Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) begrüßt das Papier als Teil der geplanten Neustrukturierung der Prävention und Aufklärung in Zusammenhang mit der Neuordnung der Bundeseinrichtungen im Gesundheitsbereich im Grundsatz. Die Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist ein wichtiges präventionspolitisches Thema.
Gleichwohl halten wir Ergänzungen für notwendig, die zu einer erfolgreichen Prävention beitragen können.
1) „Verbesserung der Früherkennung bei Erwachsenen“: Hinweis auf Parodontalerkrankungen fehlt
Eine Reihe von Maßnahmen zur Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist vorgesehen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Sie werden durch viele Faktoren begünstigt, ein Risikofaktor wird dabei oft vernachlässigt: die Mundgesundheit. Wissenschaftlichen Studien zufolge erhöht eine Parodontitis (Zahnbettentzündung) das Risiko für Schlaganfälle oder Herzinfarkte. (1, 2, 3)
Hinweise zu dem bedeutenden Risikofaktor Parodontalerkrankungen müssen in den Gesetzesentwurf aufgenommen werden.
Begründung: Parodontitis ist eine komplexe, chronisch-inflammatorische Erkrankung am Zahnhalteapparat und am Zahnfleisch des Menschen, an der jeder zweite Erwachsene in Deutschland leidet. Unbehandelt ist sie die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Die Parodontitis steht nicht nur in direkter Wechselwirkung mit Diabetes mellitus, sondern nimmt zudem Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Bei einer unbehandelten, schweren Parodontitis finden sich Veränderungen der Arterien, die das Risiko für koronare Herzerkrankungen und Herzinfarkt erhöhen. Zudem treten bei einer unbehandelten Parodontitis vermehrt Bakterien in die Blutbahn ein (Bakteriämie), selbst bei alltäglichen Aktivitäten wie dem Kauen und Zähneputzen. Bei Patienten und Patientinnen mit entsprechender Veranlagung kann dies zu einer Endokarditis führen.
Auch haben Herz- und Blutdruckmedikamente häufig Auswirkungen auf die Mundhöhle, z. B. Wucherungen oder Blutungsneigung des Zahnfleisches oder verringerte Speichelproduktion.
Überdies gibt es etliche gemeinsame Risikofaktoren für Herzerkrankungen und Parodontitis – ver-haltensbezogene (Rauchen, ungesunde Ernährung, schlechte Mundpflege) als auch genetische.
Eine Parodontitis-Diagnose sollte der Hausarztpraxis oder der kardiologischen Praxis deshalb mit-geteilt werden. Ebenso sollte die Zahnarztpraxis unbedingt über Herz-Kreislauferkrankungen informiert werden, um Patientinnen und Patienten adäquat beraten und behandeln zu können.
Aus aktuellem Anlass sei auf eine Initiative des europäischen Verbandes der Haus- und Familienärzte im Weltverband WONCA und die European Federation of Periodontology (EFP) zur Allgemein- und Mundgesundheit hingewiesen. Im Jahr 2022 untersuchten EFP und WONCA-Europe die Rolle der Hausärzte- und der Zahnärzteschaft bei der Prävention und formulierten eine Reihe von Empfehlungen für beide Arztgruppen, so unter anderem gemeinsame Aufklärungskampagnen von Hausärzten und Hausärztinnen, Zahnärzten und Zahnärztinnen und Kardiologen und Kardiologinnen. Gemeinsam soll so gegen weit verbreitete allgemeingesundheitliche Probleme vorgegangen werden, von denen Patienten weltweit betroffen sind und welche in Wechselwirkung zur Mundgesundheit stehen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Diabetes, Rauchen und Hyperlipidämie. Es soll verstärkt der Nutzen einer guten Mundgesundheit für die Allgemeingesundheit in den Fokus gerückt werden. (4)
Daher fordern wir das BMG dazu auf, zum einen die Parodontitis als einen wesentlichen Faktor zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu berücksichtigen sowie die neue präventionsorientierte Parodontitistherapie im Rahmen der geplanten Gesetzesinitiative als wesentlichen Baustein zu verankern.
