Urteilstext
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.985,87 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.10.2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten Ober dem Basiszinssatz seit dem 06.10.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 45 % und der Kläger zu 55 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Leistungsansprüche des Klägers für vier Zahnimplantate in den Bereichen 24, 26, 27 und 28 aus einem bei der Beklagten bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrag.
Der Kläger unterhielt bei der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum eine private Zahnzusatzversicherung in den Tarifen GE und ZEG. Für die dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) MB/KK 2009 und die Tarifbedingungen GE und ZEG wird auf die Anlagen B 1- 3, BI. 71 ff d. GA, verwiesen. Für den Versicherungsschein wird auf die Anlage K 1, BI. 4 d. GA, Bezug genommen. Erstattungsfähige Aufwendungen für Implantate werden hiernach zu 65 % ersetzt, wobei die Erstattung ist auf Regelhöchstsätze begrenzt ist. Nicht erstattungsfähig sind Aufwendungen für Funktionsanalyse. Der Kläger wurde im Jahr 2019 zahnmedizinisch behandelt und erhielt insgesamt vier Zahnimplantate mit bicortikalen Schrauben (BCS-Implantate) in den Bereichen 24, 26, 27 und 28. Der behandelnde Zahnarzt ___, stellte seine Leistungen unter dem 13.01.2020 mit insgesamt 6.744,22 EUR in Rechnung, die der Kläger beglich, wobei hiervon Beträge von 184,20 EUR und 75,59 EUR auf Funktionsanalyse entfielen sowie Beträge von 765,75 EUR und 793,58 EUR über den Regelhöchstsätzen und ein Betrag von 707,16 EUR über den tariflicher Höchstbeträgen für Material- und Laborkosten lagen. Für die Rechnung wird auf die Anlage K2, BI. 20 ff d. GA Bezug genommen. Als Festzuschuss der gesetzlichen Krankenkasse wurden dem Kläger 755,79 EUR bewilligt. Mit Leistungsabrechnung vom 10.03.2020 lehnte die Beklagte die tarifanteilige Erstattung unter Verweis auf fehlende klinische Langzeitstudien zu den verwendeten BCS-Implantaten gänzlich ab. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte die Beklagte mit Email vom 14.05.2020 erfolglos zur Zahlung auf. Mit der Klage macht der Kläger tarifanteilige Erstattung (65% von 6.744,22 EUR) seiner Aufwendungen für die implantologische Behandlung geltend.
Der Kläger behauptet, die Implantate in den Bereichen 24, 26, 27 und 28 seien medizinisch notwendig.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zur Zahlung von 4.383,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen;
2. die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 492,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
I.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Anspruch sei aufgrund tariflicher Höchstbeträge für Material- und Laborkosten sowie eine tarifliche Leistungsbegrenzung auf die Regelhöchstsätze und den Ausschluss von Funktionsanalysen jedenfalls der Höhe nach begrenzt.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 09.01.2021, BI. 224 d. GA, durch Einholen eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen ____ sowie die Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten vom 24.07.2021, BI. 258 ff. d. GA, nebst Ergänzungsgutachten vom 21.03.2022, BI. 293 ff. d. GA sowie vom 15.05.2022, BI. 331 ff. d. GA, und das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 25.01.2023, BI. 578 ff d. GA, Bezug genommen.
Es wird weiter auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat nur teilweise Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß §§ 1, 192 VVG i.V.m. mit dem bestehenden Krankenversicherungsvertrag ein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt noch 1.985,87 EUR zu. Ein darüber hinausgehender Erstattungsanspruch besteht aufgrund tariflicher Beschränkungen nicht.
Die streitgegenständlichen BCS-Implantate in den Bereichen 24, 26, 27 und 28 waren medizinisch notwendig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine Heilbehandlung dann medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern (BGH, Urteil vom 12.3.2003, IV ZR 278/01).
Nach den vorstehend formulierten Maßstäben ist das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die streitgegenständliche Implantatversorgung eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellt.
Der Sachverständige ___ ist in seinen schriftlichen Gutachten und der mündlichen Anhörung in der öffentlichen Sitzung zu der Feststellung gelangt, dass es zahnmedizinisch vertretbar war, alle streitgegenständlichen Zahnlücken bei dem Kläger mit einem Implantat zu versorgen.
