Begründungsaufforderung bei Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes

Gericht: Verwaltungsgericht München | Aktenzeichen: M 17 K 17.5384 | Dokumententyp: Urteil | Rechtskraft: unbekannt (siehe dazu auch VG München Az.: M 17 K 17.5823
Paragraphen: § 5 - Bemessung der Gebühren für Leistungen des Gebührenverzeichnisses
Gebührennummern: 0100, 2040, 2060, 2100, 2120, 2197, 2410, 2420, 2430, 9000

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

Der 2,3-fache Gebührensatz kann nur überschritten werden, wenn der vermehrte Aufwand auf den betreffenden Patienten zurückzuführen ist. Verfahrensbezogene Besonderheiten genügen nicht.

Urteilstext


Tenor

 

I.
Die Klage wird abgewiesen.

II.    
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


Tatbestand

Der Kläger, der mit einem Bemessungssatz von 50% beihilfeberechtigt ist, begehrt die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen für zahnmedizinische Behandlungen.

Mit Formblatt vom 11. Mai 2017 beantragte der Kläger die Gewährung von Beihilfe für eine Zahnarztrechnung der Zahnärztin … vom ... Mai 2017 über einen Betrag von insgesamt EUR 5.643,34 (EUR 3.785,71 zahnärztliches Honorar, EUR 75,48 für Auslagen nach §§ 3 und 4 GOZ, 10 GOÄ und EUR1.782,15 für Auslagen nach § 9 GOZ).

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Mai 2017 wurde seitens der Beihilfestelle von der Rechnungssumme ein Betrag in Höhe von insgesamt EUR 3.793,52 als beihilfefähig anerkannt (EUR 3.005,18 zahnärztliches Honorar, EUR 75,48 für Auslagen nach §§ 3 und 4 GOZ, 10 GOÄ und EUR 712,86 für Auslagen nach § 9 GOZ) und dem Kläger dementsprechend eine Beihilfe in Höhe von EUR 1.896,76 (50% von EUR 3.793,52) gewährt. Begründet wurden die Kürzungen der Beihilfestelle in Bezug auf die Honorarforderung damit, dass die behandelnde Zahnärztin hinsichtlich der abgerechneten GOZ Ziffern 2030, 2220, 2100, 2080, 2060 und 7010 das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes (sog. Schwellenwert) nicht ausreichend begründet habe. Die Kürzung der Erstattung der Auslagen nach § 9 GOZ ergebe sich laut Beihilfebescheid aus § 14 BayBhV, hiernach seien die bei einer zahnärztlichen Behandlung nach Anlage 1 Abschnitt C Nrn. 2150 bis 2320, Abschnitte F und K GOZ entstandenen Aufwendungen für Material- und Laborkosten nach § 9 GOZ (u.a. Edelmetalle und Keramik) nur zu 40 v. H. beihilfefähig.

Die in der Rechnung der Zahnärztin enthaltenen Begründungen der chwellenwertüberschreitung lauten im Einzelnen wie folgt:

„1.
GOZ Ziffer 2030 (Besondere Maßnahmen beim Präparieren oder Füllen von Kavitäten):" Mehrf. Einlegen von Retraktionsfäden vor, während, nach Präp.

Differenz des nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags hinsichtlich dieser Ziffer: EUR  8,78

2.
GOZ Ziffer 2220 (Teilkrone/Pinledge mit Rekonstruktion Kaufläche):

Erschwerte Retentionsgewinnung, Anwendung Mehrfarbentechnik bzw. schwierige spezielle Farbanpassung Differenz des nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags hinsichtlich dieser Ziffer: EUR 558,00

3.
GOZ Ziffer 2100 (Kompositfüllung in Adhäsivtechnik, dreiflächig):

Anwendung Mehrfarbentechnik bzw. schwierige spezielle Farbanpassung, erschwerte Retentionsgewinnung Differenz des nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags hinsichtlich dieser Ziffer: EUR 86,66

4.
GOZ Ziffer 2080 (Kompositfüllung in Adhäsivtechnik, zweiflächig):

Anwendung Mehrfarbentechnik bzw. schwierige spezielle Farbanpassung, erschwerte Retentionsgewinnung Differenz des nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags hinsichtlich dieser Ziffer: EUR 37,53

