Ernährungszahnmedizin und Mundgesundheit

Fachliche Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen

Bundeszahnärztekammer


Einleitung

Nichtübertragbare chronische Krankheiten (NCD), insbesondere Herz-Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen und Diabetes nehmen in Deutschland seit Jahren zu. Zu den Risikofaktoren zählen neben dem Konsum von Tabak und Alkohol, Bewegungsmangel und Luftverschmutzung eine ungesunde Ernährung. Aus evolutionärer Betrachtung sind weder die menschliche Biologie noch das assoziierte Mikrobiom auf diese Risikofaktoren ausgelegt. Eine Folge dieses veränderten Ernährungsverhaltens ist die Zunahme ernährungsmitbedingter Erkrankungen, zu denen auch die Zahnkaries und Parodontalerkrankungen zählen. Dies hat nicht nur Einfluss auf unser Gesundheitssystem, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung [1]. Die Ernährungslenkung hin zu einer (mund)gesunden Ernährungsweise ist ein wichtiger Eckpfeiler, um den Auswirkungen von Fehlernährung auf die allgemeine und orale Gesundheit entgegenzuwirken.

Eine Fehlernährung kann sich im Mund sowohl auf die Zahnhartsubstanz (Karies) als auch auf die Strukturen des Zahnhalteapparates (Gingivitis, Parodontitis) negativ auswirken. Im Gegensatz zu Erkrankungen wie Diabetes, koronaren Herzerkrankungen oder neurodegenerativen Erkrankungen, die sich meist über Jahre bzw. Jahrzehnte ausbilden, können sich die Folgen einer Fehlernährung in der Mundhöhle bereits innerhalb einer kurzen Zeitspanne manifestieren.

Da Menschen im jungen und mittleren Erwachsenenalter keine Arztgruppe so regelmäßig kontrollorientiert aufsuchen wie Zahnärztinnen und Zahnärzte, könnte eine Fehlernährung in der Zahnarztpraxis zum ersten Mal erkannt werden. Hieraus ergibt sich die Chance, über zahnärztliche Ernährungsimpulse frühzeitig zahn- und allgemeinmedizinischen Erkrankungen vorzubeugen, die auf einer Fehlernährung beruhen. Dies kann zu einer besseren (Mund)Gesundheit der Patientinnen und Patienten beitragen und die Ressourcen im Gesundheitssystem nachhaltig entlasten.

Es ist daher von gesundheitspolitischer Bedeutung, die Zahnärztin und den Zahnarzt an der Schnittstelle zur Allgemeinmedizin (Ernährung als Teil des gemeinsamen Risikofaktorenansatzes) in der Rolle als Präventivmediziner zu stärken. Ernährungszahnmedizinische Impulse und die Information von Patientinnen und Patienten über das präventive und therapeutische Potential der Ernährung für die (Mund)Gesundheit sollten sich zu Routinen in der Zahnarztpraxis entwickeln. Denn idealerweise ergänzt eine mund(gesunde) Ernährungsweise die fest verankerten, effektiven Säulen der zahnmedizinischen Prävention wie Mundhygiene- und Fluoridierungsmaßnahmen. Die regelmäßige, zahnärztliche Kontrolluntersuchung sowie die professionelle Zahnreinigung (PZR) bieten eine geeignete Situation, um das Thema Ernährung professionell anzusprechen.


Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen

Die folgende fachliche Bestandsaufnahme sowie die daraus abzuleitenden Handlungsempfehlungen geben den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand in der Ernährungszahnmedizin wieder, und soll Zahnärztinnen und Zahnärzten bei einer Ernährungsberatung in der Praxis unterstützen. Ergänzend wird auf die Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) verwiesen:

www.dge.de/gesunde-ernaehrung/gut-essen-und-trinken/dge-empfehlungen

Zucker vermeiden

Der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker ist in Deutschland seit Jahren entschieden zu hoch. Mit knapp 91 Gramm Zucker am Tag liegt der durchschnittliche Zuckerkonsum deutlich über den Empfehlungen von Fachgesellschaften und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die dazu rät, die Tagesdosis von 25 bis maximal 50 Gramm Haushaltszucker pro Tag und Kopf nicht zu überschreiten [2]. Zu den wichtigsten Quellen freier Zucker in der Ernährung gehören zuckerhaltige Getränke, Süßigkeiten und Backwaren. Für Kinder spielen Frühstückszerealien mit hohem Zuckergehalt eine wichtige Rolle. Der Konsum von Zucker ist zentraler Auslöser von Karies. Zudem besitzen einfache, raffinierte Kohlenhydrate wie Zucker einen signifikant entzündungsfördernden Einfluss auf das Zahnfleisch [3].

Daher ist eine Reduktion, besser Vermeidung, des Zuckerkonsums ein wichtiger Ansatz zur Prävention von oralen Erkrankungen sowie zur allgemeinen Gesundheitsförderung.

