Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Profitorientierte Ketten von Arztpraxen feiern wahrscheinlich ihr letztes schönes Weihnachten. Schon bald kommt das Ende. Weniger Gier, mehr Menschlichkeit braucht unser Gesundheitssystem.“
Diese schönen Sätze sind leider nicht von mir und sie sind auch nicht aktuell. Das ist ein Tweet vom 25. Dezember des letzten Jahres und der Verfasser war der damalige und heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Weihnachten 23, lieber Herr Minister, ist nicht mehr weit hin. Deshalb gleich zu Beginn meine Aufforderung an Ihre Adresse: Bitte lassen Sie den weihnachtlichen Ankündigungen auch Taten folgen.
Und damit auch von mir ein herzliches Willkommen auf der diesjährigen Bundesversammlung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wenn der Kampf gegen die Kommerzialisierung der Zahnmedizin durch Investoren-MVZ ein Marathon ist, dann befinden wir uns jetzt wohl auf den letzten Metern in der Stadionrunde. Eine Entscheidung in Form eines Gesetzes in den ersten Monaten des Jahres 2024 ist nicht unwahrscheinlich und die zentrale Frage lautet, ob nicht nur der Minister das Problem wirklich verstanden hat, wie es in seinem Tweet zum Ausdruck kommt, sondern ob es womöglich in seinem Ministerium, das unter massiver Belagerung durch die Lobbyisten der Heuschrecken steht, kleingeredet wird und dort womöglich der Mut für eine echte Regulierung im Interesse der Patientinnen und Patienten in diesem Lande fehlt. Denn das Problem ist nicht kleiner geworden in den vergangenen Monaten, seitdem Herr Lauterbach das Ende der Investoren-Partys verkündet hat, es ist größer geworden. Ein paar Zahlen zur Erinnerung:
- Ende des letzten Jahres lag die Zahl der Investoren-MVZ bei 427, betrieben von 13 Großinvestoren. Angesichts der ungebremst hohen Wachstumszahlen müssen wir inzwischen von an die 500 IMVZ ausgehen, betrieben von mittlerweile 14 Großinvestoren.
- Über 95 Prozent der MVZ in Krankenhausträgerschaft sind Investoren MVZ – also fast alle. Das Schlupfloch Krankenhaus als Gründungsvehikel, das möglicherweise die Politik 2015 nicht wirklich im Auge hatte, funktioniert aus Sicht von Private Equity weiterhin hervorragend.
- IMVZ verschlingen die knappen Budgets: Zwischen 10 und bis zu 50 Prozent mehr Leistungen pro Patient als herkömmliche Praxen rechnen sie ab, das sollte langsam auch den gesetzlichen und privaten Krankenversicherern Sorgen bereiten- und der Politik, die uns mit dem GKV Finanzstabilisierungsgesetz wieder die Daumenschrauben der harten Budgets angelegt hat, die von den IMVZ über die Maßen belastet werden.
- Zur Versorgung im ländlichen Raum tragen die IMVZ kaum bei. 80 Prozent sind in Ballungsgebieten tätig, wo die Versorgung auch ohne sie gesichert wäre bzw. schon jetzt eine Tendenz zur Überversorgung besteht. Darüber hinaus erzeugen die iMVZ auch noch durch ihre massiven Social Media Aktivitäten einen Sog in die Großstädte auf junge Kolleginnen und Kollegen, die in ländlichen Gebieten tätig sind und sich dort vielleicht später auch mal niederlassen könnten. Jeder junge Zahnmediziner, der sich für diesen Weg entscheidet, sollte sich gut überlegen, ob es reicht, einen hippen und coolen Arbeitgeber in Hamburg, Berlin, Stuttgart oder Düsseldorf mit einem tollen Auftritt bei Instagram zu haben, wenn dieser sich möglicherweise später als gnadenloser Gegenüber in den zahlreichen Umsatzgesprächen zur Steigerung der Rendite entpuppt. Der Umsatzdruck, der in den allermeisten IMVZ vorherrscht ist aus unserer Sicht unethisch und verursacht nur Eines, nämlich Überbehandlung um der Rendite Willen.
Es gibt auch ein paar Mythen, verbreitet von den Lobbyisten der IMVZ, mit denen wir langsam mal aufräumen müssen:
- IMVZ behaupten z.B., sie seien familienfreundlicher als reguläre Praxen. Die Work-Life-Balance unserer jungen Kolleginnen und Kollegen soll angeblich besonders Investoren z.B. aus Bahrain sehr am Herzen liegen.
Fakt ist:
Die Teilzeitquote in den IMVZ ist nachweisbar die niedrigste aller Praxisformen und die Arbeitszeiten inklusive Wochenend- und Nachtschichten sind alles, nur nicht familienfreundlich.