5.
GOZ Ziffer 2060 (Kompositfüllung in Adhäsivtechnik, einflächig):

Anwendung Mehrfarbentechnik bzw. schwierige spezielle Farbanpassung, erschwerte Retentionsgewinnung Differenz des nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags hinsichtlich dieser Ziffer: EUR 35,57

6.    
GOZ Ziffer 7010 (Eingliederung eines Aufbißbehelfes mit adjustierter Oberfläche): Kiefergelenkssymptomatik (Dysfunktion/en)

Differenz des nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags hinsichtlich dieser Ziffer: EUR 53,99

Mit Schreiben vom 09. Juni 2017, eingegangen am 12. Juni 2018, legte der Kläger Widerspruch gegen den Beihilfebescheid vom 17. Mai 2017 ein. Zur Begründung legte er eine Stellungnahme seiner behandelnden Zahnärztin vom ... Juni 2017 bei. In dieser begründete diese die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der abgerechneten GOZ Ziffern 2030, 2220, 2100, 2080, 2060 und 7010 ergänzend mit folgenden Argumenten:

  • geringe Mundöffnung
  • starker Speichelfluss
  • eingeschränkte Sicht
  • hypermobile Zunge

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2017 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Beihilfebescheid zurückgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. November 2017 Klage mit dem Antrag,

den Bescheid des Beklagten vom 17. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2017 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Aufwendungen (gemeint ist: eine weitere Beihilfe) in Höhe von 924,91 EUR (50% von 1.849,82 EUR) zu gewähren.

Die Überschreitung des Gebührensatzes hinsichtlich der strittigen Ziffern sei aus zahnmedizinischer Sicht angemessen und ausreichend begründet worden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Auslagen nach § 9 GOZ nach § 14 BayBhV seien nur zu 40 v.H. beihilfefähig. Im Übrigen seien die vorgelegten Begründungen allesamt nicht geeignet, eine Überschreitung des Schwellenwerts von 2,3 entsprechend den Anforderungen des § 5 Abs. 2 GOZ zu rechtfertigen.

Zur Begründung der Ungeeignetheit der Begründungen im Einzelnen, aufgeschlüsselt je nach abgerechneter GOZ Ziffer, wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 05. Dezember 2018 verwiesen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 29. November 2017, der Beklagte mit Schriftsatz vom ... Juli 2018 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Mit Schreiben vom ... Juli 2018 und ... Juli 2017 erklärten zudem beide Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).


Entscheidunsgründe

Eine Entscheidung über die Klage durfte im Einverständnis mit den Beteiligten nach §§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von EUR 924,91, folglich kann ihn deren Ablehnung durch Bescheid vom 17. Mai 2017 und Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2017 auch nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1.    
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von EUR 534,64 (50% des bisher nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags in Höhe von EUR 1.069,29) für die nur zum Teil als beihilfefähig anerkannten Auslagen der Zahnärztin nach § 9 GOZ.

Nach § 14 BayBhV, der mit höherrangigem Recht vereinbar ist (BayVGH, B. v. 7.2.2018 - 14 ZB 17.1297 - juris Rn. 8 ff.), sind die bei einer zahnärztlichen Behandlung nach Anlage 1 Abschnitt C Nrn. 2150 bis 2320, Abschnitte F und K GOZ entstandenen Aufwendungen für Material- und Laborkosten nach § 9 GOZ (u. a. Edelmetalle und Keramik) nur zu 40 v. H. beihilfefähig. Vom Gesamtbetrag der von der Zahnärztin nach § 9 GOZ gemachten Auslagen in Höhe von EUR 1.782,15 konnte daher nur ein Betrag in Höhe von EUR 712,86 (40% von EUR 1.782,15) anerkannt werden. Dem Kläger wurde daher in Bezug auf diese Aufwendungen seitens der Beihilfestelle eine korrekt berechnete Beihilfe in Höhe von EUR 356,43 (50% von EUR 712,86) gewährt. Ein Anspruch auf eine weitere Beihilfe besteht nicht.

