Trepanation neben endodontischen Leistungen brechenbar

Gericht: Landgericht Hamburg | Aktenzeichen: 323 O 16/15 | Dokumententyp: Urteil | Rechtskraft: unbekannt
Gebührennummern: 2390

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

1.

Die selbständige Leistung „Trepanation“ ist mit der Eröffnung des koronalen Pulpenkavums abgeschlossen. Im Anschluss durchgeführte endodontische Maßnahmen sind parallel berechenbar.

2.

Aus hygienischen Gründen nur einmal verwendete Wurzelkanalinstrumente sind gesondert berechenbar.

Urteilstext


Tenor

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 9.232,06 nebst Zinsen in Höhe von Fünf-%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2014 zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin EUR 12,00 vorgerichtliche Mahnkosten und Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 745,40 zu zahlen.
3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.
Die Widerklage wird abgewiesen.
5.
Die Drittwiderklage wird abgewiesen.
6.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
7.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Die Klägerin macht gegenüber der im Jahre 1940 geborenen Beklagten aus abgetretenem Recht eine (Rest-) Honorarforderung geltend, die sie von dem Behandler, dem Drittwiderbeklagten, abgetreten erhalten hat (Abtretungsbestätigung Anlage K1; Einverständniserklärung der Beklagten zur Abrechnung über die ..., Anlage K2). Die Beklagte macht im Wege der Widerklage und Drittwiderklage Schadensersatz geltend und behauptet eine standardunterschreitende Behandlung durch den Drittwiderbeklagten.

Nach einem unfallbedingten Zahnverlust im Oberkiefer war die Beklagte von dem Vorbehandler Dr. ... mit Implantaten versorgt worden.

Es wurde hinsichtlich der Leistungen des Dr. ... ein Gutachten des Zahnarztes Dr. ... … eingeholt, der die Beklagte am 31.07.2013 untersuchte. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 04.08.2013 (Anlage B2) Bezug genommen.

Die Klägerin stellte sich sodann mit dem Gutachten des Dr. ... bei dem Drittwiderbeklagten vor, bei dem sie in der Zeit vom 20.08.2013 bis zum 19.12.2013 in zahnärztlicher Behandlung war.

Der Drittwiderbeklagte erneuerte den Zahnersatz im Ober- und Unterkiefer. Im Oberkiefer wurde eine Teleskopprothese auf den vorhandenen fünf Implantaten (regio 17, 15, 11, 23 und 24) eingegliedert. In regio 36, 34 und 44 wurden Wurzelbehandlungen durchgeführt. In regio 37, 36, 35, 34, 44, 47, 48, 45 und 46 wurden Vollkronen eingegliedert.

Der Drittwiderbeklagte ließ über die ... mit Rechnung vom 28.10.2013 die in der Zeit vom 20.08.2013 bis zum 22.10.2013 erbrachten Leistungen über EUR 17.756,03 abrechnen (Rechnung Anlage K3).

Die Beklagte leistete auf diese Rechnung am 26.11.2013 eine Zahlung in Höhe von EUR 7.756,03. Der Zahnarzt ... ... begutachtete am 16.01.2014 die Leistungen des Drittwiderbeklagten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 31.01.2014 (Anlage B1) Bezug genommen.

Die Klägerin trägt vor,

die Leistungen seien vom Drittwiderbeklagten auftragsgemäß und mangelfrei erbracht worden. Sie seien indiziert gewesen und ordnungsgemäß abgerechnet worden, auch hinsichtlich der einen 2,3-fachen Steigerungsfaktor übersteigenden Positionen. Soweit bei Überprüfung eine unberechtigte Berechnung festgestellt worden sei, verfolge die Klägerin diese nicht weiter.

Die Oberkieferimplantate seien nach Abnahme des alten Zahnersatzes klinisch unauffällig gewesen; einer Einbeziehung in die Versorgung hätten keine Gründe entgegengestanden.

Nach ausführlicher Aufklärung über Behandlungsalternativen sei als Ziel eine Teleskopversorgung im Oberkiefer und eine Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz im Unterkiefer definiert worden. Hinsichtlich einer Versorgung im Oberkiefer sei der Beklagten vom Drittwiderbeklagten angeraten worden, dort einen Knochenaufbau durchführen zu lassen und sich dort weitere Implantate setzen zu lassen. Die Beklagte habe sich jedoch dagegen und für eine Teleskopversorgung entschieden.