- IMVZ behaupten, es sei doch gut, dass sie frisches Geld ins System pumpen und damit die Versorgung verbessern.
Fakt ist:
Es fehlt nicht an Geld für Existenzgründungen. Wer eine Praxis gründen oder übernehmen will, bekommt Unterstützung z.B. von der Bank. Es ist Geld da für Existenzgründungen, dafür brauchen wir keine fachfremden Investoren.
- IMVZ sagen, es gebe kein gutes und kein schlechtes Geld, das ins System investiert werde.
Fakt ist:
Doch, selbstverständlich gibt es schlechtes Geld im System, nämlich das Geld, bei dem der arabische, amerikanische, schwedische oder deutsche Fondsmanager investiert mit der Absicht, dem Deutschen Gesundheitssystem das maximale Return on Investment wieder abzuknöpfen ohne Interesse an einer langfristigen und nachhaltigen Versorgung der Patienten. Denn den größten Teil der Rendite erwirtschaften die Fonds beim Verkauf der Kette nach ein paar Jahren, in denen man mit viel Druck die Zahlen hübsch bekommen hat. Diese Investoren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bringen schlechtes Geld für die zahnmedizinische Versorgung in diesem Lande in unser Gesundheitssystem.
Und darüber hinaus nehmen Sie auch noch gern den in Praxen in den Großstädten das mühsam ausgebildete Personal weg, lassen die Patientinnen und Patienten auf dem Land aber mangels Renditeerwartung im Stich.
Zusammengefasst muss man sagen: Es gibt keinen einzigen Grund, warum die Politik den Investoren in der Zahnheilkunde im Jahre 2015 die Türen weit geöffnet haben. Wir brauchen sie schlicht und ergreifend in der Zahnmedizin nicht und sie verschlechtern die Versorgung und die Patientensicherheit und zahlen zu ¾ nicht einmal Ihre Steuern in Deutschland.
Im letzten Jahr haben wir in der BZÄK Aufklärungsarbeit in alle politischen Richtungen geleistet. Aufklären über die Mythen, Aufklären über die Ausweitung der IMVZ, Aufklären über die Folgen für die zahnmedizinische Versorgung.
Und langsam sickert diese Aufklärung auch in die Köpfe vieler Politikerinnen und Politiker ein. So hat die Gesundheitsministerkonferenz wie schon 2022 auch in diesem Jahr einstimmig Handlungsbedarf gegenüber dem Bundesgesundheitsminister angemahnt. Und wie gesagt: Wir sind auf der Ziellinie, bitte tun auch Sie in den Ländern weiterhin alles, damit wir dieses Rennen gewinnen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns von der Ampel mehr erwartet haben bei diesem Thema. Wir dachten, die Ampel sei die ideale Koalition für die Eindämmung des Investoren-Unwesens in der Zahnmedizin. SPD und Grüne lassen ja kaum eine Gelegenheit aus, die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen oder wo auch immer zu verurteilen. Und die FDP galt immer als Sachwalterin der Freien Berufe.
Wir haben mit allen Parteien gesprochen und waren zum Teil verblüfft.
Am einfachsten war es wohl noch bei den Grünen. Die haben durchaus verstanden, worum es geht und sind unserem Anliegen meist wohlgesonnen. Anders sieht es schon bei der ehemaligen Arbeiterpartei SPD aus. Der wirtschaftsnahe Flügel scheut aus nicht nachvollziehbaren Gründen den Konflikt mit den Fondmanagern in den Maßanzügen. Der linke Flügel, dem auch der Minister angehört, ist da schon eher offen für unsere guten Argumente, verhält sich aber momentan auch zurückhaltend. Dabei sollte man doch gerade von Sozialdemokraten, erst recht vom linken Flügel erwarten, dass sie mit Enthusiasmus den Investoren-MVZ Einhalt gebieten. Stattdessen verteidigen einige Sozialdemokraten jetzt Private Equity-Firmen, die sie vor einigen Jahren noch als Heuschrecken beschimpft haben – das ist für mich manchmal eine nicht nachvollziehbare verkehrte Welt.
Und dann ist da die FDP, die in dieser Frage tief gespalten ist. Der eine Flügel, vor allem die Mediziner in der FDP, wollen die Praxen vor den IMVZ schützen und eine gute wohnortnahe Versorgung erhalten. Der wirtschaftsliberale Flügel auf der anderen Seite will im Namen der Marktwirtschaft keine staatlichen Eingriffe. Das Lieblingsargument- wir haben den ziemlich simplen und dennoch falschen Satz eben schon gehört: Investitionen sind erfreulich, es gibt kein gutes und schlechtes Geld im Gesundheitswesen. Das mag für die meisten Märkte stimmen, aber der Gesundheitssektor ist kein Markt wie jeder andere.
