Medizinische Notwendigkeit von BCS-Implantaten

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

Bei BCS-Implantaten handelt es sich nicht um eine Methode der Schulmedizin, sondern um eine „Außenseitermethode“, die im entschiedenen Fall nicht medizinisch notwendig war.

Urteilstext


Tenor



1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrags vorläufig vollstreckbar.

 

Beschluss


Der Streitwert wird auf 15.589,64 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand



Die Parteien streiten über Leistungen aus einer Zahnzusatzversicherung.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten in Ergänzung zur gesetzlichen Krankenversicherung eine Zahnzusatzversicherung in der Tarifkombination _ und _ unter der Versicherungsnummer _. Die Ehefrau des Klägers, Frau _ ist mitversicherte Person in diesem Vertrag. Im Rahmen dieser Zahnzusatzversicherung sind medizinisch notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen versichert. Zu den versicherten Leistungen gehören unter anderem implantologische Leistungen (Ziffer 1.2 der AVB, Anlage K 1a), wobei die Beklagte 85 % der Aufwendungen ersetzt und hiervon die Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung abzieht.
Nach dem Tarif _ sind Aufwendungen über dem Höchstsatz der GOZ ebenso wie funktionsanalytische/-therapeutische Maßnahmen nicht erstattungsfähig (vgl. Ziffer 2.1 der Anlage BLD 2).

Nach § 3 AVB (Anlage BLD 1) leistet die Beklagte für medizinisch notwendige Heilbehandlungen. Nach § 10 AVB besteht ein grundsätzlicher Vorrang schulmedizinischer Behandlungsmethoden. Danach leistet die Beklagte im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Sie leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen.

Der Oberkiefer der Mitversicherten _ musste mit Implantaten versorgt werden. Der Zahnarzt _ der Mitversicherten hatte eine entsprechende Versorgung des Oberkiefers mit lmplantaten vorgesehen. Nach der Extraktion von sieben Zähnen äußerte er jedoch Zweifel, ob aufgrund des schmalen Oberkieferknochens eine Behandlung mit lmplantaten erfolgversprechend sei. Hierfür müsse zunächst ein Knochenaufbau mit einer Behandlungsdauer von 2 1/2 bis 3 Jahren durchgeführt werden, ohne Gewähr, dass die lmplantate dann auch tatsächlich halten würden.

Die mitversicherte Ehefrau des Klägers nahm im Zeitraum vom 02.05.2019 bis 26.08.2019 schließIich zahnärztliche Leistungen in der Praxisklinik _ in _ in Anspruch. Gemäß Heil- und Kostenplan vom 03.05.2019 wurden im Oberkiefer zwölf Bicortikalschrauben, also BCS-lmplantate, eingebracht. Die behandelnde Klinik stellte unter dem 02.12.2019 insgesamt 18.868,21 EUR in Rechnung (Anlage K4). Die gesetzliche Krankenkasse zahlte hierfür einen Zuschuss in Hohe von 448,34 EUR. Der restliche Rechnungsbetrag in Höhe von 18.419,87 EUR wurde von der Mitversicherten bezahlt. Die Beklagtemitgeteilt hatte, dass sie für das Behandlungskonzept wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit nicht eintreten werde. Auf den Einspruch der Mitversicherten hin, hatte die Beklagte mit Schreiben vom 08.07.2019 (Anlage K 2) erneut die Übernahme der Kosten abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 31.01.2020 (Anlage K5) forderten die späteren Klägervertreter die Beklagte zur Leistung auf unter Fristsetzung auf den 14.02.2020.

Der Kläger behauptet, dass die Einbringung von BCS-lmplantaten medizinisch notwendig gewesen sei, da die Verwendung klassischer lmplantate aufgrund eines bei der Mitversicherten bestehenden zunehmenden Knochenschwundes erst nach einem mit einem aufwendigen verbundenen Knochenaufbau möglich gewesen wäre. Die BCS-lmplantate seien wissenschaftlich mit Langzeitstudien dokumentiert, bewährt und von der Schulmedizin überwiegend anerkannt. Es handele sich mithin nicht um eine „Außenseitermethode". Der Kläger ist der Auffassung, dass die
Mitversicherte für die Behandlung einen Anspruch auf Versicherungsleistung in Höhe von 15.589,64 EUR (18.868,21 EUR x 85% - 448,34 EUR) habe.