Soweit es nach der Zahnersatz-Versorgung im Oberkiefer zu einer Entzündung gekommen sein sollte, sei ein schicksalhafter Verlauf anzunehmen oder diese sei auf eine unzureichende Mundhygiene der Beklagten zurückzuführen.

Der Drittwiderbeklagte trägt ergänzend vor,

nach einem ersten Gespräch am 20.08.2013 habe die Beklagte im Termin vom 21.08.2013 das Gutachten Dr. ... und eine Stellungnahme der Uniklinik ... dabeigehabt. Danach seien beide Behandlungsalternativen (Teleskopversorgung oder Knochenaufbau und weitere Implantate) möglich gewesen. Im Zuge der Besprechung sei dabei auch ein fremd-DVT und die daraus resultierende nicht optimale Implantatsituation, insbesondere hinsichtlich der Knochenabdeckung, besprochen worden.

Am 28.08.2013 sei erneut eine ausführliche Aufklärung über Behandlungsalternativen erfolgt. Dabei sei hinsichtlich der Setzung neuer Implantate erläutert worden, dass eine weitere Zahnersatzplanung erst nach Einheilung der Implantate möglich sei und nur unter bestimmten Voraussetzungen ein fester Zahnersatz eingegliedert werden könne, was erst nach den chirurgischen Eingriffen entschieden werden könne. Aufgrund des kompromittierenden Knochenlagers, des hohen operativen Aufwands sowie des Risikos der Knochentransplantation / des Knochenaufbaus und der Möglichkeit, das die Implantate aufgrund der ungünstigen anatomischen Verhältnisse erschwert osseointegriert werden könnten, sei diese Versorgungsmöglichkeit nur als weitere therapeutische Möglichkeit angeraten worden, sofern die Teleskopversorgung ihren Ansprüchen nicht genügen sollte. Dabei seien vor- und Nachteile der Teleskopversorgung dargestellt worden. Die Beklagte habe sich noch in der Sitzung für eine Teleskopversorgung entschieden. Es sei auch erläutert worden, dass eine weitergehende Behandlung mittels Knochenaufbau und Insertion weiterer Implantate auch nach der Teleskopversorgung noch möglich sei, dies jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden sei.

Der Drittwiderbeklagte beruft sich auf die hypothetische Einwilligung.

Im Unterkiefer hätten die insuffizienten Kronen erneuert werden müssen. An den Zähnen 36, 34 und 44 habe sich eine massive Sekundärkaries gezeigt, so dass diese endodontisch hätten behandelt werden müssen.

In der Folge habe die Beklagte Schmerzen berichtet. Der Drittwiderbeklagte habe sodann die Okklusion mehrfach nachgearbeitet und bei Beschwerdepersistenz die Entfernung des Implantats 11 sowie eine Remontage der Prothetik angeraten. Im Übrigen habe eine deutlich insuffiziente Mundhygiene vorgelegen.

Die Beklagte habe dem Drittwiderbeklagten eine Nachbesserung nicht ermöglicht.

Die Klägerin hat zunächst angekündigt zu beantragen,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2014 sowie EUR 12,00 vorgerichtliche Mahnkosten und Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 745,40 zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 21.04.2016, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag vorab per Fax, hat die Klägerin die Klage in Höhe von EUR 101,30 zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 9.898,70 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2014 sowie EUR 12,00 vorgerichtliche Mahnkosten und Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 745,40 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung

und im Wege der Widerklage,

die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte Schadensersatz in Höhe von EUR 490,99 für außergerichtliche Anwaltsgebühren zu zahlen.

sowie im Wege der Drittwiderklage,

1.
den Drittwiderbeklagten zu verurteilen, an die Beklagte wegen der Behandlung vom 20.08.2013 bis zum 19.12.2013 ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe mindestens EUR 3.000,00 betragen sollte, nebst 5% Punkten Zinsen über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit ;

2.
den Drittwiderbeklagten zu verurteilen, an die Beklagte den Honorarvorschuss für die streitgegenständliche Behandlung in Höhe von EUR 7.756,03 nebst 5% Punkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 11.06.2014 zu erstatten;