IMVZ verschlingen Budgets zum Teil für Leistungen, die nicht unbedingt erforderlich sind, um es milde zu formulieren. Dieses Geld fehlt dann für notwendige, relevante Behandlungen. Es gibt also sehr wohl gutes und schlechtes Geld. Es macht einen Unterschied, ob eine profitorientierte Investoren-MVZ gegründet wird oder eine reguläre, am Patientenwohl und langer Patientenbindung orientierte Zahnarztpraxis.
Im Mai dieses Jahres hat der Verfassungsrichter Peter Müller auf dem Deutschen Ärztetag gesagt: „Die Freiberuflichkeit unterscheidet sich von einer normalen gewerblichen Tätigkeit zum einen durch die besondere Vertrauensbeziehung zwischen Leistungserbringer und -empfänger. Diese ist geprägt durch eine Asymmetrie beim Wissenstand. Deshalb braucht es eine besondere Verantwortung auf der Seite der Ärzte. Der Patient ist kein Kunde. Eine ärztliche Leistung ist etwas anderes als Speiseeis zu verkaufen. Wenn das Konzept der Freiberuflichkeit erhalten bleiben soll, gibt es Grenzen der Kommerzialisierung.“
Da sind wir dann auch beim Kernproblem: Der Umsatzdruck für Zahnärzte in den IMVZ. Vielleicht kennt der ein oder andere den Panorama-Bericht, in dem eine Zahnärztin einräumt, gesunde Zähne angebohrt zu haben, um den Umsatz zu steigern. Das ist der Kern: Aus meist jungen Heilberuflern werden zahnmedizinische Cash-Cows gemacht. Es geht nicht primär um Patienten und deren Zähne, sondern nur um Zahlen.
Wir haben unsere Position deutlich gemacht. Wenn am Ende nur eine lächerliche Transparenzregel steht, dann sollte der Gesundheitsminister seinen weihnachtlichen Tweet schnell löschen. Denn ein kleines MVZ-Schild an der Tür oder ein Button auf der Webseite, der zu einem Transparenzregister in den Weiten des Internets führt wäre ein Trauerspiel für eine SPD, die sich gerne als Kommerzialisierungsbremse im Gesundheitswesen inszeniert.
Was wir fordern: Zuerst müssen wir das Krankenhaus-Schlupfloch schließen. Krankenhäuser dürfen nicht weiter Strohfirmen für MVZ-Investoren sein. Wenn sie ein MVZ gründen, dann muss es einen fachlichen und geografischen Bezug geben, d.h.: das Krankenhaus hat eine zahnmedizinische Abteilung und das MVZ liegt in der Nähe des gründungsberechtigten Krankenhauses.
Außerdem werben wir für eine stärkere Regulierung der MVZ im Zahnheilkundegesetz, so dass immer Zahnmediziner das Sagen und die Mehrheit in einem MVZ haben. Das muss man sich dann so ähnlich vorstellen, wie bei der 50+1 Regel im Profifußball. Und es ist dort genau so wie bei uns: Die Investoren wollen selbst das uneingeschränkte Sagen haben, an Minderheitsinvestments, die ohne den üblichen Umsatzdruck womöglich nicht die gewünschten zweistelligen Renditen bringen, hat man kein Interesse.
Wir sind wie gesagt in der Stadionrunde. Und ich kann Ihnen eines versprechen. Nach dem langen Lauf, nach all diesen Gesprächen und Diskussionen werden wir bis zur Ziellinie alles geben, um so viel wie möglich zu erreichen – für die kleinen Praxen, für unseren Ruf als gute Mediziner und vor allem für die Patientinnen und Patienten, die ein Anrecht auf eine indikationsgerechte, gute Behandlung haben.
Kommen wir zu einem weiteren schwierigen Thema - dem Fachkräftemangel.
Wissen Sie eigentlich, wie viele verschiedene Studiengänge es im Wintersemester 2022/23 in Deutschland gab? Ich verrate Ihnen die Zahl, es sind 21438. Vor diesem Hintergrund und dem sich dort womöglich spiegelnden Wunsch der Politik, dass bald möglichst fast jeder Schulabgänger ein Studium absolvieren möge, muss man sich fragen, wann die Politik endlich versteht, dass ein Student der angewandten Freizeitwissenschaft (Uni Bremen, Bachelor), der Körperpflege (TU Darmstadt, Bachelor und Master) oder der Frisistik (Uni Kiel, Bachelor/Master) eventuell später einmal nicht nur im Handwerk bei der Reparatur unserer immer komplexer werdenden Heizung fehlen könnte, sondern auch in der Versorgung von Patientinnen und Patienten in unseren Praxen oder den Krankenhäusern. Da es bis zu dieser Erkenntnis und der Änderung der Schulpolitik wohl noch sehr lange dauern wird, müssen wir uns bis dahin selbst helfen.
