltenen Gebührensätze sind von der Beklagten zu erstatten.

Die zwischen der Klägerin und dem Zeugen Dr. … getroffene Gebührenvereinbarung ist wirksam. Sie entspricht den Anforderungen des § 2 Abs. 2 GOZ.

§ 2 Abs. 1 S. 1 GOZ lautet: Durch Vereinbarung zwischen Zahnarzt und Zahlungspflichtigem kann eine von dieser Verordnung abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden. § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ lautet: Eine Vereinbarung nach Abs. 1 S. 1 ist nach persönlicher Absprache im Einzelfall zwischen Zahnarzt und Zahlungspflichtigen vor Erbringung der Leistung des Zahnarztes schriftlich zu treffen.

Bei der Auslegung von § 2 Abs. 2 GOZ kommt dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.10.2004 (Az. 1 BvR 1437/02) entscheidende Bedeutung zu. Gedanklicher Ausgangspunkt ist stets, dass eine Überschreitung des Gebührenrahmens des § 5 GOZ in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht möglich ist (vergleiche BGHZ 115, 391). Grundsätzlich kann demgemäß eine wirksame Honorarvereinbarung nur in Form einer Individualabrede getroffen werden. Die von der Rechtsprechung für AGB generell entwickelte Tatbestandsvoraussetzung einer Individualabrede bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach es explizit des Vorganges des Aushandelns im Sinne eines wirklichen zur Disposition Stellens bedarf, steht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Gebührenvereinbarungen nach der GOZ nicht im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 GG.

Unter Beachtung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 02.06.2005 (Aktenzeichen I-8 U 153/04) die in § 2 GOZ geregelte Individualvereinbarung tatbestandlich dahingehend konkretisiert, dass eine solche dann zu bejahen ist, wenn die Frage der vertragsgemäßen Gebührenregelung zwischen dem Zahnarzt und dem Patienten im Einzelnen persönlich besprochen worden ist. Eine solche Erörterung sei geeignet, den von dem Arzt für eine Vielzahl von Behandlungsfällen vorgesehenen Vertragsbestimmungen ihre Allgemeinheit zu nehmen und die für ihre Rechtswirksamkeit erforderliche Individualität zu verleihen. Auf ein Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBGB a. F. komme es somit nicht an.

Das Gericht schließt sich dieser vom Oberlandesgericht Düsseldorf entwickelten Konkretisierung des Tatbestandes in § 2 Abs. 2 S. 1 GOZ an. Eine einschränkendere, strengere Auslegung wäre mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Soweit der Wortlaut von § 2 Abs. 2 GOZ mit Wirkung zum 01.01.2012 geringfügig verändert wurde, war hiermit vom Normgeber keine von der bereits ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweichende Regelung intendiert. Der neugefasste § 2 Abs. 1 GOZ übernimmt vielmehr im Wesentlichen die alte Regelung, ohne damit eine Änderung des Rechts herbeizuführen (Kommentar der Bundeszahnärztekammer, Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ), Stand März 2017, dort Seiten 5 und 6).

Ohne Erfolg beruft die Beklagte sich darauf, der Zeuge Dr. … schließe in aller Regel Gebührenvereinbarungen ab und nicht im Einzelfall. Mit „Einzelfall" ist in § 2 Abs. 2 Satz 1 GOZ ersichtlich nicht gemeint, dass der Zahnarzt nur im Ausnahmefall mit einigen wenigen Patienten eine Gebührenvereinbarung treffen darf, sondern anlässlich einer anstehenden Behandlung (AG Düsseldorf Urteil v. 21.01.2016 -27 C 11833/14).

Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die in den Gebührenvereinbarungen vom 16.01.2012 und vom 27.11.2014 aufgeführten Gebührensätze zwischen der Klägerin und dem Zeugen Dr. … „im Einzelnen persönlich besprochen worden" sind.

So hat der Zeuge Dr. … glaubhaft bekundet, am 16.01.2012 zunächst eine Mitarbeiterin angewiesen zu haben, der Klägerin eine Kopie der von ihm erstellten Gebührenvereinbarung und ein allgemeines Erläuterungsblatt, das er entwickelt habe, auszuhändigen. Er habe ausdrücklich darum bitten lassen, sich das in Ruhe durchlesen, aber vorher noch nicht zu unterschreiben. Hierbei habe sich der Zeuge von der ihm schon seinerzeit bekannten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf leiten lassen.