2) „Verbesserung der Früherkennung bei Erwachsenen“ im Kontext „Reduzierung des Nikotinkonsums“: Hinweis auf das zahnärztliche Team fehlt
Neben Lungenkrebs und kardiovaskulären Erkrankungen stellt das Zigarettenrauchen auch für die Entstehung von Parodontitis sowie deren erfolgreicher Therapie einen bedeutenden Risikofaktor dar. Aus diesem Grund erfolgt regelmäßig eine anamnestische Abfrage des Rauchverhaltens und Erhebung des Raucherstatus bei Patienten in der Zahnarztpraxis.
Aus Sicht der Bundeszahnärztekammer sollte zur Beratung hinsichtlich der Reduzierung des Nikotinkonsums die gesamte Ärzteschaft, einschließlich der Zahnärzte und Zahnärztinnen, eingebunden werden.
Begründung: Das gesamte zahnärztliche Team kann aktiv werden, um Raucher und Raucherinnen zum Nachdenken über ihr Rauchverhalten anzuregen, sie zu einem Rauchstopp zu motivieren und einen Abstinenzversuch unterstützend zu begleiten. Mithilfe von Kurzinterventionen im Umfang von wenigen Minuten können sowohl Zahnärzte und Zahnärztinnen als auch Dentalhygienikerinnen – hygieniker, sowie Prophylaxeassistenteninnen und Prophylaxeassistenten ihre Patienten erfolgreich zu einer Raucherentwöhnung motivieren und neben der Kurzintervention, Informationsmaterial zur Verfügung stellen. Bereits eine nur dreiminütige ärztliche oder zahnärztliche Bera-tung kann rund 13 Prozent der Raucher zu einem erfolgreichen Rauchstopp verhelfen. Den Patientinnen und Patienten können dann im Bedarfsfall weiterführende Verweise zur fachärztlichen Tabakentwöhnung bzw. Psychotherapie gegeben sowie Anlaufstellen, wie lokale Gesundheitsze-ntren oder staatliche bzw. gemeinnützige Organisationen, empfohlen werden. (5)
Angesichts der Tatsache, dass eine große Zahl von Rauchern und Raucherinnen jährlich eine Zahnarztpraxis aufsuchen, fordert die BZÄK das BMG dazu auf, die Zahnärzteschaft und die zahnärztlichen Teams bei der Raucherberatung im Sinne einer Kurzintervention in der Zahnarztpraxis im Impulspapier zu berücksichtigen. Hierfür sollte eine entsprechende Abrechnungsposition vorgesehen werden.
3) Berücksichtigung verhältnispräventiver Maßnahmen: Zuckersteuer einführen
Da die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen weit über verhaltensbezogene Ansätze und Aufklärungsmaßnahmen hinausreicht, möchten wir abschließend u.a. für die Einführung einer Zuckersteuer werben.
Begründung: Strategien zur Gesundheitsförderung können einen wesentlichen Beitrag liefern, um nichtübertragbare chronische Krankheiten (NCD) zu verhindern. Die wesentlichen nichtübertragbaren Erkrankungen in der Zahnmedizin sind Zahnkaries und Parodontalerkrankungen. Die entscheidende Ursache für das Entstehen von Karies ist übermäßiger Zuckerkonsum. Ein hoher Zuckerkonsum ist auch mit einem erhöhten Risiko für Parodontalerkrankungen assoziiert. Es wird angenommen, dass durch die Nahrung aufgenommener Zucker chronisch entzündliche Erkrankungen wie Parodontitis begünstigt.