3.
festzustellen, dass der Drittwiderbeklagte verpflichtet ist, der Beklagten sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aufgrund der vom 20.08.2013 bis 19.12.2013 erfolgten zahnärztlichen Behandlung zu ersetzen, bei dem immateriellen Schaden, soweit dieser derzeit nicht vorhersehbar ist, und dem materiellen Schaden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialhilfeträger, Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;

4.
den Drittwiderbeklagten zu verurteilen, an die Beklagte EUR 300,91 für vorprozessuale Gutachterkosten nebst 5% Punkten Zinsen über dem Basiszins seit Zustellung der Widerklage zu zahlen;

5.
den Drittwiderbeklagten zu verurteilen, an die Beklagte Schadensersatz in Höhe von EUR 490,99 für außergerichtliche Anwaltsgebühren zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Drittwiderbeklagte beantragt,

die Drittwiderklage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

der Drittwiderbeklagte habe sie standardunterschreitend behandelt und einen funktionsuntüchtigen Zahnersatz eingepasst. Die Behandlung sei unzureichend geplant worden. Sie sei nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Sie sei daher nicht verpflichtet, eine weitere Zahlung zu leisten und könne das bereits gezahlte Honorar zurückfordern.

Der Drittwiderbeklagte habe den Zahnersatz nicht auf die zu Behandlungsbeginn vorhandenen erkennbar insuffizienten Implantate setzen dürfen. Diese hätten vielmehr ausgewechselt werden müssen und ein Knochenaufbau habe erfolgen müssen.

Der Drittwiderbeklagte habe keinen ordnungsgemäßen Biss hergestellt.
Der Drittwiderbeklagte habe sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Hätte er darüber aufgeklärt, dass die Implantate im Oberkiefer die Prothese nicht risikofrei tragen könnten, hätte sie der vorgeschlagenen Behandlung nicht zugestimmt. Er habe nicht über Behandlungsalternativen aufgeklärt. Er habe insbesondere nicht angeraten, weitere Implantate im Oberkiefer zu setzen. Auch die Durchführung eines Knochenaufbaus sei nicht angeraten oder als Alternative vorgeschlagen worden. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie einen Knochenaufbau vornehmen lassen.

Grund der aufgetretenen Entzündungen sei eine unangemessene Belastung der Implantate in Folge der vom Drittwiderbeklagten gesetzten Teleskopprothese.

Der funktionsuntüchtige Zahnersatz habe ihr erhebliche Beschwerden und Schmerzen verursacht.

Die Wurzelbehandlungen im Unterkiefer seien ohne Indikation und zudem nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden.

Im Ergebnis habe sie nach mehrfachen erfolglosen Nachbesserungen das Vertrauen in den Drittwiderbeklagten verloren.

Die fehlgeschlagene Implantatversorgung habe zu einem erheblichen Knochenverlust im Bereich der Oberkieferfront und tief herabreichenden Kieferhöhlenbuchten geführt.

Sie habe sich einer kompletten Neuversorgung unterziehen müssen und sich auf neun - teilweise neuen Implantaten - einen neuen Zahnersatz im Oberkiefer setzen lassen müssen. Die gesamte Behandlung sei daher für sie nutzlos gewesen.

Die Zahlung in Höhe von EUR 7.756,03 sei nur unter Vorbehalt geleistet worden.

Der Drittwiderbeklagte habe sie nicht ausreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt. Hätte sie Kenntnis von der Gefahr eines Knochenabbaus und der Funktionsuntüchtigkeit der Implantate gehabt, hätte sie der Behandlung nicht zugestimmt.

Die Leistungen seien auch nicht korrekt abgerechnet worden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagtenseite vom 07.03.2016 (Bl. 125f d. A.) Bezug genommen.

Ab November sei die Nachbehandlung bei dem Kieferchirurgen Dr. Dr. ... und dem Zahnarzt Dr. ... erfolgt. Dr. Dr. ... habe insbesondere Implantat 11 extrahiert und einen Sinuslift durchgeführt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der behaupteten Nachbehandlung wird auf Bl. 9 und 10 des Schriftsatzes der Beklagtenseite vom 25.03.2015 Bezug genommen.

