Werbung mit kostenloser Zweitbegutachtung (hier: Schilddrüsenerkrankung)

Leitsatz der Bundeszahnärztekammer zum Urteil

ei beworbenen "kostenlosen Zweitbegutachtung" handelt es sich um das unzulässige und nicht zu rechtfertigende Anbieten oder Gewähren einer Leistung nach § 7 Abs. 1 HWG.

Urteilstext


Tenor

I.
Die Beklagte wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen bei der Beklagten an ihren Geschäftsführern, verurteilt,

es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr wie nachfolgend wiedergegeben für eine „kostenlose Zweitbegutachtung bei allen Erkrankungen der Schilddrüse" zu werben und/oder die kostenlose Zweitbegutachtung bei allen Erkrankungen der Schilddrüse durchzuführen:


II.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 219,35 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 25. Januar 2014 zu zahlen.

III.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, zu Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 25.000,00, zu Ziffer II und III gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.


Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer Flyerwerbung unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 7 HWG auf Unterlassung sowie auf Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

Dem Kläger, der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frakfurt a. M. e. V. gehören u. a. die Industrie- und Handelskammer Hamburg, die Ärztekammern Niedersachsen und Bremen sowie die Klinik Fleetinsel GmbH & Co. KG an. Die Beklagte betreibt Kliniken in Hamburg.

Die Beklagte warb in einem Flyer, der den Arztbriefen beiiag, mit folgender Darstellung:

(Siehe Anlage 01)

Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Flyerwerbung wird auf die Anlage K1 Bezug genommen.

Im Rahmen der beworbenen Aktion wurden in der Klinik der Beklagten erscheinende Patienten regelmäßig bereits von einem niedergelassenen Arzt untersucht, der sie dann bei der Beklagten einwies. Diese Patienten wurden dann bei der Beklagten vom behandelnden Arzt zunächst prästationär untersucht. Dabei führt der Arzt typischerweise ein Gespräch mit dem Patienten, tastet die Schilddrüse ab und erstellt eine Ultraschallaufnahme. Dazu erhält er noch aktuelle Blutwerte des Patienten. Diese Befunde leitet er dann in elektronischer Form an den Konsiliararzt weiter, der sich anhand der Befunde seine (Zweit-)Meinung bildet und sich dann mit dem behandelnden Arzt austauscht. Sofern der behandelnde Arzt nach der Rücksprache mit dem Konsiliararzt dies befürwortet, wird der Patient operiert. Würde der Konsiliararzt seine Tätigkeit gesondert abrechnen, fiele hierfür eine Gebühr nach Ziff. 80 GOA und Ziff. 95 GOÄ an, die unter Anwendung des bei Privatpatienten üblichen 2,3-fachen Steigerungssatzes EUR 45,00 betrüge, Für die operativen Eingriffe rechnet die Beklagte eine DRG-Fallpauschale in einer Größenordnung zwischen EUR 3.000,00 und EUR 4.000,00 ab, wobei für Privatpatienten hier ggf. noch wahlärztliche Leistungen in einer Größenordnung von mindestens 20 % hinzukommen.

Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 12.12.2013 (Anlage K3) ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Dies wies die Beklagte mit Schreiben vom 7.1.2014 (Anlage K6) zurück.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Bewerbung und Durchführung einer kostenlosen Zweitbegutachtung gegen § 7 HWG verstoße.

Der Kläger beantragt,

1.
die Beklagte unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr wie nachfolgend wiedergegeben für eine „kostenlose Zweitbegutachtung bei allen Erkrankungen der Schilddrüse" zu werben und/oder die kostenlose Zweitbegutachtung bei allen Erkrankungen der Schilddrüse durchzuführen

(Siehe Anlage 01)

2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 219,35 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, in der hier in Rede stehenden Konstellation sei die grundsätzliche Entscheidung für einen Klinikaufenthalt und damit auch einer Operation durch den behandelnden niedergelassenen Arzt bereits getroffen worden. Sollte es bei einem solchen prästationären Gespräch verbleiben, werde dieses mit einem Betrag von rund EUR 100,00 abgerechnet, welcher sich im Falle von privatversicherten Patienten noch um zusätzliche Honorare für wahlärztliche Leistungen erhöhe.