Ich finde es hervorragend, dass wir hier gemeinsam neue Wege gehen und ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Kammer Nordrhein ganz herzlich für ihre Initiative und ihren Mut, mit ihrer ZFA Kampagne neue Wege im Bereich Social Media zu beschreiten.
Dort ist man ja schon seit 2017 sehr aktiv, ruht sich aber nicht auf Lorbeeren aus, sondern hat die Kommunikationsstrategie weiterentwickelt. Wir werden die nächste Kampagnenphase unter der Koordination der Bundeszahnärztekammer gemeinsam ab 2024 im gesamten Bundesgebiet ausrollen. Darüber freuen wir uns und es sind genau solche Ideen und Impulse, die die Arbeit der BZÄK lebendig machen und beflügeln.
Wir betreten da zum Teil Neuland, indem wir mit Influencern zusammenarbeiten, via Tiktok kommunizieren und Mini-Praktika anbieten. Tiktok und Influencer – das sind Kanäle, die wir bisher stirnrunzelnd unseren Kindern überlassen haben.
Und genau da gehen wir jetzt hin. Denn das ist der Ort, an dem sich junge Menschen digital aufhalten, ob uns das gefällt oder nicht. Es ist sicherlich ein Experiment. Ob der Einfluss von Influencern tatsächlich auch Berufsentscheidungen umfasst, werden wir sehen. Zusätzlich werden wir sogar auf die Eltern auf deren Plattformen wie Facebook zugehen. Entscheidend ist, dass wir es versuchen und bereit sind, gemeinsam neue Wege zu beschreiten. Einer der Influencer, mit denen wir zusammenarbeiten werden, hat über sechs Millionen Follower – von solchen Reichweiten können auch viele etablierte Medien nur träumen. Ich finde es gut, dass wir das jetzt gemeinsam versuchen. Denn das Thema Personalmangel ist ein derartig schwerwiegendes, dass wir es uns nicht erlauben können, irgendeine Chance auf Besserung zu verpassen. Die Kolleginnen und Kollegen sind bei diesem Thema einfach nur noch verzweifelt und jede neu gewonnene Auszubildende ist eine ganz wichtige in diesen Zeiten.
Ich hoffe, dass alle Kammern die Kampagnenangebote nutzen und auch den Kolleginnen und Kollegen vor Ort bekannt machen – nur so werden wir erfolgreich sein!
Die BZÄK hat außerdem einen weiteren Baustein in die Aufstiegsfortbildungsangebote für ZFA gesetzt. Wir haben jetzt einen Qualifizierungsweg für einen „Bachelor Professional in Dentalhygiene“. Mit diesem Angebot einer Bachelor Professional-DH wird die berufliche Bildung gegenüber den Angeboten akademischer DH-Qualifizierungen gestärkt, die Kammer-Qualifizierung an die moderne Fortbildungslandschaft angepasst und eine hinreichende Abgrenzung zum neugeordneten Ausbildungsberuf zur ZFA gewährleistet.
Vielen Dank an Henner Bunke und den ZFA-Ausschuss für diese hervorragende Arbeit!
Was uns im Laufe des Jahres gut gelungen ist, das ist die Positionierung in und gegenüber den Ministerien. Wenn man dort immer nur anklopft, wenn man etwas braucht, macht man sich dort keine Freunde. Deswegen engagieren wir uns in den Ministerien auch bei Themen, in denen es weniger um unsere Interessen als um unsere Expertise geht. So haben wir als Sachverständige zum Thema gesunde Ernährung an Diskussionsrunden des Ernährungsministeriums teilgenommen, bei denen auch der Minister dabei war. Wir wissen besser als viele andere, was Zucker in den Mündern von Kindern anrichtet. Und diese Expertise bringen wir zu Gehör.