Zum Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen sei ein Schmerzensgeld nicht unter EUR 3.000,00 erforderlich. Ihr wären ohne die Behandlungsfehler des Drittwiderbeklagten erhebliche Teile dessen unangenehmer Behandlung und Teile der Nachbehandlung erspart geblieben. Die Eingewöhnungsschmerzen von Oktober 2013 bis Februar 2014 wären gar nicht entstanden. Es habe zu starken Schmerzen am Knochen und Zahnfleisch geführt, dass die Implantate nicht ausreichend im Knochen gestanden hätten. Es hätte weniger neue Implantate gesetzt werden müssen, da mehr Knochenmaterial vorhanden gewesen wäre.

Für das Gutachten des Zahnarztes ... ... habe sie EUR 300,91 (Rechnung Anlage B4) aufwenden müssen.

Der Drittwiderbeklagte habe vor dem Einsetzen der Prothetik standardunterschreitend keine Funktionsanalyse durchgeführt. Er habe insbesondere am 02.09.2013 keinen klinischen Funktionsstatus erhoben.

Es habe keine Indikation zur Erneuerung der Kronen im Unterkiefer bestanden.

Die Nachbehandlung habe sich schwieriger gestaltet. Diesbezüglich wird auf den Schriftsatz der Beklagtenseite vom 30.05.2018 Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. ... … Diesbezüglich wird auf das Gutachten vom 28.06.2017 Bezug genommen. Das Gericht hat den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens angehört. Es hat weiter die Parteien angehört. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll vom 07.06.2018 Bezug genommen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.07.2018, auf den Bezug genommen wird, ergänzend vorgetragen.

Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Drittwiderklage hat keinen Erfolg (I). Die Klage hat überwiegend Erfolg (II). Die Widerklage hat keinen Erfolg (III).

I)
Die Drittwiderklagte hat keinen Erfolg.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist keine Standardunterschreitung festzustellen (1). Es ist auch davon auszugehen, dass die Beklagte von dem Drittwiderbeklagten ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist (2).

1)Aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. ... ... vom 28.06.2017, welches dieser in der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2018 erläutert hat, folgt, dass hinsichtlich der streitgegenständlichen Behandlung durch den Drittwiderbeklagten eine Standardunterschreitung nicht festzustellen ist.

Im Einzelnen:
a) Hinsichtlich der Teleskopprothetik gilt:

aa) Es ist nicht festzustellen, dass die bei Behandlungsbeginn vorhandenen Implantate 11 und 23 nicht in die prothetische Versorgung hätten einbezogen werden dürfen.

(1) Eine Indikation zur Entfernung der Implantate 11 und 23 lässt sich aus den dem Sachverständigen vorliegenden bildgebenden Befunden nicht ableiten.

Aus den bei Behandlungsbeginn in der Praxis des Drittwiderbeklagten gefertigten Röntgenaufnahmen lässt sich die Prognose der Implantate nicht zweifelsfrei bewerten. Um die Implantate herum sind teilweise sog. Aufhellungszonen zu sehen, die entweder für einen fehlenden Knochenkontakt sprechen oder als sog. „Aufhellungsartefakte“ ohne klinische Bedeutung sind.

Die in der Dokumentation des Drittwiderbeklagten am 21.08.2013 beschriebene Auswertung des DVT aus der Praxis Dr. ... zeigt, dass die fehlende Knochenabdeckung erkannt wurde und die Implantate als „nicht optimal“ angesehen wurden.

(2) Der Einwand der Beklagten, der Drittwiderbeklagte habe den DVT-Befund von Prof. Dr. ... vom 05.04.2012 nicht berücksichtigt, ist erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung gebracht worden und nicht zu berücksichtigen, § 296a ZPO. Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand nicht.

Das Gericht hatte ohne Erfolg versucht, dieses DVT anzufordern (vgl. Bl. 159 f. d.A.). Der Sachverständige konnte es aus diesem Grund nicht berücksichtigen (vgl. S. 7 des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. ...). In dieser Situation hätte die Beklagte zumindest auf den schriftlichen Befund von Prof. Dr. ... vom 05.04.20212 (Anlage B6) Bezug nehmen müssen; zumindest hätte sie den Sachverständigen im Anhörungstermin unter Vorlage dieses Befunds befragen müssen.