2.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von EUR 390,27 (50% des bisher nicht als beihilfefähig anerkannten Betrags in Höhe von EUR 780,53) für die nur zum Teil als beihilfefähig anerkannten Honorarforderungen der Zahnärztin. Der Beklagte hat insoweit zu Recht darauf verwiesen, dass die Begründungen der Zahnärztin hinsichtlich der abgerechneten Gebührenziffern 2030, 2220, 2100, 2080, 2060 und 7010 die Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes nicht rechtfertigen.

2.1
Zahnärztliche Leistungen sind gemäß § 8 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Die Angemessenheit beurteilt sich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BayBhV insoweit ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden (§ 7 Abs. 1 Satz 3 BayBhV).

Nach § 5 Abs. 4 Satz 2 GOZ bildet der 2,3-fache Gebührensatz die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab; ein Überschreiten dieses Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten, das heißt die Schwierigkeit und der Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung, dies rechtfertigen. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben (§ 5 Abs. 2 Satz 3 GOZ).

Zwar ist dem Zahnarzt bei der Bestimmung des Steigerungsfaktors durch § 5 Abs. 2 Satz 1 GOZ ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbares Ermessen eingeräumt (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 14.12.2011 - 5 LA 237/10 - juris Rn. 21). Dieses besteht jedoch nur auf der Rechtsfolgenseite. Das Vorliegen von „Besonderheiten" im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ auf der Tatbestandsseite unterliegt dagegen der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit (BVerwG, U. v. 17.2.1994 - 2 C 10/92 - NJW 1994, 3023, 3024; VG München, U. v. 23.5.2013 - M 17 K 11.4984).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 17.2.1994 - 2 C 10/92 - NJW 1994, 3023) müssen Besonderheiten in diesem Sinn gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sein. Eine in jeder Hinsicht durchschnittliche Art und Weise der Behandlung kann ein Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes (Schwellenwert) nach § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ nicht rechtfertigen. Die Vorschrift hat Ausnahmecharakter und ist dementsprechend eng auszulegen. Diesem Ausnahmecharakter widerspräche es, wenn schon eine vom Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Patienten wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten, angewandte Verfahrensweise bei einer Ausführung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistung das Überschreiten des Schwellenwerts rechtfertigen würde. Erforderlich ist somit eine gerade in der Person des Betroffenen liegende Besonderheit. Der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand muss auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein; rein verfahrensbezogene Besonderheiten genügen dagegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 15.04.2011 - 14 ZB 10.1544 - juris Rn. 4; VG Stuttgart, U. v. 28.01.2011 - 3 K 2870/10; VG München, U. v. 23.05.2013 - M 17 K 12.59; U. v. 23.05.2013 - M 17 K 11.4984, a. A. noch: VGH BW U. v. 17.9.1992 - 4 S 2084/91 - juris Rn. 48). Zwar sollte es nicht so sein, dass der Arzt bzw. Zahnarzt für die Begründung der Schwellenwertüberschreitung mehr Zeit aufwenden muss als für die eigentliche Behandlung. Ausführliche ärztliche Berichte oder gar Gutachten können daher nicht verlangt werden. Allerdings muss sich aus der gegebenen Begründung entnehmen lassen, weshalb bei dem Patienten eine von der Masse der behandelnden Fälle abweichende Besonderheit vorlag und insbesondere, worin denn diese Besonderheit bestand (VG Hannover, Gerichtsbescheid vom 07.12.2009 - 13 A 2981/09 - juris Rn. 165). Hierbei ist auch zu beachten, dass die Begründung allein vom behandelnden Zahnarzt selbst gegeben werden kann. Die Klagepartei ist dazu als Adressat der Begründung weder berechtigt noch im Stande (VG Stuttgart, U. v. 21.9.2009 - 12 K 6383/07 - juris Rn. 64).

2.2
Im hier zu entscheidenden Fall besteht die Besonderheit, dass in der ursprünglichen Rechnung der Zahnärztin weniger Gründe zur Rechtfertigung der Schwellenwertüberschreitung herangezogenen wurden, als später im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geltend gemacht wurden. Erst mit Stellungnahme vom ... Juni 2017 ergänzte die behandelnde Zahnärztin ihre Rechnungsaufstellung mit dem pauschalen Hinweis, bei den Gebührennummern 2030, 2220, 2100, 2080, 2060 und 7010 seien besondere Schwierigkeiten des Behandlungsfalls in Form von geringer Mundöffnung, starkem Speichelfluss, eingeschränkter Sicht und hypermobiler Zunge gegeben gewesen.

2.2.1
Ein solches Nachschieben von gänzlich neuen Gründen ist nicht zulässig.

§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ sieht auf Verlangen des Patienten nur eine nähere Erläuterung der bereits in der Rechnung vorgebrachten schriftlichen Begründung für die Schwellenwertüberschreitung vor. Nicht vorgesehen ist jedoch eine Ergänzung der Begründung um neue, bislang nicht vorgetragene Gründe, die eine Besonderheit des jeweiligen Behandlungsfalls rechtfertigen sollen.

Unzulässig sind damit verspätet vorgebrachte neue Erwägungen, die in der bisherigen, in der Rechnung enthaltenen Begründung keine Stütze finden. Zulässig sind nur solche Erwägungen, die an die bereits vorhandene Rechnungsbegründung ansetzen.

Würde man zulassen, dass die behandelnden Ärzte zeitlich unbegrenzt solange neue Gründe für die vorgenommene Erhöhung des Gebührensatzes über den 2,3fachen Satz hinaus anführen können, bis irgendwann eine insoweit tragfähige Begründung gefunden ist, liefe das darauf hinaus, dass eine abschließende Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen immer wieder herausgeschoben würde. Für die Beihilfestellen wäre es praktisch nicht handhabbar, bei jeder nachträglich neu vorgebrachten Begründung ihren Beihilfebescheid wieder abändern zu müssen.

Im vorliegenden Fall fällt zudem auf, dass die zahnmedizinische Behandlung des Klägers zum Zeitpunkt der Verfassung der ergänzenden Stellungnahme der behandelnden Zahnärztin schon einige Zeit zurück lag, sodass fraglich ist, ob sich die behandelnde Zahnärztin einen Monat nach der letzten Behandlung des Klägers überhaupt noch an die Besonderheiten des Einzelfalls des Klägers erinnern konnte, zumal die ergänzend vorgebrachten Begründungen sehr pauschal und formelhaft wirken.

2.2.2
Unabhängig davon entsprechen die ergänzend für die Schwellenwertüberschreitungen vorgebrachten Begründungen aber auch inhaltlich nicht den Vorgaben des § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbsatz 2 GOZ.

Zwar genügen nach Ansicht des OVG Lüneburgs die drei Begründungen „starker Speichelfluss und schwierige Zugänglichkeit durch enge Mundöffnung und erhöhter Wangentonus" zusammen genommen, um überdurchschnittliche Schwierigkeiten des konkreten Behandlungsfalls zu belegen (OVG Lüneburg U. v. 5.4.2011 - 5 LB 231/10, BeckRS 2011, 50014, beck-online). Gleichzeitig führt das OVG Lüneburg jedoch aus, dass es Zweifel daran hat, ob jede dieser Begründungen für sich geeignet wäre, überdurchschnittliche Schwierigkeiten darzulegen. Der Ansicht, dass allein die Kumulation einzelner, per se eine Schwellenwertüberschreitung nicht rechtfertigender Gründe dazu führt, dass sie nun doch als ausreichende Begründung eines erhöhten Gebührensatzes angesehen werden können, kann das erkennende Gericht nicht folgen.