Auch mit dem Bundesgesundheitsministerium sind wir im stetigen Austausch. Wir sind unter anderem gemeinsam mit BMG und anderen Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens Mitunterzeichner des „Klimapaktes Gesundheit“. Sicherlich ist es gut und sinnvoll dabei zu sein und Engagement bei diesem Thema zu zeigen. Wobei ich an dieser Stelle kritisch anmerken möchte, dass auch hier der Gesundheitsminister aus meiner Sicht fragwürdige Prioritäten setzt. Beim Klimawandel hängt er sich voll rein und pusht außerdem das Thema Hitzeprävention. Auch wenn es um die Gründung eines neuen und kostenintensiven Präventionsinstitutes gehen soll, ist der Minister sehr aktiv. Aber wenn es um ein so wichtiges Präventionsthema wie Parodontitis geht, wo es nicht nur um Zusammenhänge mit Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen sondern offenbar auch um Demenz geht, zückt er den Rotstift. Das passt einfach nicht zusammen, Herr Lauterbach.
Und was auch nicht zusammenpasst – jetzt geht es Richtung Brüssel und Europa– das ist der Umgang der EU mit dem Thema Amalgam.
Da sehen wir erneut, dass unsere europäische Arbeit, die uns ja meistens weit weg erscheint, dann plötzlich manchmal ganz nah ist.
Mit den reißerischen Worten „Giftiges Quecksilber: EU-Kommission verbietet Verwendung von Zahn-Amalgam ab 2025“ hat die Europäische Kommission im Juli ein europaweites Amalgam-Aus verkündet. Das ist, um es zu verdeutlichen, in gut 13 Monaten.
Von der Kommission wird suggeriert, dass die Brüsseler Behörde quasi im Alleingang der anhaltenden Vergiftung von Patientinnen und Patienten ein Ende setzt.
Das ist natürlich pure Ideologie.
Unter den Tisch gekehrt wird, dass die Entscheidung nicht die EU-Kommission, sondern das Europäische Parlament und der Europäische Rat treffen müssen. Das kann man vielleicht noch als Fall von übertriebener Selbstdarstellung der Kommission ansehen.
Schlimm ist jedoch, dass die Kommission unterschlägt,
- dass Amalgam ein sicherer und bewährter Werkstoff ist,
- dass keine einzige seriöse Studie den Nachweis einer Gesundheitsgefährdung durch Amalgam liefert,
- dass Patientinnen und Patienten durch die Wortwahl der Kommission bewusst in die Irre geführt und verängstigt werden,
- dass wir in der EU seit 2017 – übrigens erstmals für alle EU-Länder - verpflichtend hochwirksame Amalgamabscheider haben, wie dies in Deutschland seit Jahrzehnten bereits der Fall ist, und so der Schutz der Umwelt gewährleistet ist,
- dass wir durch die unrealistische und überambitionierte Zeitvorgabe 2025 ohne Not und überhastet die Versorgungssicherheit in vielen EU-Staaten, in denen Amalgam noch viel mehr zum Versorgungsalltag gehört als bei uns, gefährden.
Im Schulterschluss mit unseren befreundeten europäischen Verbänden im CED fordern wir den EU-Gesetzgeber daher dringend zu Korrekturen auf.
Gemeinsam mit KZBV und DGZMK haben wir unsere Forderungen der Berichterstatterin im EP, Frau Mortler von der CSU und dem Rat übermittelt, wir haben dazu auch vor einigen Wochen intensive Gespräche mit diversen Abgeordneten in Straßburg geführt, die ein wenig die Anmutung von Speeddating hatten.
In ihrem Bericht vor wenigen Tagen hat die Berichterstatterin zumindest schon einmal das Ausstiegsdatum 2027 und nicht mehr 2025 vorgeschlagen. Das ist schon mal ein erster kleiner Erfolg, aber wir werden uns weiter für Korrekturen an dem realitätsfernen Vorschlag der EU-Kommission einsetzen und dafür, dass uns das Amalgam als Werkstoff möglichst lange erhalten bleibt.
Ansonsten wird hier aus umweltpolitischen Gründen ein wichtiges medizinisches Material aus dem Verkehr gezogen, für das es immer noch kein adäquates Ersatzmaterial gibt. Besonders im Bereich der vulnerablen Gruppen, gibt es kaum eine vernünftige Alternative zum Amalgam und mir graut jetzt schon vor dem Tag, an dem wir kein Amalgam mehr verwenden dürften. Sollte das bereits in 13 Monaten der Fall sein, wäre das unverantwortlich.
Aber die EU hat ja auch im Bereich Digitalisierung Großes unter Zeitdruck vor.
Die Pannen beim Konnektorentausch, Probleme mit der elektronischen Patientenakte und die Eskapaden der GEMATIK treiben hierzulande den Kolleginnen und Kollegen Sorgenfalten ins Gesicht.
Die Digitalisierung ist und bleibt ein Reizthema - nicht nur bei uns, sondern auch in vielen unserer Nachbarländer.
Und da wundert man sich schon, dass die Europäische Kommission im vergangenen Jahr die ziemlich überstürzte Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums vorgeschlagen hat.