Sie ist der Auffassung, dass es dem Kläger bereits an der erforderlichen Klagebefugnis fehle. In der Sache liege ein Fall von § 7 Abs. 1 Nr. 3 HWG nicht vor, weil es sich bei der kostenlosen Zweitbegutachtung um eine handelsübliche Nebenleistung handele, da ein Wert von allenfalls EUR 45,00 angesichts der Kosten von Schilddrüsenoperationen von mehr als EUR 3.000,00 nicht ins Gewicht fielen. Auf die Konstellation, dass es bei dem prästationären Gespräch bleibe, komme es vorliegend nicht an. Zudem falle die Leistung als „Ratschlag" unter § 7 Abs. 1 Nr. 4 HWG. Zu berücksichtigen sei zudem, dass sich die Werbung an die einweisenden Ärzte richte, denen gegenüber gerade keine Zuwendungen in Gestalt der kostenlosen Zweituntersuchung angeboten werde; Empfänger der Zuwendung und Werbeadressaten fielen mithin auseinander. Außerdem sei wertend zu beachten, dass die Hauptleistung weder vom einweisenden Arzt noch vom untersuchten Patient zu bezahlen sei, sondern regelmäßig von der Krankenversicherung des Patienten getragen werde, sodass es für den Patienten keinen Unterschied mache, ob die von der Krankenversicherung zu tragenden Kosten etwas höher oder niedriger ausfielen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten und zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 


Entscheidungsgründe

I.
Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt und aktivlegitimiert. Es handelt sich bei ihm um einen rechtsfähigen Verband zur Förderung gewerblicher oder selbständiger Interessen, der - von der Beklagten nicht bestritten - auch im Sinne der genannten Vorschrift nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage ist, seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrzunehmen.

Ihm gehört auch eine erhebliche Anzahl von Wettbewerbern an, die Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Dabei kann offenbleiben, ob die Mitgliedschaft der Industrie- und Handelskammer die Anspruchsberechtigung des Klägers herbeiführt (vgl. insoweit Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rdnr. 3.43 m. w. Nachw.).

Dies ist vorliegend jedenfalls durch die Mitgliedschaft der Ärztekammern der Länder Bremen und Niedersachsen der Fall, welche wiederum die Interessen der in den jeweiligen Kammerbezirken ansässigen niedergelassenen Ärzte wahrnehmen. Unstreitig richtet sich das Angebot der Beklagten zur Durchführung von Schilddrüsenoperationen nicht ausschließlich an Patienten aus Hamburg, sondern jedenfalls auch an solche aus dem regionalen Umkreis. Insoweit besteht ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Beklagten und den jeweiligen niedergelassenen Ärzten. Die Mitbewerbereigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG ist grundsätzlich im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes weit auszulegen (vgl. etwa BGH GRUR 2004, 877, 878 - Werbeblocker). Sie lässt sich nicht abstrakt feststellen, sondern in Bezug auf die jeweilige geschäftliche Handlung. Bezogen auf die vorliegend streitgegenständliche beworbene „kostenlosen Zweitbegutachtung" besteht ein Wettbewerbsverhältnis der Beklagten nach Auffassung der Kammer nicht allein gegenüber anderen Kliniken, die wie die Beklagte die Durchführung von Schilddrusenoperationen anbietet, sondern auch gegenüber niedergelassenen Ärzten, welche ebenfalls eine (ggf. zweite) Begutachtung der Patienten mit dem Ziel durchführen zu ermitteln, ob die Durchführung der Schilddrüsenoperation zweckmäßig ist oder nicht. Da vermittelt über die Ärztekammer Niedersachsen auch niedergelassene Ärzte im unmittelbaren Umkreis von Hamburg Mitglied des Klägers sind, besteht die konkrete Möglichkeit, dass aufgrund der in Rede stehenden geschäftlichen Handlung der Beklagten Zweitbegutachtungen (kostenlos) bei der Beklagten durchgeführt werden statt (kostenpflichtig) bei einem (weiteren) niedergelassenen Arzt. Dass es sich bei der Zweitbegutachtung nicht um die Dienstleistung handelt, deren Absatz die Beklagte durch die Werbung zu steigern beabsichtigt, sondern um eine Dienstleistung, welche eingesetzt wird zur Förderung einer anderen (Schilddrüsenoperation) ändert nichts daran, dass sie auch mit Blick auf die Begutachtungstätigkeit geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinflussen.

Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr, 11 UWG i. V. m. § 7 Abs, 1 HWG zu. Bei der mit der Anlage K1 beworbenen "kostenlosen Zweitbegutachtung" handelt es sich um das unzulässige Anbieten oder Gewähren einer Leistunge nach § 7 Abs. 1 HWG. Die Ausnahmetatbestände der Nummern 1 bis 5 des § 7 Abs. 1 HWG sind vorliegend nicht gegeben.

1.
Bei der kostenlosen Zweitbegutachtung handelt es sich zunächst nicht um eine handelsübliche Nebenleistung im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 HWG.