Als die Klägerin mit dem Durchlesen fertig gewesen sei, habe er sie ins Behandlungszimmer gebeten. Zunächst habe sie ihm noch die Rückmeldung gegeben, seit der Behandlung vom 05.01.2012 gehe es ihr schon besser, aber noch nicht vollständig gut. Daraufhin habe er ausdrücklich erklärt, er müsse leider noch einmal über die Kosten reden und habe sie gefragt, ob sie denn die Gebührenvereinbarung und das Erläuterungsblatt gründlich durchgelesen und ob sie es verstanden habe. Die Klägerin habe erwidert, sie habe alles gelesen, aber nicht alles ganz verstanden. Dies sei dem Zeugen „gar nicht so Unrecht" gewesen, weil er dadurch einen konkreten Anlass gehabt habe, das Ganze noch einmal mit ihr durchzusprechen. Er habe ihr ausführlich erklärt, dass er niemals Verträge mit Krankenkassen schließe und eine Behandlungsweise entwickelt habe, ohne die Beschränkungen der gesetzlichen Versicherungen. Sein Zeitaufwand betrage ein Vielfaches des normalen Zeitaufwandes. Daraufhin habe die Klägerin erklärt: „Ja ja, ich weiß, deswegen komme ich ja zu Ihnen."

Der Zeuge habe der Klägerin sodann ausdrücklich erläutert, dass ohne Gebührenvereinbarung nur bis zu einem 3,5-fachen Satz berechnet werden dürfe. Dies sei Teil seines strukturierten Vorgehens. Er wisse, wie wichtig es sei, bei dem Abschluss einer Gebührenvereinbarung keinen Fehler zu machen und alles zu dokumentieren. Sodann habe er beispielhaft die erste der zahlreichen Gebührenziffern Spalte für Spalte erläutert und den Steigerungssatz anhand des vereinbarten Betrages noch einmal erklärt. Ferner habe er die Klägerin darauf hingewiesen, dass er nicht sagen könne, was die Krankenversicherung erstatten werde, wenn es Schwierigkeiten gebe, werde er helfen. Sodann habe er noch gefragt, ob die Klägerin Fragen habe, was diese verneint habe. Dann habe er sie gebeten, die beiden Ausfertigungen der Vereinbarung zu unterschreiben, was sodann geschehen sei. Anschließend habe er, der Zeuge unterschrieben.

Die Vereinbarung vom 27.11.2014 kam im Wesentlichen auf die gleiche Art zustande. Der Zeuge hat bekundet, er habe der Klägerin ausdrücklich vor der Unterschrift der Vereinbarung erklärt, dass er kleinere Anpassungen vorgenommen habe und man habe gemeinsam die beiden Gebührenvereinbarungen miteinander verglichen. Er habe ihr die Änderungen erklärt.

Diese Aussage ist glaubhaft. Der Zeuge hat sich bei seiner Aussage, die sich auf einen mehrere Jahre zurückliegenden Termin bezog, auf seine Dokumentationsunterlagen gestützt, die er im Termin dabei hatte. Es handelt sich um Notizen, die der Zeuge an dem betreffenden Tag gemacht hat. Da dem Zeugen schon seinerzeit bewusst war, dass es möglicherweise zum Streit mit der Krankenversicherung über die Höhe der Gebühren kommen könnte, hatte er sich seinerzeit entsprechende Notizen gemacht.

Das Gericht hat keinerlei Anlass, die Richtigkeit der Aussage des Zeugen in Zweifel zu ziehen. Der Zeuge erweckte bei seiner Aussage den Eindruck, sorgfältig darauf bedacht zu sein, den Gesprächsverlauf genau so wiederzugeben, wie er ihn teilweise in unmittelbarer Erinnerung hatte und im Übrigen er sich aus seiner schriftlichen Dokumentation ergab. Dass der Zeuge ein mittelbares persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits haben dürfte, vermag hieran nichts zu ändern.

Der Beklagten ist nicht der Gegenbeweis durch Vernehmung der Klägerin als Partei gelungen. Die Klägerin hat im Wesentlichen, soweit sie sich überhaupt noch an die Details im Zusammenhang mit der Gebührenvereinbarung erinnern konnte, die Bekundungen des Zeugen bestätigt. Teilweise konnte sie sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern, was indes nicht zur Unglaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen führt. Dass der Zeuge tatsächlich stark ins Detail ging bei der Erläuterung seiner Honorarvereinbarung, ergibt sich unter anderem aus der Aussage der Klägerin, sie sei damals über die Detailgenauigkeit schon etwas befremdet gewesen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht somit fest, dass die Gebührenvereinbarungen im Einzelnen persönlich mit der Klägerin besprochen worden sind, bevor die Klägerin sie unterschrieb. Es handelt sich damit um Individualvereinbarungen, die nach § 2 Abs. 2 GOZ wirksam sind.

