Memorandum als Ergebnis der Klausurtagung der Bundeszahnärztekammer am 2. Juni 2012 in Bautzen
Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) vertritt als privatrechtlich organisierter Dachverband die berufspolitischen Interessen der rund 86.000 Zahnärztinnen und Zahnärzte in der Bundesrepublik Deutschland. Als Arbeitsgemeinschaft der 17 deutschen Zahnärztekammern wirkt die BZÄK aktiv am gesundheitspolitischen Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft mit und entwickelt Perspektiven für eine bürgernahe und verantwortungsbewusste Gesundheits- und Sozialpolitik auf nationaler wie europäischer Ebene.
In der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des demographischen Wandels im Hinblick auf die zukünftigen zahnärztlichen Versorgungsstrukturen und den Kompetenzen des zahnärztlichen Behandlungsteams stellt die Bundeszahnärztekammer folgendes fest:
1. Die zahnmedizinische Versorgung ist Bestandteil der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung. Altersbedingte Funktionseinschränkungen und Multimorbidität fordern den Berufsstand in seiner gerodontologischen und medizinischen Kompetenz.
Mit der Umsetzung der novellierten Approbationsordnung für Zahnärzte werden wichtige strukturelle Voraussetzungen für die Verbesserung der Ausbildung in diesen Bereichen geschaffen. Fortbildungsangebote der Zahnärztekammern für das gesamte zahnärztliche Behandlungsteam sind für diese Themenfelder zu verstärken.
Professionspolitisch wird das zahnärztliche Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ zur Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen als wichtigste gesundheitspolitische Maßnahme weiter verfolgt. Darüber hinaus sollten interdisziplinäre Präventions- und Therapieangebote weiterentwickelt und verstärkt werden.
2. Zahnmedizin ist integraler Bestandteil des medizinischen Fächerkanons. Die durch den demografischen Wandel verstärkt auftretende Multimorbidität im täglichen Versorgungsgeschehen stellt auch für die zahnärztliche Versorgung eine erhebliche Herausforderung dar. Grundsätzlich sind wechselseitige Beeinflussungen von Mundgesundheit und Allgemeingesundheit wissenschaftlich belegt. Offene Forschungsfragen existieren jedoch speziell in der Ursachenforschung, um die Bedeutung zahnmedizinischer Risikofaktoren in das Gesamtkonzept der allgemeinen Risikofaktorenmedizin besser einordnen zu können. Entsprechend sollte sich die zahnmedizinische Forschung an den Hochschulen verstärkt für einen interdisziplinären Dialog öffnen und dezidierte Forschungsvorhaben in Gang setzen, bei denen Zahnmedizin und Medizin spezifische Erkrankungsbilder gemeinsam bearbeiten. Der zahnärztliche Berufsstand ist aufgefordert, diesen interdisziplinären Forschungsdialog durch professionspolitische Weichenstellung als eine zentrale Aufgabe zu unterstützen.
3. Sinkende Bevölkerungszahlen und Konzentrationsprozesse der Einwohner im städtischen Raum haben zur Folge, dass die Besiedlung im ländlichen Raum deutlich rückläufig ist. Trends zur Bevölkerungsentwicklung sind für die zahnärztliche Selbstverwaltung von zunehmender Bedeutung. Um übergreifende Steuerungsprozesse und Unterstützungsmaßnahmen ebenso wie lokale Förderung zum Erhalt der flächendeckenden zahnärztlichen Versorgung einzuleiten, müssen Abstimmungsprozesse mit Städten sowie Gemeinden und der zahnärztlichen Selbstverwaltung deutlich intensiviert werden.
4. Auch im zahnärztlichen Berufsstand sind Konzentrationsprozesse, im Sinne größerer Praxiseinheiten, v.a. im städtischen Raum zu beobachten. Praxisübernahmen und -neugründungen im ländlichen Raum sind gleichzeitig deutlich rückläufig und können regional zu zahnmedizinischen Versorgungsdefiziten führen. Diese Entwicklungen werden durch Prozesse im Berufsstand begleitet, die unter dem Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammengefasst werden können. Die zahnärztliche Selbstverwaltung ist gefordert, weitere Unterstützungsmaßnahmen zur Sicherstellung einer flächendeckenden zahnmedizinischen Versorgung zu formulieren. Dabei gilt es auch die unterschiedlichen Berufsausübungsformen in diese Überlegungen einzubeziehen. Die mit den städtischen Konzentrationsprozessen und gleichzeitig mit der Ausdünnung der Versorgung im ländlichen Raum einhergehenden Herausforderungen beinhalten zudem Deprofessionalisierungsgefahren für den Berufsstand.
5. Neben der Unterstützung der freiberuflichen Berufsausübung des Zahnarztes ist auch das zahnmedizinische Hilfspersonal auf diese Entwicklung durch gezielte Kompetenz-angebote vorzubereiten und in die Entwicklung einzubeziehen.
6. Die Delegation von zahnärztlichen Leistungen ist schon heute rechtlich klar geregelt. Hier besteht kein weiterer Handlungsbedarf. Die zukünftige Frage ist deshalb nicht Delegation Ja oder Nein?, sondern Delegation Wie und an Wen? Das Problem liegt demnach in der fachlichen Qualifikation derjenigen, an die Zahnärzte Aufgaben delegieren können. Hier sind klare Definitionen erforderlich. Eine Substitution von Leistungen lehnt die BZÄK ab. Sie führt zur weiteren Fragmentierung der Gesundheitsberufe, dies wiederum zu einem erhöhten Qualifizierungs-, Kommunikations- und Koordinierungsbedarf. Eine Delegation an vorhandene Fach-kräfte dagegen ist praktikabel und sinnvoll.
7. Die Veränderungsdynamik und die Veränderungsbedarfe der zahnärztlichen Versorgung sind durch Anstrengungen der Versorgungsforschung zu begleiten, um auskunftsfähig über den Ist-Zustand zu werden und flexibel und zeitnah auf neue Problemlagen reagieren zu können. Gerade der Wandel an Professionalisierungsvorstellungen über das zahnärztliche Handeln und die zahnärztliche Selbstorganisation im Kontext alternativer Berufsausübungsformen sollte einem standespolitischen Monitoring unterworfen werden, damit die Kammern auf Landesebene im Bedarfsfall gezielt Hilfestellung leisten können. Dabei hat das Problem der zahnärztlichen Versorgungsangebote im ländlichen Raum zweifellos eine hohe Priorität, um diesbezügliche Ungleichgewichte in der bevölkerungsbezogenen Mundgesundheit möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Vor diesem Hintergrund unterstützt die Bundeszahnärztekammer auch die Bemühungen auf der KZV-Ebene, der sog. oralen Morbiditätsentwicklung in den Regionen verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken.