Honorarvereinbarung bei schwierigem Krankheitsbild

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

Eine wegen eines schwerwiegenden Krankheitsfalles und daraus resultierender schwerer Behandlung geschlossene Honorarvereinbarung rechtfertigt die auch durchgängige Berechnung des 3,5-fachen Gebührensatzes.

 

Urteilstext


Tenor

 

1.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger EUR 2.522,12 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.10.2011 zu zahlen.

2.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

 

Der Kläger ist ein niedergelassener Privatzahnarzt, der eine reine Privatpraxis spezialisiert auf Behandlungen von Patienten mit funktionellen bzw. Kiefergelenksproblemen, betreibt. Im März 2011 erschien die die an einer ausgeprägten skelettalen Dysgnathie litt, zur Behandlung in der Praxis des Klägers. Dieser nahm am 30.03.2011 eine funktionsanalytische Untersuchung vor und erstellte sodann einen Heil- und Kostenplan vom 30.03.2011 mit Honorarvereinbarung nach § 2 GOZ, den die am 07.06.2011 unterzeichnete und an den Kläger zurücksandte. Der Kläger führte in der Folge, beginnend am 28.06.2011 bis zum 07.07.2011 in kurzen Abständen bei der … eine funktionstherapeutische Behandlung durch, die er dieser mit Rechnung vom 11.07.2011 in Höhe eines Betrages von EUR 3.453,85 EUR in Rechnung stellte und die die … in voller Höhe beglich (auf die Rechnung vom 11.07.2011, BI. 58 ff. d. A. wird Bezug genommen). In der Folge führte der Kläger im Zeitraum vom 21.07.2011 bis zum 12.09.2011 weitere zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen bei der durch, die er dieser mit Rechnung vom 15.09.2011 über einen Betrag in Höhe von EUR 2.522,12 EUR in Rechnung stellte (auf die Rechnung vom 15.09.2011, BI. 23 ff. d. A. wird Bezug genommen). Eine Begleichung dieser Rechnung erfolgte nicht.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Zahlung der Behandlungskosten gemäß Rechnung vom 15.09.2011. Er behauptet, bei den mit Rechnung vom 15.09.2011 in Rechnung gestellten Tätigkeiten handele es sich insgesamt um Maßnahmen, die Bestandteil der funktionstherapeutischen Behandlung waren, nicht um Nachbesserungsarbeiten betreffend der mit Rechnung vom 11.07.2011 abgerechneten Behandlungsmaßnahmen. Diese durchgeführten funktionstherapeutischen Maßnahmen seien insgesamt medizinisch notwendig gewesen und hätten einer systematischen Schienenbehandlung entsprochen. Die Rechnung vom 15.09.2011 sei insgesamt ordnungsgemäß erstellt. Soweit Leistungen mit einem Gebührensatz von 3,5 abgerechnet worden seien, sei dies angemessen, da die zugrundeliegenden Maßnahmen durchgängig äußerst schwierig und zeitaufwändig gewesen seien. Der Zusammenbiss bzw. die Bissposition der Beklagten habe sich sehr häufig mit wechselnden Beschwerden geändert, weswegen jeweils eine neue Situation mit der Notwendigkeit einer neuen Befunderhebung eingetreten sei. Die Gebührenziffern Ä 0001 und Ä 0005 seien jeweils neu angefallen und daher zu Recht neunmal berechnet worden. Die Berechnung der Laborziffern B 8015 und B 8019 sei wegen krankheitsbedingter Anpassung der Schienen jeweils notwendig und daher zu berechnen gewesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger EUR 2.522,12 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, es liege keine wirksame Privatbehandlungs- und Vergütungsvereinbarung vor, da die tatsächliche Behandlung der Beklagten bereits mit der Untersuchung am 30.03.2011 und damit vor Abschluss der Privatbehandlungs- und Vergütungsvereinbarung begonnen habe. Der sei zudem zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass der Kläger eine reine Privatpraxis betreibe. Bei den in der Rechnung vom 15.09.2011 aufgeführten Leistungen handele es sich im Übrigen um Gewährleistungsmaßnahmen hinsichtlich der bereits mit Rechnung vom 11.07.2011 abgerechneten Leistungen, die daher nicht zu vergüten seien. Die eigentlichen Leistungen, auf die sich auch der Kostenvoranschlag beziehe, seien insgesamt bereits in der Rechnung vom 11.07.2011 abgerechnet gewesen. Eine Überschreitung des Faktors 2,3 in sämtlichen Gebührenziffern der Rechnung vom 15.09.2011 und vom 11.07.2011 sei im Übrigen nicht hinreichend begründet und auch nicht angemessen.

Hilfsweise rechnen die Beklagten mit einem Rückforderungsanspruch in Höhe von 1.041,07 EUR mit der Begründung auf, die in der Rechnung vom 11.07.2011 mit dem 3,5- fachen Faktor berechneten Gebührenziffern seien aus oben genannten Gründen zumindest auf den 2,3-fachen Faktor zu reduzieren mit der Folge, dass hinsichtlich dieser Rechnung eine Überzahlung der Verstorbenen in Höhe von EUR 1.041,07 vorliege.

Zudem habe die Sprechstundenhilfe des Klägers mit der … einen Behandlungstermin für den 14.05.2011 vereinbart, zu dem sie umsonst angereist sei, da es sich bei diesem Tag um einen Feiertag gehandelt habe. Der Erblasserin seien hierdurch Bahnticketkosten in Höhe von EUR 150,32 EUR entstanden, mit denen die Beklagten höchst hilfsweise die Aufrechnung erklären.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Es ist Beweis erhoben worden gemäß Beweisbeschluss vom 16.04.2013 mit Ergänzung durch Beschluss vom 15.08.2013 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen dessen Inhalt wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 13.04.2016 sowie dessen Ergänzungsgutachten vom 22.02.2017 verwiesen.


Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 2.522,12 EUR aufgrund des zwischen ihm und der … abgeschlossenen Behandlungsvertrages gegen die Beklagten als Rechtsnachfolger voller Höhe zu (§§ 611, 612 BGB).

Die Rechnung des Klägers vom 15.09.2011 ist der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Soweit die Beklagten unter Verweis auf § 4 Abs. 5 BMV-Z einwenden, der Kläger wäre verpflichtet gewesen, mit der … als gesetzlich Versicherte eine Vereinbarung zu treffen, wonach sich diese als Privatpatienten behandeln lassen wolle, greift § 4 Abs. 5 BMV-Z vorliegend nicht, da der Kläger. Eine reine Privatpraxis betreibt. Eine entsprechende Vereinbarung, sich als Privatpatienten behandeln lassen zu wollen, bedurfte es daher nicht.

Soweit der Kläger im Übrigen teilweise einen den 3,5-fachen Steigerungssatz übersteigenden Faktor abgerechnet hat, hatte die eine entsprechende Honorarvereinbarung mit dem Kläger getroffen, an deren Wirksamkeit jedenfalls hinsichtlich der mit Rechnung vom 15.09.2011 abgerechneten Leistungen keine Zweifel bestehen.

Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 13. April 2016 sowie seinem Ergänzungsgutachten vom 22.02.2017, denen sich das Gericht anschließt, handelt es sich bei den vom Kläger mit Rechnung vom 15.09.2011 abgerechneten Leistungen nicht um Nachbesserungs- bzw. Gewährleistungsarbeiten der mit Rechnung vom 11.07.2011 abgerechneten Behandlungsmaßnahmen, sondern um die Fortführung der noch nicht erfolgreich abgeschlossenen Behandlung, wobei die in der Rechnung vom 15.09.2011 abgerechneten Maßnahmen medizinisch notwendig waren.

Die Schwere der Erkrankung der … sowie der hierdurch bedingt enorme Zeitaufwand zur Behandlung rechtfertigen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zudem den Ansatz eines 3,5-fachen Gebührensatzes bei den einzelnen Gebührenpositionen.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 22.02.2017 erfolgte zu jedem Behandlungsdatum eine neue Diagnose der Schienenposition und der auftretenden Beschwerden mit der Folge, dass auch der neunmalige Ansatz dieser Gebührenpositionen gerechtfertigt ist.

Vom Sachverständigen ist zuletzt überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass auch die abgerechneten Nummern 705 und 706 in der Rechnung vom 15.09.2011 zu Recht erfolgt ist, da bei der … in jeder Sitzung veränderte Unterkieferpositionen vorlagen, die eine erneute Zuordnung des Unterkiefers mit der Schiene zum Oberkiefer und insoweit Einschleifmaßnahmen (Gebühren Ziffer 705) und aufbauende Maßnahmen (Gebühren Ziffer 706) notwendig machten. Diese Maßnahmen können und konnten nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht auf zahnärztliches Personal delegiert werden, da hierfür besondere Kenntnisse der Okklusion und der Artikulation notwendig sind, weswegen angesichts der Komplexheit und der Schwere des Falles nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch der hierfür angesetzte Gebührenfaktor angemessen ist.

Die mit den Gebührenziffern B 8015 und B 8019 abgerechneten Kosten fallen nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen für die aufbauenden Maßnahmen mit Kunststoff an, da diese, anderes als die Einschleifmaßnahmen, im Labor erfolgen und sind daher in der Rechnung vom 15.09.2011 richtigerweise abgerechnet.

Zuletzt greift auch der Einwand der Beklagten, die in der Rechnung vom 15.09.2011 abgerechneten Leistungen seien - jedenfalls teilweise - nicht im Heil- und Kostenplan vom 30.03.2011 ausgewiesen, nicht. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen sind sämtliche in der Rechnung vom 15.09.2011 wie auch in der Rechnung vom 11.07.2011 aufgeführten Leistungen in dem Heil- und Kostenplan ausgewiesen, sie variieren lediglich ihrer Anzahl nach. Dies ist letztlich dadurch begründet, dass die Dauer der Behandlung und die Menge der erforderlichen Maßnahmen im Vorfeld nicht planbar sind.

Nach alledem ist die Rechnung vom 15.09.2011 dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden mit der Folge, dass dem Kläger gegen die Beklagten als Rechtsnachfolger … der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 2.522,12 EUR in voller Höhe zusteht.

Aufrechenbare Gegenansprüche stehen den Beklagten nicht zu.

Soweit die Beklagten hilfsweise die Aufrechnung mit Rückzahlungsansprüchen aus der Rechnung vom 11.07.2011 in Höhe von EUR 1.041,07 EUR erklären, steht ihnen ein solcher Rückzahlungsanspruch nicht zu, da auch die Rechnung vom 11.07.2011 nicht zu beanstanden ist.

Hinsichtlich der den einzelnen Gebührenziffern in dieser Rechnung zugrunde gelegten Gebührenfaktor gilt das oben Gesagte. Der grundsätzliche Ansatz einer 3,5-Gebühr ist angesichts der Schwierigkeit der Behandlungsmaßnahme und der Schwere des Falles angemessen.

Im Übrigen haben der Kläger und die … wirksam eine Honorarvereinbarung getroffen. Nach dem Vorbringen in ihrem Schriftsatz vom 07.01.2013 begann ihre Behandlung am 28.06.2011. Am 30.03.2011 erfolgte lediglich eine funktionsanalytische Untersuchung zur Feststellung des Behandlungsbedarfs und der vorzunehmenden Behandlungen, aufgrund derer dann der Heil- und Kostenplan erstellt wurde. Behandlungsmaßnahmen, die mit einem über dem Faktor 3,5 liegenden Gebührensatz abgerechnet wurden, wurden, wie sich auch aus der Rechnung vom 11.07.2011 ergibt, erst ab dem 28.06.2011 und damit nach Abschluss der Honorarvereinbarung vorgenommen mit der Folge, dass dieser Abrechnung nicht § 2 Abs. 1 GOZ entgegensteht.

Zuletzt steht den Beklagten auch kein Anspruch auf Erstattung von der … entstandener Bahnticketkosten für eine Bahnfahrt von Frankfurt am Main und zurück am 15.08.2011 zu. Soweit die Beklagten ihren Anspruch darauf stützen, von einer Sprechstundenhilfe des Klägers sei fälschlicherweise ein Termin für diesen Tag mit … vereinbart worden, trifft die Beklagten hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Der Kläger hat hierzu substantiiert dargelegt, dass eine Terminvereinbarung für diesen Tag bereits deswegen gar nicht möglich gewesen wäre, weil das von ihm verwendete Computerprogramm die Vereinbarung eines Termins an einem Feiertag - ein solcher war der 15.08.2011 - grundsätzlich nicht zulässt und auch aus der Patientenkarteikarte eine Terminvereinbarung für den 15.08. nicht vorlag.

Die … erschien nach dem substantiierten Vortrag des Klägers, dem die Beklagten nicht entgegengetreten sind, vielmehr ohne vorherige Terminvereinbarung mehrfach während des Urlaubes des Klägers, während ausweislich der vom Kläger eingereichten Abschrift der Patientenkarteikarte nach einem Termin am 11.08.2011 eine Wiedervorstellung erst nach dem Urlaub des Klägers für den 20.09.2011 vereinbart war.

Auch wenn die … am 12.08.2011 beim Kläger angerufen haben sollte, kann hieraus aufgrund der vorgenannten Tatsachen nicht geschlossen werden, dass an diesem Tag versehentlich ein Termin für den 15.08.2011 vereinbart wurde. Der entsprechende fehlende Eintrag in der Patientenkartei und die Tatsache, dass mehrfach unangemeldet beim Kläger erschien, lassen vielmehr eher den Rückschluss zu, dass diese auch am 15.08.2011 beabsichtigte, unangemeldet beim Kläger zu erscheinen.

Nach alledem stehen den Beklagten keine aufrechenbare Gegenansprüche gegen den Kläger zu mit der Folge, dass sie zur Zahlung des Rechnungsbetrages gemäß Rechnung vom 15.09.2011 in Höhe von EUR 2.522,12 verpflichtet sind.

Der weiter geltend gemachte Zinsanspruch ist nach den §§ 286 Abs. 3, 288 Abs. 1 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 ZPO.

 

 

 


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