Der Kläger beantragt daher zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an Frau _ 15.589,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz daraus seit dem 15.2.2020 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro nebst Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt zuletzt, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Behandlung der Mitversicherten mit zwölf BCS-lmplantaten im Oberkiefer sei medizinisch nicht notwendig gewesen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass einige in der Rechnung enthaltenen Positionen ausgeschlossen bzw. nicht nach dem Preis- und Leistungsverzeichnis des Tarifs berechnet sind, sodass sich selbst bei unterstellter Eintrittspflicht ein maximaler Erstattungsbetrag in Höhe von 13.294,93 EUR errechne. Die Eintrittspflicht beschränke sich allerdings auf eine allgemein anerkannte und geeignete Behandlungsmethode bzw. in Ermangelung einer solchen auf eine wahrscheinlich zu Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest zur Verlangsamung geeignete Methode. 

Die am 10.08.2020 beim Landgericht Augsburg eingegangene Klageschrift vom 06.08.2020 (Bl. 1/8d.A.) wurde der Beklagten ausweislich der vorliegenden Postzustellungsurkunde am 27.08.2020zugestellt. Mit Beschluss vom 08.10.2020 (Bl. 26/27 d.A.) wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Das Gericht erholte mit Beweisbeschluss vom 21.07.2021 (Bl. 60/62 d.A.), ein mund-, kiefer- und gesichtschirurgisches Fachgutachten, das der Sachverständige _ unter dem 30.09.2022 (Bl. 143/164 d.A.) erstattete, unter dem 25.07.2023 (Bl. 281/295) ergänze und in der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2024 erläuterte. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vom 14.07.2021 (Bl. 52/58 d.A.) und 31.01.2024 (Bl. 336/345 d.A.) sowie den sonstigen Akteninhalt.

 

Entscheidungsgründe



Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

I. Zulässigkeit

Das Landgericht Augsburg ist gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich sowie gemäß § 215 Abs. 1 VVG örtlich zuständig. Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

II. Begründetheit

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen für die durchgeführte Implantatbehandlung, da diese Behandlung nicht medizinisch notwendig im Sinne der §§ 3, 10 AVB war.

Zur Notwendigkeit einer medizinischen Heilbehandlung verweist das Gericht den Sachverständigen auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts Nürnberg im Urteil vom 23.11.2015 - 8 U 935/14 (= BeckRS 2016, 1682).

„Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist eine Heilbehandlung medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Dies ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern (BGHZ 154, 154 = NJW 2003, 1596 = r + s 2003, 246 = MedR 2003, 407).

Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung wird – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – zur Bestimmung des Versicherungsfalls ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein (BGHZ 133, 208 = NJW 1996, 3074 = r + s 1996, 457 = MedR 1997, 172).

Auf der anderen Seite ist wegen der Besonderheiten der Medizin und dem Fortschreiten ihrer Erkenntnisse einerseits und der Unsicherheiten bei der Diagnostik anderseits ein Behandlungskorridor eröffnet, der mehrere Behandlungsmethoden als medizinisch vertretbar erscheinen lässt. Der dem Versicherer erkennbare Zweck des Versicherungsvertrags wäre für den Versicherten nicht erreicht, wenn nicht alle innerhalb des aus ärztlicher Sicht Vertretbaren liegenden Behandlungsmethoden und Behandlungsschritte abgedeckt wären. Denn dann träfe den Versicherten das finanzielle Risiko, wenn sich ex post eine andere Methode als vorzugswürdig herausstellt (Voit in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl.,
§ 192 Rn. 61).

[...]

Die Einbeziehung von Kostengesichtspunkten lässt sich der Auslegung des § 1 II 1 MB/KK 94 in den Grenzen des § 5 II MB/KK 94 nicht entnehmen (vgl. BGHZ 154, 154 = NJW 2003, 1596 = r + s 2003, 246 = MedR 2003, 407).