Der EHDS, so kürzt man den European Health Data Space ab, soll ebenfalls schon ab 2025 - so die Wunschvorstellung in Brüssel - die nationalen Gesundheitssysteme miteinander schrittweise digital verbinden.
So sollen Patientinnen und Patienten grenzüberschreitend ihre Patientenakten abrufen können und - das ist wahrscheinlich der entscheidende Grund - die Gesundheitsdaten sollen in einem zweiten Schritt für Forschung, Industrie und Politik nutzbar gemacht werden.
Was früher jeden Datenschutzbeauftragten auf die Palme gebracht hätte, ist nun die optimistische Hoffnung der Politik, schlummernde Datenschätze zu heben und Europa schlagartig mit den Mitbewerbern in China und den USA auf Augenhöhe zu bringen.
Da mag ja etwas dran sein, aber die Zeche, sprich die Kosten für Anschaffung und Unterhalt der IT-Systeme sowie die Pflege der Daten dürfen keinesfalls mal wieder bei uns in den Praxen hängen bleiben.
Unsere Forderungen an die Politik in Brüssel und Berlin haben wir klar artikuliert:
- Der administrative Aufwand muss begrenzt sein, um nicht zu sagen es darf gar keinen durch den EHDS verursachten Mehraufwand geben. Wir haben schon mehr als genug mit der Erfüllung nationaler IT-Vorgaben zu tun, das reicht uns..
- Der EHDS muss auf den vorhandenen nationalen Strukturen aufbauen. Daten müssen zentral abgerufen werden und bitte nicht über die einzelne Praxis mit einer schlecht funktionierenden TI/2 made in Europe.
- Gesundheitsdaten sind keine Handelsware. Beim EHDS muss ein hohes Datenschutzniveau bei allen Formen der Datennutzung gewährleistet sein.
- Patientinnen und Patienten müssen das Recht haben, darüber zu entscheiden, ob ihre Gesundheitsdaten, egal ob anonymisiert oder pseudonymisiert, später weiterverwendet werden.
Der tröstliche Blick über die Grenzen zeigt, dass - bis auf die Musterknaben in Skandinavien oder dem Baltikum - der Weg zum EHDS noch sehr weit ist. Viele Mitgliedstaaten haben ihre Probleme mit der Digitalisierung ihrer Gesundheitssysteme. Wir stehen hier nicht allein.
Also prophezeie ich der Europäischen Kommission schon heute eine harte Bruchlandung, wenn man 2025 wirklich ernsthaft als Zeithorizont im Auge hat.
Es ist wie bei den Daten selbst - Wunsch und Wirklichkeit sind wie so oft nicht kompatibel.
Apropos TI - ich komme zu meinem letzten Punkt: dem Bürokratieabbau
Und falls Sie jetzt denken: Alles schon mal gehört, kennen wir doch, dann muss ich sagen: Nein, leider gibt es Neuigkeiten. Dazu gleich mehr.
Wir haben ja gemeinsam mit der KZBV ein Papier zu dem Thema veröffentlicht und man kann nicht behaupten, dass in der Politik niemand das Thema auf dem Schirm hätte. Es passiert nur viel zu wenig, bei unserem wichtigsten Ministerium gar nichts und manchmal geht es komplett in die falsche Richtung.
Das Bundesjustizministerium hat zum Beispiel Anfang des Jahres eine Verbände-Abfrage zum Bürokratieabbau durchgeführt und dabei auch die anderen Ministerien einbezogen. Wir haben selbstverständlich unsere Vorschläge eingereicht. Wer hält es nicht für nötig, da mitzumachen? Genau, das Bundesministerium für Gesundheit! Man hat dann im BMG wohl gemerkt, dass das Thema auch das Gesundheitswesen betrifft und ein eigenes Eckpunktepapier zum 30. September angekündigt – mittlerweile liegt es auch endlich seit ein paar Tagen vor. Und ohne hier ins Detail gehen zu wollen: Es ist eigentlich nichts für uns dabei, was irgendwie eine Entlastung für uns in den Zahnarztpraxen bringen könnte, das Papier ist für uns eine gnadenlose Enttäuschung. Es ist, als ob der Minister und seine Beamten in einer Parallelwelt leben. Es fehlt jegliche Kenntnis, jegliches Gespür für die enormen Belastungen – finanziell, zeitlich, mental – die durch den Bürokratie-Wahnsinn entstehen.
Es ist ja schon schlimm genug, dass der versprochene Bürokratieabbau nie stattfindet. Schlimmer noch ist, dass der Bürokratieaufbau kontinuierlich und ungebremst fortgesetzt wird.