Einschlägig für die Versorgung in regio 24 sei die die Indikationsklasse 1 b der Indikationsbeschreibung der Konsensus-Konferenz Implantologie. Nach dieser solle bei nicht behandlungsbedürftigen Nachbarzähnen jeder fehlende Zahn durch ein Implantat ersetzt werden. Nach Ansicht des Sachverständigen verbiete diese Empfehlung indes nicht, ein Implantat auch bei behandlungsbedürftigen Nachbarzähnen zu setzen. Zahnmedizinisch sei dies vertretbar und es sei geboten, den hier entsprechend vorliegenden Patientenwillen zu berücksichtigen. Die Soll- Empfehlung gründe darin, dass nicht behandlungsbedürftige Nachbarzähne nicht durch ein Schleiftraumata, wie es für das Einbringen von Brückenkronen erforderlich sei, geschädigt werden sollen. Ein Ausschluss der Nutzung eines Implantats im entgegengesetzten Fall sei hierin jedoch nicht zu sehen. Nachteile für die Haltbarkeit des Implantats durch die behandlungsbedürftigen Nachbarzähne des Klägers entstünden nicht. Der Sachverständige hat sich mit den Einwendungen der Beklagten bezüglich eines erhöhten Risikos durch die lmplantatsetzung gegenüber einer Brückenversorgung auseinander gesetzt. Er hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar ausgeführt, dass er dieses Risiko bei Einhaltung der entsprechenden Operationsprotokolle und Verwendung angepasster Implantate aus seiner praktischen Erfahrung für gering halte.
Die Implantate in den Regionen 27 und 28 waren ebenfalls medizinisch notwendig. Der Sachverständige hat dies mit bei dem Kläger noch vorhandenen antagonistischen Zähnen 37 und 38 begründet. Eine lmplantateinbringung in den Bereichen der Antagonisten sei geboten, um ein dortige Elogation zu verhindern. Der Einwand der Beklagten, dass es in der Präambel der Indikationsbeschreibung der Konsensus-Konferenz heiße, dass Zahn 8 eines Quadranten in der Regel nicht zu ersetzen sei und die Notwendigkeit des Ersatzes von Zahn 7 kritisch zu prüfen sei, sei zwar zutreffend. Zugleich sei aber in Absatz drei der Präambel aufgeführt, dass Abweichungen per se nicht falsch seien und eine Pfeilervermehrung gegenüber der Standardzahl medizinisch notwendig sein könne. Diesen Ausnahmefall halte er bei dem Kläger für einschlägig, da bei ihm für die gegenwärtige Zeit eher ungewöhnlich der Weisheitszahn 38 vollständig erhalten sei. Gegen die vom Privatgutachter der Beklagten vertretende Ansicht für eine verkürzte Reihe spreche, dass bei dem Kläger bereits eine Kaufunktionsstörung vorgelegen habe, die er dem Sachverständigen in der persönlichen Anamnese angegeben habe. Im Gegensatz zur Auffassung des Privatgutachters erachte er die Möglichkeit einer Elongation als eine sehr häufig auftretende Gefahr bei fehlenden Antagonisten, die zur Entwicklung einer CMD führen könne.
Die Notwenigkeit eines Implantats in regio 26 an sich hat die Beklagte nicht angegriffen.
Die Versorgung der vorgenannten Regionen war auch mit den gewählten BCS-Implantaten medizinisch notwendig. Es war nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar, diese als medizinisch notwendig anzusehen und von einer gleichen Erfolgsprognose wie bei bereits bewährten Implantatsystemen auszugehen. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Auswahl der BCS-Implantate für den Kläger sei eine geeignete Behandlungsmethode gewesen, da der Kläger zum Zeitpunkt der Behandlung für herkömmliche Implantate eine zu geringe Knochenhöhe im Oberkiefer aufgewiesen hätte, die einen für die BCS-Implantate nicht erforderlichen vorherigen chirurgischen Knochenaufbau nötig gemacht hätten. Für die streitgegenständlichen Implantate habe auch im Zeitpunkt der Behandlung bereits die erforderliche wissenschaftliche Anerkennung bestanden.
Der Sachverständige hat hierzu in seinen Gutachten und der mündlichen Anhörung auf wissenschaftliche Studien rekurriert, aus denen sich keine verkürzte Überlebenserfolgsrate und kein gesteigertes Risiko gegenüber herkömmlichen Implantatsystemen ergebe. Wegen der spezifischen Kennziffern der Studien, die eine repräsentative Probandenzahl belegen, wird auf die Gutachten sowie S. 2 f. des Protokolls der mündlichen Anhörung vom 25.01.2023 verwiesen. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, bei der körperlichen Untersuchung des Klägers habe er eine gute Okklusion und einen guten Randschluss der Kronen feststellen können. Eine Lockerung der eingesetzten Impantate habe er nicht festgestellt. Mit den Einwänden der Beklagten zur Gefahr von Plaqueanlagerungen und einem Nichtstandhalten des Kaudrucks hat sich der Sachverständige auseinandergesetzt. Er halte diese Gefahren nicht gegenüber herkömmlichen Implantaten erhöht, gegen die Gefahr von Plaqueanlagerungen seien wie bei herkömmlichen Implantaten auch hochglanzpolierte Oberflächen verwendet worden.