(3) Es war danach fachlich richtig, zunächst den vorhandenen Zahnersatz zu entfernen und dann die Prognose der Implantate im Zuge einer klinischen Untersuchung zu bewerten.

Dass hier diese Prognosebeurteilung standardunterschreitend erfolgt ist, ist indessen nicht festzustellen.

Aus der Dokumentation des Drittwiderbeklagten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Implantate 11 und 23 nicht in eine teleskopierende Versorgung hätten einbezogen werden können.

Danach ergab sich die generelle Pfeilertauglichkeit auch dieser Implantate. Die Dokumentation war auch dem Inhalt nach ausreichend. Eine weitergehende Dokumentation war nicht erforderlich. Dies wäre nur dann anders zu beurteilen gewesen, wenn die konkrete Beurteilung der Pfeilertauglichkeit durch den Drittwiderbeklagten für einen Nachbehandler hätte von Bedeutung sein können, was indessen nach den Erläuterungen des Sachverständigen im Rahmen der Anhörung nicht der Fall ist.

Generell ist diesbezüglich darauf hinzuweisen, dass es bei einer abnehmbaren Zahnersatzkonstruktion mit Teleskopkronen es durchaus vertretbar ist, auch Zähne oder Implantate mit einer eingeschränkten Prognose zu belassen, da ein Umbau der Prothese im Falle eines Pfeilerverlusts möglich ist.

Eine nicht optimale Knochensituation fand sich nur bei Implantat 11, welches vestibulär nur etwa zur Hälfte mit Knochen bedeckt war. Daraus folgte indessen keine absolute Indikation zur Entfernung dieses Implantats. Diese hätte nur dann bestanden, wenn das Implantat gelockert gewesen wäre oder eine nicht beherrschbare Entzündung im Sinne einer Periimplantitis vorgelegen hätte. In den vorliegenden Unterlagen gibt es dafür aber keine Hinweise. Es war zwar in der damaligen Situation nicht auszuschließen, dass sich dieses Implantat dann doch als nicht erhaltungsfähig herausgestellt hätte und dann hätte entfernt werden müssen. Dies wäre indessen mit relativ geringfügigen Änderungen an der Teleskopprothetik möglich gewesen.

Das Implantat 23 war zwar für eine prothetische Versorgung wegen der Achsabweichung nicht ideal. Dennoch ist eine zwingende Indikation zur Entfernung nicht festzustellen, weil bei einer Teleskopprothetik Winkelabweichungen gut ausgeglichen werden können.

Anderes folgt auch nicht aus den Feststellungen des Privatgutachters S. gemäß dessen Gutachten Anlage B1. Dieser hat die Beklagte erst am 16.01.2014 klinisch untersucht. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... ist durchaus vorstellbar, dass sich die von diesem dokumentierte Beschwerdesymptomatik in Form von Schmerzen nicht aus der Lage und knöchernen Situation der Implantate, sondern aus einer Mukositis bzw. einer sich daraus entwickelnden Periimplantitis erklärt. Dafür spricht, dass der Gutachter ... selbst Hygienemängel der Beklagten festgestellt hat.

Hinsichtlich der Ansicht des Vorbehandlers Dr. ..., alle fünf Implantate im Oberkiefer seien zu explantieren und ein Knochenaufbau habe zu erfolgen, ist darauf zu verweisen, dass nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... dessen Beurteilung bereits auf einer unzureichenden Grundlage erfolgt ist, weil er die Situation mit dem festsitzenden Zahnersatz in Situ beurteilt hat, welche die Implantate sehr weitgehend mit festsitzenden Kunststoffsätteln abgedeckt hat, und danach die Pfeilertauglichkeit der Implantate gar nicht hinreichend verlässlich beurteilen konnte.

(4) Auch eine zwingende Indikation zur Pfeilervermehrung ist aus der ex-ante-Sicht nicht festzustellen.