Hauptsächlich pflanzenbasierte Vollwerternährung

Eine hauptsächlich pflanzenbasierte Vollwertkost, unter Berücksichtigung einer ausreichenden Vitamin B12-Versorgung, wirkt sich vorteilhaft auf die orale und die allgemeine Gesundheit aus. Vollwert-Ernährung ist eine Ernährungsweise, bei der gering verarbeitete, naturbelassene Lebensmittel gegenüber in hohem Maße industriell verarbeiteten Lebens-mitteln bevorzugt werden (wie z.B. Vollkorn statt Weißmehl, Obst statt Saft).

Besonders empfehlenswert sind komplexe Kohlenhydrate mit einem hohen Ballaststoffgehalt wie Vollkorngetreide, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen.

Prozessierte, ballaststoffarme Kohlenhydrate wie Zucker und Weißmehl wirken proinflammatorisch und fördern nicht nur Karies, Gingivitis, und damit langfristig eine Parodontitis, sondern auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II und bestimmte Krebsarten [4].

Vielseitig und nährstoffreich essen

Eine vielseitige und abwechslungsreiche Lebensmittelauswahl liefert ein breites Angebot an wichtigen Nährstoffen wie Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen. Diese Mikronährstoffe besitzen eine antiinflammatorische Wirkung und tragen wesentlich zur Gesunderhaltung von vielzähligen Stoffwechselwegen, antioxidativen Prozessen und Immunfunktionen bei. Auch auf Zähne und Parodont wirkt sich eine ausreichende Zufuhr von Nährstoffen wie Vitamin A, B, C, D, E oder Kalzium förderlich aus [5].

Vor allem Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte liefern zahlreiche Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre pflanzliche Nährstoffe und sollten daher täglich auf dem Speiseplan stehen.

Gesunde, mehrfach ungesättigte Fettsäuren

Zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren gehören unter anderem Omega-3- sowie Omega-6-Fettsäuren. Während Omega-3-Fettsäuren entzündungshemmend wirken, fördern Omega-6-Fettsäuren das Auftreten von Entzündungen im Körper [6].

Omega-3-Fettsäuren finden sich vor allem in Fisch, Algenöl, Leinsamen und Nüssen. Lebensmittel wie verarbeitete Fleisch- und Wurstwaren sind reich an entzündungsfördernden Omega-6-Fettsäuren und sollten daher weitestgehend vermieden werden.

Ausreichend Flüssigkeit

Im Schnitt sollte ein Erwachsener am Tag rund 1,5 Liter Flüssigkeit trinken. Bei Erkrankungen, sportlichen Aktivitäten oder Hitze kann die empfohlene Menge auch deutlich höher liegen. Empfehlenswert sind alle Wassersorten sowie ungezuckerte Kräuter- und Früchtetees. Ebenfalls empfehlenswert sind Grün- und Schwarztee, deren sekundäre Pflanzenstoffe plaquehemmend und antibakteriell wirken [7]. Als Getränke und Durstlöscher nicht geeignet sindgezuckerte Colagetränke und Limonaden sowie Säfte und  Energydrinks.

Zahnschädigende Ernährungsgewohnheiten abstellen

Ernährungsgewohnheiten, wie beispielsweise eine hohe Aufnahmefrequenz säurehaltiger Zwischenmahlzeiten und Getränke, können zu irreversiblen Zahnhartsubstanzdefekten führen, die die Lebensqualität betroffener Personen signifikant beeinträchtigen. Es gilt, die Häufigkeit der Säureeinflüsse zu reduzieren. Statt saurer Getränke sollten Wasser oder Kräutertees konsumiert werden. Zudem können saure Lebensmittel mit kalziumhaltigen Lebensmitteln, die Erosionen vorbeugen, kombiniert werden.

Verhältnispräventive Maßnahmen

Neben einer Ernährungsberatung durch Heil- und Gesundheitsberufe, die das Verhalten des Einzelnen beeinflusst, sollte die Prävention ernährungsbedingter Erkrankungen auch durch politische Rahmenbedingungen flankiert werden (Verhältnisprävention).

Eine gesunde Ernährung für Alle sollte im Alltag verfügbar, zugänglich, bezahlbar und attraktiv sein. Daher unterstützt die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) die Forderungen des Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ Zucker nicht mehr als Grundnahrungsmittel zu klassifizieren und damit die Mehrwertsteuer entsprechend anzuheben, sowie gleichzeitig den Mehrwertsteuersatz auf Obst und Gemüse in Bio-Qualität, auf Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide sowie auf Mineral- und Tafelwasser abzusenken [8]. Auch die politischen Forderungen nach einer Herstellerabgabe auf zuckerhaltige Getränke [9] sowie die Einführung einer verpflichtenden Lebensmittelkennzeichnung und Werbebeschränkungen für stark gezuckerte Lebensmittel für (Klein-)Kinder werden von der BZÄK unterstützt.