Zu den Einwänden der Beklagten gegen die bei der körperlichen Untersuchung festgestellten Verbundverblockung hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass Vor- und Nachteile von Verblockungen in der Zahnmedizin seit Jahrzenten kontrovers diskutiert würden. Nach seiner Kenntnis gebe es indes keine evidente Studienlage zu der Befürwortung oder der Ablehnung von Verblockungen, ein Vorzug oder eine Ablehnung der Verblockung sei wissenschaftlich nicht erkennbar. Auch aus den durch den Privatgutachter vorgelegten Studien ergebe sich gerade eine Akzeptanz für Verbundblöcke in der Zahnmedizin. Ein Indiz auf eine verringerte Haltbarkeit der streitgegenständlichen Implantate sehe er durch die Verblockung nicht.
Das Gutachten ist in sich schlüssig und beschreibt nachvollziehbar die Tatsachen, von denen der Sachverständige bei der Begutachtung ausgegangen ist. Er berücksichtigt die vorgelegten Behandlungs- und Befundunterlagen und gründet seine Feststellungen in der durchgeführten körperlichen Untersuchung des Klägers. Der Sachverständige bezieht sich auf einschlägige Literatur und repräsentative wissenschaftliche Studien. Von diesen ausgehend trifft er plausibel die weiteren Feststellungen. Das Gutachten ist aus Sicht des Gerichts überzeugend und erschöpfend. Einwendungen der Beklagten vermochte er in der mündlichen Anhörung argumentativ nachvollziehbar und in sich schlüssig entgegenzutreten. Aus diesen Gründen war auch dem Antrag des Klägers auf Einholung eines weiteren Gutachtens nicht nachzugehen. Dies ist gemäß § 412 Abs. 1 ZPO nur dann erforderlich, wenn das Gericht das bisherige Gutachten für ungenügend erachtet. Dies ist nicht der Fall. Wie dargestellt, geht das Gericht davon aus, dass der Sachverständige seine Feststellungen umfassend getroffen hat. Es besteht kein Anhalt dafür, dass das von dem Sachverständigen gefundene Ergebnis fachlich unvertretbar war. Das Gericht verkennt nicht, dass der Beklagtenseite der Termin zur körperlichen Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen nicht rechtzeitig mitgeteilt wurde. Ein Anwesenheitsrecht des Privatgutachters bei der körperlichen Untersuchung unmittelbar hätte indes, wie bereits im Zurückweisungsbeschluss des Befangenheitsantrags gegen den Sachverständigen vom 18.11.2022 (BI. 559 d.GA.) ausgeführt - welchen die Beklagte nicht angegriffen hat - nur mit Zustimmung des Klägers bestanden. Von der Möglichkeit, sich im Termin zur Anhörung des Sachverständigen von einem Privatgutachter beraten zu lassen, hat die Beklagte ebenso keinen Gebrauch gemacht wie von ihrem Fragrecht insbesondere zu Erkenntnissen aus der körperlichen Untersuchung.
Der Erstattungsanspruch setzt sich der Höhe nach zusammen aus dem tarifanteilig zu erstattenden Rechnungsbetrag von 6.744,22 EUR abzüglich der die tariflichen Beschränkungen abbildenden Beträge (184,20 EUR und 75,59 EUR für Funktionsanalyse, 765,75 EUR und 793,58 EUR über den Regelhöchstsätzen, 707,16 EUR über den tariflicher Höchstbeträgen für Material- und Laborkosten) sowie abzüglich des Festzuschusses i.H.v. 755,79 EUR. Die vorgetragenen Beschränkungen der Steigerungssätze sowie den tariflichen Ausschluss der Funktionsanalyse hat der Kläger unstreitig gestellt. Zu der in Anlage BLD 16 vorgetragenen Kürzungen der tariflichen Kürzungen der Material-und Laborkosten hat sich der Kläger nicht erklärt, sodass dieser Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Damit ergibt sich ein Erstattungsanspruch von 1.985,87 EUR (6.744,22 - 184,20 EUR - 75,59 EUR - 765,75 EUR - 793,58 EUR - 707,16 EUR = 4.217,94 EUR * 0,65 = 2.741,66 EUR - 755,79 = 1.985,87 EUR).
Der Zinsanspruch besteht gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit Rechtshängigkeit.
Dem Kläger steht gemäß § 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 Nr. 3 BGB ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert bis 2.000,00 EUR nach altem RVG in Höhe von 255,85 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zu.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 4.383,74 EUR festgesetzt.