Die Insertion neuer Implantate in Verbindung mit einem Knochenaufbau wäre lediglich dann erforderlich gewesen, wenn auf den vorhandenen Implantaten eine festsitzende Brücke hätte eingegliedert werden sollen. In diesem Fall hätte sich das ungünstige Hebelverhältnis von Krone und Implantat im Frontzahnbereich ausgewirkt. Bei der gewählten Konstruktion als herausnehmbare Teleskopprothese trägt dagegen auch der Kieferkamm den Zahnersatz, so dass die vorliegenden fünf Implantate - auch entsprechend der S3-Leitlinie „Implantatprothetische Versorgung des zahnlosen Oberkiefers“ - ausreichend waren.

(5) Gleichfalls ist eine zwingende Indikation zum Knochenaufbau vor der Versorgung mit der Teleskopprothetik nicht festzustellen. Die bestehenden Implantate in regio 17, 15, 11, 23 und 24 standen für die Versorgung mit einer Teleskopprothetik hinreichend im Knochen, so dass kein Knochenaufbau erforderlich war. Einzig bei Implantat 11 fand sich eine nicht optimale Situation, die aber der gewählten Versorgung nicht entgegenstand. Auf die obigen Ausführungen kann Bezug genommen werden.

bb) Feststellungen zur Okklusion konnte der Sachverständige nicht mehr treffen, da der streitgegenständliche Zahnersatz sich nicht mehr in situ befand und somit vom Sachverständigen nicht mehr beurteilt werden konnte.

Der Sachverständige konnte auch nicht eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Nachbesserungen an der Okklusion feststellen, die einen Hinweis auf eine Standardunterschreitung hätten geben können.

Es ist auch nicht festzustellen, dass eventuelle Okklusionsmängel zu einer Entzündung oder aus sonstigem Grund zu einer Lockerung von Implantaten geführt haben. Die vom Sachverständigen ... festgestellte Entzündung hatte sicher eine bakterielle Ursache. Im Übrigen kann eine Fehlbelastung eines Implantats binnen eines Zeitraums von drei bis vier Monaten nicht zu einer Lockerung von Implantaten führen.

Dem in diesem Zusammenhang pauschal erhobenen Einwand der Beklagten, der Drittwiderbeklagte habe standardunterschreitend vor Einsetzen der Prothetik keine Funktionsanalyse durchgeführt, war nicht nachzugehen. Dieser Vortrag bezieht sich (vgl. die Verweisung im Schriftsatz vom 30.05.2018, S. 2 oben) auf den Schriftsatz vom 20.04.2017, S. 2. Dort hat die Beklagte diesbezüglich lediglich bestritten, dass am 02.09.2013 ein klinischer Funktionsstatus erhoben worden ist. Diesbezüglich ist indes auf die Behandlungsdokumentation des Drittwiderbeklagten zu verweisen. Dort ist unter dem 02.09.2013 ein umfassender klinischer Funktionsstatus dokumentiert.

b)
Es ist auch nicht festzustellen, dass die Wurzelbehandlungen im Unterkiefer in regio 36, 34 und 44 ohne medizinische Indikation oder nicht standardentsprechend vorgenommen worden sind.

Nach den Erläuterungen des Sachverständigen Dr. ... ist in diesen regiones jeweils eine aufwendige Entfernung von Karies festzustellen. Dies passt zu der Behauptung des Drittwiderbeklagten, dort sei unter den Kronen jeweils eine starke Sekundärkaries festgestellt worden. Eine derartige Sekundärkaries kann dann eine Wurzelbehandlung erforderlich machen.

Die Durchführung der Wurzelbehandlungen und deren Ergebnis entsprach nach den weiteren Feststellungen des Sachverständigen gutem zahnmedizinischem Standard.

c)
Es ist auch nicht festzustellen, dass keine Indikation zur Erneuerung der Versorgung im Unterkiefer bestand. Der Sachverständige konnte diesbezüglich aus eigener Anschauung keine Aussage treffen und nur auf die Feststellungen des Gutachters Dr. ... verweisen. Dieser hielt eine Erneuerung der Versorgung im Unterkiefer für indiziert.

2)
Im Ergebnis der Parteianhörungen und der Beweisaufnahme ist auch davon auszugehen, dass die Beklagte ordnungsgemäß über die Behandlungsmöglichkeiten und deren jeweilige Risiken aufgeklärt worden ist.

a)
Im Ergebnis der Parteianhörungen ist davon auszugehen, dass die Beklagte ordnungsgemäß über den bei Behandlungsbeginn diagnostizierten gesundheitlichen Zustand ihrer Zähne und des Kiefers, bestehende Versorgungsmöglichkeiten und deren jeweiligen Risiken aufgeklärt worden ist.