Die BZÄK hat die Bürokratie mit etwa 24 Stunden in der Woche pro Praxis quantifiziert. Die KBV spricht von 61 Tagen im Jahr und unser eigenes wissenschaftliches Institut, das IDZ, hat festgestellt, dass Bürokratie für niederlassungswillige junge Kolleginnen und Kollegen der Hauptgrund ist, sich nicht niederzulassen.
Und statt Bürokratie endlich abzubauen, muss ich Sie heute hier mit einem neuen Thema konfrontieren, das die meisten von Ihnen noch nicht kennen, weil wir es aus rechtlichen Gründen bisher nicht veröffentlicht haben oder zum ersten Mal in den ZM gelesen haben, die vor Ihnen liegen.
Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, läuft nicht unter der Überschrift Bürokratieabbau, sondern ist wohl der größtmögliche Bürokratieaufbau in deutschen Zahnarztpraxen seit Jahren!
Worum geht es? Um die sogenannte „abschließende Wischdesinfektion“ von semikritischen Medizinprodukten.
Sie alle haben in Ihren Praxen semikritische Medizinprodukte, die mit einer Wischdesinfektion abschließend desinfiziert werden, um dann wieder am Patienten eingesetzt zu werden. Beispiele sind die kabelgebundenen Röntgensensoren, Polymerisationslampen, intraorale Scanner und Kameras, um nur einige zu nennen.
Nun ist Menschen, die viel Zeit haben Gesetze und Verordnungen genau zu studieren, aufgefallen, dass in der Medizinproduktebetreiberverordnung seit 2001 – ich wiederhole: seit 2001 – die schöne Formulierung steht: „Die Aufbereitung von Medizinprodukten hat nach validierten Verfahren zu erfolgen.“ Das war uns allerdings allen bekannt und Sie alle haben ebenfalls in Ihrer Praxis zu diesem Thema Arbeitsanweisungen erstellt und trainieren regelmäßig Hygiene um dieser Forderung zu entsprechen. Und seit 2001 hat keine Aufsichtsbehörde und kein Praxisbegeher sich an der abschließenden Wischdesinfektion gestört.
Aber nun plötzlich, nach mehr als 20 Jahren ist das plötzlich nicht mehr in Ordnung. Warum fragen wir uns? Gibt es vielleicht tausende von Infektionen in Zahnarztpraxen? Nein, damit können wir zum Glück nicht dienen und werden deshalb regelmäßig von höchster politischer Stelle für unsere Hygiene gelobt – siehe unsere Zahlen während der Pandemie.
Trotzdem haben wir also im Oktober 2021 – noch mitten in der erfolgreich von uns gemeisterten Pandemie- ein Schreiben der Obersten Hygienebehörden der Länder und des RKI bekommen. Beziehungsweise: Wir haben davon gehört, denn man hat die Zahnärzteschaft irgendwie vergessen bei diesem Verteiler, wir sind ja auch nur die Arztgruppe mit den wahrscheinlich meisten semikritischen Instrumenten in den Praxen.
Und in diesem, unserer Meinung nach übrigens nicht rechtsverbindlichen Schreiben, stehen Sätze, die Sie sich auf der Zunge zergehen lassen müssen. Ich zitiere:
„Bei Desinfektionsverfahren durch Wischen ist für die ausreichende Aufbringung des Desinfektionswirkstoffes auf allen zu desinfizierenden Oberflächen eine manuelle mechanische Krafteinwirkung erforderlich. Dieser manuelle Verfahrensschritt müsste von jeder die Aufbereitung durchführenden Person in der jeweiligen Einrichtung für jedes so aufbereitete Medizinprodukt reproduzierbar belegt werden. Derzeit ist keine Leitlinie oder Norm bekannt, die für die Gewährleistung dieser Anforderung als angemessene Grundlage dienen könnte. Auch ist bislang nicht ersichtlich, wie dies im Rahmen der Validierung des Aufbereitungsprozesses vor Ort validiert werden könnte.
Das RKI hatte im November 2020 bezüglich der Frage der Validierbarkeit der manuellen Desinfektion von semikritischen Medizinprodukten mittels Wischtüchern festgestellt, dass die Validierbarkeit der abschließenden Wischdesinfektion von semikritischen Medizinprodukten derzeit nicht gegeben ist. Die für Medizinprodukte zuständigen obersten Landesbehörden und das BfArM schließen sich dieser fachlichen Einschätzung an.“
Leider muss ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um Satire handelt, sondern um ein echtes Schreiben. Es soll also der Druck des Abwischens eines Medizinproduktes von einem Externen validiert werden für jedes einzelne Medizinprodukt für jede einzelne Mitarbeiterin? Aber dafür gibt es noch keine Leitlinie?
Für einen Vorgang, den wir seit Jahrzehnten ohne jegliche Problematik täglich viele Millionen mal in den Praxen durchführen?
Das, liebe Aufsichtsbehörden und liebes RKI, ist ein bürokratischer Wahnsinn, der seines gleichen sucht.
Es kommt aber noch besser, ich zitiere weiter:
„Die Anwender, also wir, werden aufgefordert, erforderlichenfalls bei unvollständigen oder nicht plausiblen Angaben in der Gebrauchsanweisung der Hersteller, diese zur Aktualisierung, Präzisierung oder Korrektur der Angaben aufzufordern. Gegebenenfalls sind die zuständigen Behörden zu kontaktieren.“
Das heißt also, dass wir in den Praxen jetzt von den Behörden die Aufgabe übertragen bekommen sollen, die Gebrauchsanweisungen zu studieren und bei den Behörden zu melden, wenn dort die abschließende Wischdesinfektion als Aufbereitung angegeben ist? Davor kann ich nur jede Praxis warnen, denn wenn sie eine solche Meldung machen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Behörden Ihnen die Aufbereitung verbieten werden und sie dieses Medizinprodukt nicht mehr verwenden dürfen.
Und um es ganz klar zu sagen: Wir Zahnärztinnen und Zahnärzte habe weder Zeit noch Lust noch die Zuständigkeit, die Gebrauchsanweisungen von MP zu bewerten und womöglich auch noch Hersteller deshalb bei der Behörde anzuschwärzen. Denn es sind eindeutig die staatlich benannten Stellen, die Zertifizierungen vom MP durchführen und auch die Gebrauchsanweisung ist Teil des MP.
Liebe Aufsichtsbehörden, liebes RKI: Wir lassen uns nicht für Ihre Zwecke missbrauchen und machen nicht Ihre Arbeit oder die der Hersteller!
Nun haben wir natürlich in den vergangenen 2 Jahren unter Hochdruck unendlich viel Zeit, Sitzungen, Online-Meetings und Hirnschmalz in dieses Thema investiert, haben verschiedene Wege aufgezeigt, mit denen wir die Kuh gemeinsam mit den Behörden vom Eis kriegen wollen. Wir haben es auch geschafft gemeinsam mit 7 ärztlichen Verbänden und der KBV mehrere gemeinsame Schreiben zu formulieren, die den Behörden vor Augen geführt haben, dass auf diese Art und Weise die Versorgung von 84 Millionen Menschen in diesem Lande bald nicht mehr möglich sein wird. Dennoch will man dort das mit drohendem Unterton geschriebene Informationsschreiben aus dem Oktober 21 nicht zurückziehen.
Warum erzähle ich Ihnen das alles ausgerechnet hier und heute. Wir im Vorstand der BZÄK wollen Sie
- informieren, damit Sie auf Anfragen von Praxen reagieren können, die vielleicht mit diesem Wahnsinn konfrontiert werden, auch wenn bisher die allermeisten Aufsichtsbehörden das noch nicht tun. Wir werden Sie dazu mit Material versorgen, das unsere Rechtsauffassung wiedergibt und
- wollen wir Sie auch dazu bringen, die Kollegenschaft auf eine Widerstandslinie gegen diese bürokratischen Exzesse einzuschwören, sollten sie denn wirklich so stattfinden, was zu befürchten ist.
Die Frage ist doch: Wem soll es denn helfen, wenn ein teuer zu bezahlender externer Validierer in unseren Praxen steht und zuschaut, wie unsere erfahrenen Mitarbeiterinnen ein Medizinprodukt abwischen, die sich dabei einfach nur vorgeführt fühlen würden. Oder das in unseren Praxen etablierte Medizinprodukte nicht mehr verwendet werden können, weil es plötzlich völlig neue Anforderungen an die Validierung gibt, ohne akzeptable gesetzliche Vorgabe.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt es zu verhindern und zwar in gemeinsamer Aktion aller Körperschaften und Verbände im Schulterschluss mit den Ärzten, den wir hergestellt haben.
Uns reicht es einfach. Wir haben einfach keine Lust mehr, Ihre Exzesse auszuhalten, liebe Bürokraten, Sie rauben unseren oft unterbesetzten Praxisteams den letzten Nerv. Ihr permanentes und völlig überzogenes Misstrauen gegen unsere Mitarbeiterinnen und uns ist einfach nicht mehr akzeptabel. Bei diesem Thema müssen wir zusammen im Bedarfsfall harten Widerstand leisten und dazu rufe ich Sie hier auf.
Vielen Dank!