Hinzu kommt, dass die hier vorgelegten Begründungen „geringe" Mundöffnung, „starker" Speichelfluss, eingeschränkte Sicht und hypermobile Zunge zu allgemein formuliert und objektiv zu wenig nachprüfbar sind, um Besonderheiten des Einzelfalls zu rechtfertigen. Was genau unter einer „geringen" Mundöffnung oder einem „starken" Speichelfluss zu verstehen ist, ist unklar. Eine patientenbezogene Darstellung, inwiefern und weshalb die Mundöffnung bei dem konkret behandelten Patienten, abweichend von der Mehrzahl er Fälle besonders gering war, der Speichelfluss besonders stark, die Sicht auf das Behandlungsgebiet besonders eingeschränkt oder die Mobilität der Zunge besonders hervorgehoben war, lässt die Rechnung vermissen. Auch das VG Düsseldorf (U. v. 13.12.2016 - 26 K 4790/15 - juris) führt hierzu richtigerweise in einem ähnlich gelagerten Fall aus: Zwar ist zuzugestehen, dass die von der Zahnarztpraxis gegebene Begründung die bei der Klägerin durchgeführte Behandlung innerhalb des gesamten Schwierigkeitsrahmens ausdrücklich dem "überdurchschnittlichen" Bereich zuordnet. Allerdings macht die Begründung nicht deutlich, dass diese Behandlung am oberen Ende der Schwierigkeitsskala anzusiedeln ist. Der "überdurchschnittliche" Schwierigkeitsbereich umfasst nämlich die Steigerungssatzskala von 2,4 bis 3,5; auch eine nur leicht überdurchschnittliche Schwierigkeit ist eine überdurchschnittliche Schwierigkeit, vermag dennoch nicht die hier vorgenommene Berechnung des 3,5-fachen Steigerungssatzes zu rechtfertigen. Deshalb sind auch die sonstigen verbalen Umschreibungen der Zahnarztpraxis ("besondere" Maßnahmen, "hohe" Verletzungsgefahr, "starke/übermäßige" Blutung) viel zu allgemein gehalten, um zum Ausdruck bringen zu können, dass es sich beim konkreten Behandlungsfall der Klägerin um einen solchen gehandelt haben soll, der an die zahnärztliche Praxis außergewöhnliche - am oberen Ende der Schwierigkeitsskala angesiedelte - Anforderungen gestellt hat.

Pauschale Hinweise auf eine hypermobile Zunge, eine eingeschränkte Mundöffnung, einen starken Speichelfluss sowie eine eingeschränkte Sicht vermögen einen erhöhten Gebührenfaktor bei sämtlichen Leistungsziffern nicht zu begründen. Eine hypermobile Zunge und ein starker Speichelfluss stellen eine typische Stressreaktion auf eine zahnmedizinische Behandlung dar, deren Auftreten in der Mehrzahl der Behandlungsfälle zu erwarten ist. Auch eine eingeschränkte Sicht ist bei Behandlungen im schwer einsehbaren Mundraum stets gegeben. Dass das Vermögen, nach einer langen zahnmedizinischen Behandlung den Mund offen zu halten, zunehmend nachlässt, versteht sich ebenfalls von selbst. Besonderheiten des Einzelfalls wären nur dann nachvollziehbar geltend gemacht worden, wenn der behandelnde Zahnarzt im Einzelfall konkret darlegt, warum etwa bei dem Kläger der Speichelfluss im Vergleich zu anderen Fällen besonders stark oder wieso die Mundöffnung deutlich geringer als in der Mehrzahl der Fälle war.

2.3
Auch die übrigen, bereits in der Rechnung enthaltenen Begründungen für die Schwellenwertüberschreitung genügen den durch § 5 GOZ und durch die Rechtsprechung gestellten Anforderungen nicht. Im Einzelnen:

2.3.1
Die Abrechnung einer 3,5-fachen Gebühr anstelle einer 2,3-fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 2030 wurde mit dem mehrfachen Einlegen von Retraktionsfäden vor, während und nach der Präparation begründet. Inhalt der Leistungsziffer 2030 sind nach dem GOZ Kommentar der Bundeszahnärztekammer (Stand Dezember    2017, abrufbar     unter:

www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/goz/nov/goz-kommentar-bzaek.pdf)

besondere Maßnahmen beim Präparieren oder Füllen von Kavitäten (zum Beispiel Separieren, Beseitigen störenden Zahnfleisches, Stillung einer übermäßigen Papillenblutung), je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich, zum Beispiel durch die Verwendung von Klammern, Keilen, (getränkten) Retraktionsfäden, Tinkturen oder Ähnliches. Das Legen von Retraktionsfäden ist damit Leistungsinhalt der abgerechneten Gebührenziffer und kann somit nicht für die Begründung des besonderen Erschwernisses des Behandlungfalles herangezogen werden. Auch das Verwenden von mehreren Retraktionsfäden im Zuge einer Präparation entspricht dem Üblichen. Es wurden keine patientenbezogenen Besonderheiten dargelegt, warum etwa gerade bei dem Kläger aufgrund individueller Besonderheiten besonders viele Retraktionsfäden gelegt werden mussten. Dies ergibt sich auch nicht aus den nachträglich vorgebrachten Gründen.