Der Drittwiderbeklagte hat diesbezüglich bekundet, er habe nach Untersuchung der Beklagten mit dieser verschiedene Behandlungsmöglichkeiten erörtert und sich dabei an dem Ziel ausgerichtet, einen beschwerdefreien Zustand zu erreichen. Im Hinblick auf die eingeschränkte Hygienefähigkeit der Altversorgung und die mit einem Knochenaufbau voraussichtlich verbundenen Schwierigkeiten habe er die Versorgung mit einer Teleskopprothese vorgeschlagen. Diesbezüglich habe er hinsichtlich der Frage einer möglichen Pfeilervermehrung auch ein DVT angefertigt und eine virtuelle Implantatplanung vorgenommen. Weiter habe er darauf hingewiesen, dass in dem Fall, dass die Beschwerden mit der Teleskopprothese dann beseitigt wären, alles Erforderliche für eine Versorgung getan sei. Für den Fall, dass dann immer noch Probleme bestehen sollten, habe er darauf hingewiesen, dass immer noch die Möglichkeit bestünde, eine Pfeilervermehrung und einen Knochenaufbau durchzuführen. Weiter habe er darauf hingewiesen, dass sowohl eine Pfeilervermehrung als auch ein Knochenaufbau aufwendiger seien als eine Versorgung mit einer Teleskopprothese.

Diese Angaben des Drittwiderbeklagten hat die Beklagte im Wesentlichen bestätigt. Der Drittwiderbeklagte habe mitgeteilt, dass die Situation bei den Implantaten 11 und 23 nicht optimal sei, da Implantat 11 nicht vollständig vom Knochen bedeckt sei und Implantat 23 ungünstig im Kiefer positioniert sei und für den Fall, dass sich dann doch ein Extraktionserfordernis hinsichtlich der Implantate ergeben sollte, die Prothetik umzuarbeiten sei, alternativ die Implantate vor einer prothetischen Versorgung auch entfernt werden könnten.

Soweit die Beklagte die Bekundung des Drittwiderbeklagten in Abrede genommen hat, dieser habe konkrete Planungsüberlegungen hinsichtlich der Versorgung mit Implantaten und eines Knochenaufbaus vorgenommen, folgt die Kammer dem nicht. Aus der Dokumentation des Drittwiderbeklagten ergibt sich, dass dieser anhand eines DVT konkrete Planungen zur Implantatversorgung und einer möglichen Pfeilervermehrung durchgeführt und mit der Beklagten erörtert hat. Dort finden sich auch konkrete Planungsergebnis in Form sogenannter „virtueller Implantate“. Es erscheint der Kammer fernliegend, dass der Drittwiderbeklagte all dies nicht mit der Beklagten erörtert haben soll. Möglicherweise war der Beklagten die Erörterung bereits in Vergessenheit geraten.

b)
Die danach zugrunde zulegenden Angaben des Drittwiderbeklagten haben der Beklagten ein zutreffendes Bild über ihre damalige orale Situation, die Versorgungsmöglichkeiten und dabei bestehende Risiken vermittelt. Dies hat der Sachverständige Dr. ... aus fachlicher Sicht ausdrücklich bestätigt.

c)
Was den Einwand fehlender wirtschaftlicher Aufklärung angeht, ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass der Drittwiderbeklagte sich geweigert habe, einen konkreten Kostenvoranschlag zu erstellen. Zwar hat die Beklagte dies im Zuge ihrer Anhörung bekundet. Der Drittwiderbeklagte hat dies jedoch nicht bestätigt. Er habe die Beklagte über die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten aufgeklärt und auch darüber, dass eine Pfeilervermehrung und ein Knochenaufbau aufwendiger seien als eine Teleskopprothese. Hinsichtlich eines Kostenvoranschlags hat er unter dem 28.08.2013 dokumentiert, dass die Beklagte ausdrücklich keinen KVA wünsche, da ihre Versicherung „so etwas nicht benötige“. Danach ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass die Bekundung der Beklagten zutrifft.