An der Wirksamkeit der beiden Gebührenvereinbarungen ändert es auch nichts, dass in den hier maßgeblichen Gebührenvereinbarungen auch teilweise für Leistungen besondere Gebühren vereinbart worden sind, die im Rahmen der tatsächlichen Behandlung dann nicht durchgeführt wurden. Denn vor Behandlungsbeginn kann oft nicht sicher, sondern nur grob in Umrissen ermittelt werden, welche Gebührenziffern im Rahmen der Behandlung zur Anwendung kommen werden. Dies ist allgemein bekannt und hat auch der Zeuge glaubhaft bestätigt. Der genaue Behandlungsverlauf ist im Vorhinein oft nicht absehbar. Verträte man die gegenteilige Auffassung, wäre eine Gebührenvereinbarung nur im Falle eines vorher erstellten Heil- und Kostenplans wirksam möglich. Solches verlangt indes weder § 2 Abs. 2 GOZ noch ist es mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar. § 2 Abs. 1 S. 1 GOZ verlangt vielmehr als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung, dass die Vereinbarung vor der Erbringung der Leistung durch den Zahnarzt getroffen werden muss. Gerade vor Beginn der Leistungserbringung ist das genaue Leistungsspektrum indes häufig nicht in allen Einzelheiten absehbar. Ein anderes Verständnis der Vorschrift würde zu dem Ergebnis führen, dass dann, wenn während der Behandlung eine im Vorfeld nicht vorausgesehene, unvorhergesehene Leistung notwendig wird, der Zahnarzt die Behandlung unterbrechen müsste, um mit dem gegebenenfalls betäubten Patienten sozusagen nachzuverhandeln. Dies kann vom Normgeber - abgesehen von der Problematik der zivilrechtlichen Wirksamkeit einer solchen Einigung unter derartigen tatsächlichen Umständen - nicht gewünscht sein (vgl. AG Düsseldorf Urteil v. 21.01.2016 - 27 C 11833/14).

Die Fälligkeit der Vergütung ist nicht nach § 10 Abs. 3 S. 1 GOZ gehindert, weil in den jeweiligen Behandlungsrechnungen die Steigerungssätze nicht begründet werden. Denn eine Begründungspflicht besteht nur dann, wenn keine Gebührenvereinbarung nach § 2 GOZ getroffen wird (OLG Düsseldorf a. a. O., dort unter Ziffer 1. b)). Hier wurde indes eine wirksame Gebührenvereinbarung getroffen.

Die zwischen dem Zahnarzt und der Klägerin getroffene Gebührenvereinbarung ist auch nicht nach § 138 BGB wegen unangemessen hoher Steigerung der Gebührensätze nichtig, die Beklagte kann sich auch nicht auf § 192 Abs. 2 WG wegen eines auffälligen Missverhältnisses der erbrachten Leistungen und der vereinbarten Vergütung berufen. Ein derartiges auffälliges Missverhältnis ist von der Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt, worauf mit Verfügung vom 23.05.2017 hingewiesen wurde.

Das Gericht schließt sich der Rechtsprechung des Amtsgerichts Düsseldorf im Urteil v. 21.01.2016 - 27 C 11833/14 an, dass sich aus der bloßen Angabe von Durchschnittswerten bereits nicht ablesen lässt, aus welcher Spanne sich diese Durchschnittswerte ergeben. Der Wert einer zahnärztlichen Leistung kann nicht pauschal an Hand von bei der Beklagten auf Grundlage eingereichterBehandlungsrechnungen ermittelten Durchschnittswerten ermittelt werden. Aus Anl. B6 lässt sich nicht ablesen, ob es in deutschen Zahnarztpraxen nicht in einer nennenswerten Zahl von Fällen auch bei anderen Zahnärzten zu Gebührenvereinbarungen in vergleichbarer Höhe wie vorliegend kommt, was gegen die behauptete wucherähnliche Überhöhung der vereinbarten Gebühren spräche. Aus Anl. B6 lässt sich nicht entnehmen, in welchem Verhältnis in die Auswertung welche Höchstwerte eingeflossen sind. Der Auswertung lässt sich nicht entnehmen, ob die bei der Beklagten ausgewerteten bei ihr eingereichten Rechnungen überhaupt auf einer Gebührenvereinbarung beruhten oder weitgehend auf Behandlungsverträgen ohne Gebührenvereinbarung. Aus der von der Beklagten vorgelegten Auswertung ergibt sich insgesamt nur ein behaupteter durchschnittlicher Steigerungssatz, was zur substantiierten Darlegung des marktüblichen Honorars unzureichend ist.

Das von der Beklagten angebotene Sachverständigengutachten liefe auf eine prozessual unzulässige Ausforschung des erforderlichen Sachvortrages hinaus. Seine Einholung hat daher zu unterbleiben.

Ein Kürzungsrecht der Beklagten bei sogenannter Übermaßbehandlung nach § 5 Abs. 2 MB/KK 76 erstreckt sich nicht auch auf sogenannte Übermaßvergütungen (vergleiche BGH Urteil vom 12.03.2003 - IV ZR 278/01). § 5 Abs. 2 MB/KK 76 bezieht sich ausschließlich auf die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung als solcher (BGH a. a. O.).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Kostenentscheidung beruhtauf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Streitwert: EUR 2.241,41.


Ausdruck Urteil - PDF

Zahnärztekammern der Länder
Positionen und Statements