Zucker spielt aber nicht nur für die Mundgesundheit eine Schlüsselrolle. Ein hoher Zuckerkonsum, vor allem durch zuckerhaltige Getränke, geht mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Übergewicht und Adipositas sowie deren Folgeerkrankungen einher. Wissenschaftlich belegt sind außerdem Zusammenhänge zwischen Zuckerkonsum und Diabetes Typ 2 sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. (6)
Strategien zur Reduzierung des Zuckerkonsums sollten daher disziplinübergreifend und in enger Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen und Public-Health-Akteuren verfolgt werden, um Fachlichkeit und gesundheitspolitischen Einfluss zu bündeln. Prävention ist dann am effektivsten, wenn sie der Rolle sozialer, materieller, und kommerzieller Einflüsse Rechnung trägt. Dazu bedarf es einer umfassenden Gesundheitspolitik, welche durch eine sinnvolle Kombination von Upstream- und Downstream-Strategien Lebenswelten schafft, die gesundes Verhalten fördern und erleichtern. Dies unterstützt auch die FDI World Dental Association in einem Policy Statement aus dem Jahr 2023. (7)
Ganz konkret können die verbindliche Einführung einer Ernährungsampel (oder einer anderen verpflichtenden Lebensmittelkennzeichnung), die Erhebung einer Zuckersteuer auf zuckerhaltige Getränke, Werbeverbote, sowie verbesserte Ernährungsprogramme in den Settings Kita und Schule einen entscheidenden Beitrag zur Zuckerreduktion und damit zur Verbesserung der Mund- und Allgemeingesundheit leisten. Die zahnmedizinische Gemeinschaft aus Wissenschaft, Praxis und berufspolitisch Engagierten ist in einer idealen Position, um dabei ihre Expertise einzubringen. Wir möchten eine entsprechende Vernetzung anregen und unterstreichen die Notwendigkeit der Evaluierung existierender Präventionsprogramme.
(1) G. Ferrannini: Periodontitis and cardiovascular outcome - a prospective follow-up of the PAROKRANK cohort, ESC Congress 2021 – The Digital Experience; 27. bis 30. August 2021
(2) Eva Muñoz Aguilera, Jean Suvan, Jacopo Buti et al.: Periodontitis is associated with hypertension: a sys-tematic review and meta-analysis. Cardiovascular Research (2020) 116: 28–39.
(3) Chang Y, Woo HG, Park J, Lee JS, Song TJ. Improved oral hygiene care is associated with decreased risk of occurrence for atrial fibrillation and heart failure: A nationwide population-based cohort study. Eur J Prev Cardiol. (2020), 27(17):1835-1845. https://doi.org/10.1177/2047487319886018
(4) Herrera, D., Sanz, M., Shapira, et al.: Association between periodontal diseases and cardiovascular dis-eases, diabetes and respiratory diseases: Consensus report of the Joint Workshop by the EuropeanFederation of Periodontology (EFP) and the European arm oft he World Organization of Family Doctors (WONCA Eu-rope). Journal of Clinical Periodontology, (2023), 50(6): 819–841. https://doi.org/10.1111/jcpe.13807
(5) Deutsches Krebsforschungszentrum, Bundeszahnärztekammer (Hrsg.): Rauchen und Mundgesundheit. Er-krankungen des Zahn-, Mund und Kieferbereiches und Interventionsstrategien für Zahnärzte, Heidelberg, 2011 (2. Aufl.), S. 51-59, https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/RoteReihe/Mundgesundheit_Band_13.pdf
(6) Heilmann A, Ziller S. Reduzierung des Zuckerkonsums für eine bessere Mundgesundheit – Welche Strate-gien sind Erfolg versprechend? Bundesgesundheitsbl (2021), 64 (07): 838–846. https://doi.org/10.1007/s00103-021-03349-2
(7) FDI World Dental Federation (Hrsg.): Policy-Statement Social and Commercial Determinants of Oral Health, verabschiedet am 27. September 2023, General Assembly, Sidney (Australien)