Nebenleistungen sind Dienstleistungen, welche einen Bezug zu einer Hauptieistung aufweisen (vgl. Brixius, in; Bülow/Ring/Artz/Brixius: HWG, 4. Aufl., § 7 Rdnr. 101). An einem solchen notwendigen Bezug zu einer Hauptleistung fehlt es vorliegend bereits. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Einholung einer Zweitmeinung über das „Ob“ und ggf. das „Wie“ einer Schilddrüsenoperation nicht ohne weiteres als bloße Nebenleistung zu der Operation selbst angesehen werden, sondern stellt eine eigenständige Leistung dar. Auch nach dem Vortrag der Beklagten dient die Zweitbegutachtung gerade dazu, dass der behandelnde Arzt gemeinsam mit dem Konsiliararzt die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Operation ermittelt, sodass gerade auch das Ergebnis denkbar ist, dass dies im Ergebnis verneint wird, es also nicht mehr zu der hohe Kosten auslösenden Operation (in der Klinik der Beklagten) kommt, es also auf Seiten der Beklagten lediglich bei der Zweitbegutachtung bleibt.

Soweit die Beklagte in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 8.7.2014 demgegenüber vorträgt, dass die Entscheidung für die Operation durch den niedergelassenen behandelnden Arzt bereits getroffen sei, sich die Werbung deshalb nicht auf den Fall beziehe, dass nach der Zweitbegutachtung festgestellt werde, dass es einer Operation entgegen der zunächst angestellten Überlegung nicht bedürfe, vermag dies an dem dargestellten Ergebnis nichts zu ändern. Die angesprochenen Fachkreise werden die Werbung nämlich entsprechend ihrem Wortlaut so verstehen, dass es sich bei der Zweitbegutachtung nicht lediglich um eine Scheinbegutachtung handelt, deren Ergebnis (nämlich die Erforderlichkeit einer Operation) von vornherein feststeht und die vor diesem Hintergrund keinen eigenständigen Wert hätte. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte sich tatsächlich in einer Weise verhält, welche dem Inhalt der Werbebotschaft zuwiderliefe.

Da die Einholung einer Zweitmeinung nicht lediglich eine unselbständige Nebenleistung zur Operation darstellt, kommt es insoweit auf die Handelsüblichkeit der Zuwendung nicht mehr an, welche angesichts des von der Beklagten vorgetragenen Wertes der Zweitbegutachtung von EUR 20,00 selbst bei gesetzlich versicherten Patienten nicht gegeben sein dürfte.

2.
Die Leistung der Zweitbegutachtung stellt auch keinen Ratschlag im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 HWG dar, sondern geht über einen solchen schon deshalb hinaus, weil sie eine ärztliche Prüfung aufgrund des Befundes bei dem Patienten voraussetzt und sich nicht allein in der Mitteilung des Ergebnisses erschöpft. Auch die anzunehmende hohe Bedeutung für die Operationsentscheidung des Patienten spricht dagegen, hier von einem bloßen Ratschlag auszugehen.

3.
Es besteht auch entgegen der Auffassung der Beklagten kein Anlass, aufgrund wertender Betrachtung von einer ausnahmsweisen Zulässigkeit der Werbung auszugehen. Das Argument, dass die Kostenlosigkeit der Zweitbegutachtung typischerweise wirtschaftlich weder den Arzt noch den Patienten betreffe, sondern allein die Krankenversicherung, vermag insoweit nicht zu überzeugen. Zum einen käme es für die Kostenerstattung einer Zweitbegutachtung auf das jeweilige Versicherungsverhältnis an, sodass nicht ohne Weiteres klar wäre, dass die jeweilige Versicherung bei fehlender medizinischer Erforderlichkeit einer weiteren Begutachtung bereit wäre, die dafür anfallenden Kosten in jedem Fall zu übernehmen. Zum anderen zeigt die Beklagte durch die werbliche Hervorhebung selbst, dass sie selbst von einer Vorteilhaftigkeit für die beworbenen Kreise ausgeht.

Auch die Idee der Beklagten, dass die Auslegung von § 7 HWG offen für Neuentwicklungen im Wettbewerb zu sein habe, führt nach Auffassung der Kammer nicht zu einem anderen Ergebnis. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Heilmittelwerberecht mit Blick auf das hohe Schutzgut der Volksgesundheit grundsätzlich strenge Anforderungen an die Zulässigkeit einer Werbemaßnahme zu stellen sind. Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Schaffung weiterer Ausnahmetatbestände zu § 7 Abs. 1 HWG, welche über den Wortlaut der Vorschrift und den dadurch zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers hinausgehen.

4.
Der Umstand, dass sich die streitgegenständliche Werbung an die ärztlichen Fachkreise und nicht unmittelbar an die Patienten selbst richtet, heilt die unzulässige Werbemaßnahme ebenfalls nicht. Es ist nicht Tatbestandsmerkmal des § 7 Abs. 1 HWG, dass (unmittelbarer) Adressat der Werbemaßnahme, und derjenige, dem der Vorteil zugute kommen soll, identisch zu sein haben. Hinzu kommt, dass - vermittelt über den behandelnden einweisenden Arzt - eine Werbewirkung auch gegenüber dessen Patienten naheliegend erscheint.

Der klägerische Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kostenpauschale besteht nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG (vgl. insoweit Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 12 UWG Rdnr. 1.98 m. w. Nachw.).

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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