3)
Danach kann die Beklagte von dem Drittwiderbeklagten kein Schmerzensgeld und auch nicht die Erstattung des bereits anteilig gezahlten Honorars und die Erstattung vorprozessualer Gutachterkosten sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Auch der Feststellungsantrag hinsichtlich künftiger Schäden bleibt danach ohne Erfolg.

II)
Die Klage hat überwiegend Erfolg.

Die Klägerin kann von der Beklagten hinsichtlich der Rechnung vom 28.10.2013 über EUR 17.756,03 aus abgetretenem Recht Zahlung von noch EUR 9.232,06 verlangen. Die Beklagte hat bereits eine Zahlung in Höhe von EUR 7.756,03 geleistet. Hinsichtlich eines Betrages von EUR 101,30 ist die Klage zurückgenommen worden. Ein Betrag von EUR 40,75 kann im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht verlangt werden (1). Hinsichtlich eines weiteren Betrages von EUR 625,89 für kosmetische Leistungen fehlt es an einer schriftlichen Vereinbarung vor Behandlungsbeginn (2). Eine Unbrauchbarkeit der Leistungen des Drittwiderbeklagten ist nicht festzustellen (3).

1)
Hinsichtlich der Einwendungen der Beklagten gegen die Rechnung der Klägerin vom 28.10.2013 (Anlage K3) gilt im Ergebnis der Beweisaufnahme:

a)
Die für den 02.09.2013 berechnete Position 2050 kann nicht abgerechnet werden. Ausweislich der Regelung in GOZ Nr. 2200 umfasst diese Leistung auch die Abdeckung mit Füllmaterial, was vorliegend nach Angaben des Drittwiderbeklagten erfolgt ist. Danach ergibt sich, dass ein Betrag von EUR 40,75 nicht mit Erfolg gefordert werden kann.

b) Die Position 2390 ist demgegenüber zu Recht abgerechnet worden. Die selbständige Leistung „Trepanation“ ist mit der Eröffnung des koronalen Pulpenkavums abgeschlossen. Weitere endodontische Maßnahmen sind eigenständige abrechnungsfähige Leistungen, soweit deren Durchführung im unmittelbaren Anschluss an die Trepanation erfolgt, was vorliegend der Fall war.

c) Die verwendeten Instrumente zur Wurzelkanalaufbereitung sind zu Recht abgerechnet worden, da diese aus hygienischen Gründen nur einmal zu verwenden sind.

d)
Gegen die Auslagen gemäß Fremdlaborrechnung sind von der Beklagten keine substantiierten Einwendungen vorgebracht worden, so dass eine Beweisaufnahme diesbezüglich nicht veranlasst war.

2)
Ästhetisch-kosmetische Leistungen im Seitenzahnbereich können nicht berechnet werden, da diese nicht medizinisch indiziert sind und es an einer schriftlichen Vereinbarung vor Behandlungsbeginn nach §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 3 GOZ fehlt. Danach ist ein Betrag von EUR 625,89 in Abzug zu bringen (vgl. hinsichtlich des Betrags, der auf kosmetische Leistungen entfällt den Schriftsatz der Beklagtenseite vom 07.03.2016 (Bl. 128 d. A.)).

3)
Eine Unbrauchbarkeit der Leistungen des Drittwiderbeklagten, die zu einem Entfall des Honoraranspruchs hätte führen können, hat der Sachverständige nicht festgestellt. Vielmehr ist gar keine Standardunterschreitung festzustellen. Auf die obigen Ausführungen unter I) kann Bezug genommen werden.

III)
Die Widerklage bleibt ohne Erfolg. Mangels Vorliegens einer Standardunterschreitung besteht bereits keine Anspruchsgrundlage für die begehrte Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.

IV)
Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten können danach von der Klägerin nach einem Gegenstandswert von EUR 9.232,06, mithin in Höhe von EUR 745,40 verlangt werden.

Für drei Mahnungen kann die Klägerin Mahnkosten in Höhe von EUR 12,00
verlangen.

Die Zinsforderung folgt aus §§ 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin war verhältnismäßig geringfügig und hat keine besonderen Kosten verursacht. Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ist auch bei einer (Teil-) Klagerücknahme anwendbar (vgl. BGH NJW-RR 1996, 256).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

 

 


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