2.3.2
Die Schwellenwertüberschreitungen hinsichtlich der abgerechneten Gebührenziffern 2220, 2100, 2080 und 2060 wurden allesamt mit einer erschwerten Retentionsgewinnung und einer Anwendung der Mehrfarbentechnik bzw. schwierigen speziellen Farbanpassung begründet. Zwar könnte in der Anwendung der Mehrfarbentechnik ein Indiz für einen zusätzlichen Aufwand für die Leistungen nach den Ziffern 2220, 2100, 2080 und 2060 gesehen werden (so der Kommentar der Bundeszahnärztekammer (a. a. O.) zu den GOZ Ziffern 2200, 2100, 2080 und 2060). Allerdings genügen nach der Rechtsprechung rein verfahrensbezogene Besonderheiten zur Rechtfertigung der Schwellenwertüberschreitung nicht, vielmehr muss der den Ausschlag für die Schwellenwertüberschreitung gebende vermehrte Aufwand auf eine beim betreffenden Patienten bestehende außergewöhnliche Konstitution zurückzuführen sein (s. o.). Hier lässt sich der Begründung weder entnehmen, dass sich die Anwendung der Mehrfarbentechnik im Fall des Klägers aufgrund individueller Besonderheiten und abweichend von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle besonders schwierig gestaltet hätte, noch dass mit der Anwendung der Mehrfarbentechnik gerade im Fall des Klägers ein besonderer, die durchschnittliche Anwendungsdauer erheblich überschreitender Zeitaufwand verbunden gewesen wäre (vgl. auch VG Saarlouis U. v. 26.5.2017 - 6 K 468/16, BeckRS 2017, 120171, beck-online). Auch die übrigen Begründungen lassen einen von der Mehrzahl der Behandlungsfälle abweichenden erhöhten Mehraufwand der behandelnden Zahnärztin nicht erkennen. Warum die Retentionsgewinnung erschwert gewesen sein soll, wurde nicht begründet und ist daher nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die behauptete besonders schwierige spezielle Farbanpassung. Zumal hier die Füllungen ausschließlich an von außen schwer einsehbaren Seitenzähnen vorgenommen wurden, bei denen der Farbanpassung der Füllung offensichtlich weniger Gewicht zukommt, als bei den von außen leicht einsehbaren Frontzähnen.

Auch die Schwellenwertüberschreitung hinsichtlich der Gebührenziffern 2220, 2100, 2080 und 2060 wurde damit nicht ausreichend begründet.

2.3.3
Die Abrechnung einer 3,5-fachen Gebühr anstelle einer 2,3-fachen Gebühr hinsichtlich der GOZ Ziffer 7010 wurde mit einer Kiefergelenkssymptomatik (Dysfunktion/en) begründet. Die Leistungsziffer 7010 dient nach dem GOZ Kommentar der Bundeszahnärztekammer - unabhängig von der Art der Herstellung - der Abrechnung aller Arten von therapeutischen Aufbissbehelfen, z. B. Repositionierungs-/Relaxierungsschienen, Distraktionsschienen und Tiefziehschienen mit adjustierter Oberfläche. Diese dienen der Stabilisierung oder Veränderung der Bisslage mittels Führung des Unterkiefers nach Definition einer physiologischen oder therapeutischen Okklusion und Artikulation. Eine Kiefergelenkssymptomatik ist daher Indikation für die Eingliederung einer Aufbisshilfe und kann keine einzelfallabhängige Besonderheit der konkreten Behandlung begründen. Auch diese Begründung ist daher für die Schwellenwertüberschreitung nicht ausreichend.

Die Beihilfe wurde damit durch das Landesamt für Finanzen mit Beihilfebescheid vom 17. Mai 2017 korrekt berechnet.

3.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

 

 

 


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