Stehen mehrere geeignete Behandlungsmethoden zur Verfügung, ist die konkrete Auswahl eine Frage der medizinischen Vertretbarkeit (vgl. BGH, NJW 1979, 1250; Voit in Prölss/Martin, VVG, § 192
Rn. 63; Egger, VersR 2011, 705 [710]).“

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die BCS-Implantate nicht die Methode der Schulmedizin sind, da der Kläger lediglich behauptet, dass BCS-Implantate von der Schulmedizin überwiegend anerkannt wären, zumindest aber sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt hätten. Weiter sind sich die Parteien einig, dass jedenfalls nach Durchführung eines Knochenaufbaus – unter Inkaufnahme der damit verbundenen zeitlichen Verzögerung - die Verwendung herkömmlicher Implantate, wenn auch ohne Gewähr eines Behandlungserfolgs, möglich gewesen wäre. Der Kläger konnte letztlich jedoch nicht beweisen, dass die durchgeführte Behandlung sich aus ex ante-Sicht ebenso erfolgversprechend bewährt hätte wie eine von der Schulmedizin anerkannte Behandlung und dass keine schulmedizinisch anerkannten Methoden zur Verfügung gestanden hätten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die sich das Gericht nach Prüfung zu Eigen macht, steht fest, dass es sich bei der gewählten Behandlungsmethode mit BCS-Implantaten um eine „Außenseitermethode“ handelt (Bl. 16/18. des Gutachtens vom 30.09.2022), welche im konkreten Fall nicht medizinisch notwendig war. So hat der Sachverständige festgestellt, dass die implantatgetragene Versorgung der Mitversicherten zwar grundsätzlich notwendig, hierfür aber in jedem Fall ein vorheriger Knochenaufbau zwingend erforderlich war. So projizieren sich die BCSImplantate zum Teil (Implantate 18 und 28), auch entgegen auch der eigenen Forderung dieses Systems, nicht in die corticalen Anteile des Tubers und die Gewindeanteile sind im reduzierten spongiösen Knochen inseriert. Damit wurde das systemeigene OP-Protokoll verlassen bzw. vorsätzlich nicht eingehalten. Denn ein Einhalten dieses OP-Protokolls war auf Grund des Knochenmangels gar nicht möglich (Bl. 15. des Gutachtens vom 30.09.2022 so- wie S. 2/3 des Protokolls vom 31.01.2024). Zudem sieht das Operationsprotokoll des verwendeten BCS-Systems vor, dass die Schrauben der Implantate 18 und 28 in Bereiche gesetzt werden, in welche nach dem allgemein anerkannten medizinischen Standards nicht gebohrt werden sollte, da die Gefahr der Schädigung von dort verlaufenden Nerven oder Schlagader besteht (S. 3 des Protokolls vom 31.01.2024). Weiter hat der Sachverständige festgestellt, dass die verwendeten fest verankerten Implantate auf Dauer in Bezug auf die eingeschränkte Hygienefähigkeit als problembehaftet zu erachten ist und nach gängier Erfahrung eine plaquebedingte periimplantäre Gingivitis/Mukositis entstehen kann.

Aus der klägerseits zitierten Entscheidung des Landgerichts Köln (23 O 510/20) folgt nichts anderes. Die in dem dortigen Fall vom Sachverständigen herangezogenen Studien sind zum Teil schon nicht in den gängigen Datenbanken auffindbar und haben im Übrigen völlig andere Implantatsysteme mit einem anderen Operationsprotokoll zum Gegenstand, sodass keine Rückschlüsse auf das streitgegenständliche System gezogen werden können (Bl. 8/9 des Ergänzungsgutachtens vom 25.07.2023).

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Versorgung mit BCS-Implantaten nicht medizinisch notwendig war und nicht die Methode der Schulmedizin ist. Vielmehr handelte es sich um eine Wunschleistung der Mitversicherten zur Vermeidung eines (allerdings nach Feststellungen des Sachverständigen in jedem Fall zwingend erforderlichen) zeitintensiven Knochenaufbaus. 

Die Beklagte ist gemäß §§ 2, 10 AVB nicht zur Leistung verpflichtet. Die Klage war nach alledem
abzuweisen.

Mangels eines Leistungsanspruches konnte sich die Beklagte nicht mit der Leistung in Verzug befinden, sodass Zinsen sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht als Verzugsschaden zu erstatten sind. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

III. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO auf den in der Hauptsache geltend gemachten Betrag
festzusetzen. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten bleiben bei der Streitwertfestsetzung außer Betracht
(§ 4 Abs. 1 ZPO).
 


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