Wirtschaftliche Aspekte einer ernährungszahnmedizinischen Beratung

Die zahngesunde Ernährung ist Teil eines lebensbegleitenden Präventionskonzeptes. Eine strukturierte zahnärztliche Ernährungsberatung sollte deshalb in jedem Lebensalter als präventive Maßnahme und bei spezifischen Erkrankungen (z.B. Parodontalerkrankungen) und in risikobehafteten Lebenssituationen (z.B. Pflegesituation) angeboten werden können.

Die vorhandenen Leistungspositionen mit Aspekten der Ernährungsberatung sind im vertragszahnärztlichen Gebührenverzeichnis (BEMA) derzeit vor allem in der Kinderzahnheilkunde vertreten (FU 1a/b/c; FU 2; IP2), prinzipiell im Aufklärungsgespräch im Rahmen der Parodontitistherapie (ATG) und in der Therapie von vulnerablen Gruppen mit Pflegegrad (Ä174a + Ä174b). Für die Durchführung einer zahnärztlichen Ernährungserfassung und -beratung bei Erwachsenen bleibt somit lediglich die Gesprächsposition Ä1. Damit ergibt sich eine Lücke in der ernährungsbezogenen Prävention und Therapie von zahnärztlichen erwachsenen Personen.

Die Umsetzung eines ernährungsmedizinischen Konzepts für die Personengruppe kann für den Bereich des privaten Gebührenrechts derzeit nur durch Bildung von Analogiepositionen nach GOZ § 6 (1) erfolgen.

Vorschläge für eine grundständige Ernährungserfassung und eine entsprechende Beratung sind die Verwendung der GOZ-Positionen 3040a oder 8000a. Für eine Reevaluation der Ernährungsumsetzung könnte die Position 2110a verwendet werden.

Die Anwendung von Analogpositionen stellt nur eine provisorische Lösung dar. Die Erarbeitung und Implementierung einer Leistungsstrecke „Zahnärztlichen Ernährungsberatung“ in Bema und der GOZ sind dringend geboten.


Literatur

1 Heilmann A, Ziller S. Reduzierung des Zuckerkonsums für eine bessere Mundgesundheit – Welche Strategien sind Erfolg versprechend? Bundesgesundheitsbl. 2021;64(07):838–846.

2 BMEL-Statistik [Internet]. Zucker, Glukose; [zitiert am 10. Juli 2024]. Verfügbar unter: www.bmel-statistik.de/ernaehrung/versorgungsbilanzen/zucker-glukose

3 Hujoel P. Dietary carbohydrates and dental-systemic diseases. J Dent Res. 2009;88(6):490-502.

4 Wölber J. Einfluss der Ernährung auf die Mundgesundheit. Zahnmedizin up2date. 2020;14:379-394.

5 Wölber J, Tennert C. Ernährungszahnmedizin. 1. Auflage. Berlin, Quintessence Publishing, 2022 :78-105.

6 Simopoulos AP. An increase in the omega-6/omega-3 fatty acid ratio increases the risk for obesity. Nutrients. 2016;8(3):128.

7 Hannig C, Sorg J, Spitzmüller B, Hannig M, Al-Ahmad A. Polyphenolic beverages reduce initial bacterial adherence to enamel in situ. J Dent. 2009;37(7):560-6.

8 Bürgerrat „Ernährung im Wandel“: Empfehlungen an den Deutschen Bundestag Berlin, 14. Januar 2024

9 Verbraucherschutzministerkonferenz (VMSK): Vermerk im Protokoll nachdem neun Bundesländer der den Bund auffordern, eine Steuer auf besonders zuckerhaltige Getränke zu prüfen. 12. bis 14. Juni 2024, Regensburg (zit. nach www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/softdrinks-steuer-zucker-100.html)


Mitglieder der Arbeitsgruppe

An der Erstellung des Papiers „Ernährungszahnmedizin und Mundgesundheit – fachliche Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen“ haben mitgewirkt:

Univ.-Prof. Dr. Johan Wölber, Professur für Parodontologie an der Poliklinik für Zahnerhaltung – Bereich Parodontologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden

Dr. Wilfried Beckmann, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe

Dr. Sebastian Ziller MPH, Leiter der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung der Bundeszahnärztekammer

Dr. Alice Arndt-Fink, Referentin der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung der Bundeszahnärztekammer

sowie die Mitglieder des Ausschusses Präventive Zahnmedizin der BZÄK:

Dr. Michael Brandt, Präsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein

Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer

Dr. Wilfried Beckmann, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe

Prof. Dr. A. Rainer Jordan MSc., Wissenschaftlicher Direktor des Institutes der Deutschen Zahnärzte (IDZ)

Dr. Christian Junge, Präsident der Landeszahnärztekammer Thüringen

Dr. Susanne Jäger, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Hessen

Dr. Ralf Kulick, Vizepräsident der Landeszahnärztekammer Thüringen

Dr. Nicole Primas, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt

Dr. Wilfried Woop, Präsident der Landeszahnärztekammer Rheinland-Pfalz

PD Dr. Yvonne Wagner, Direktorin des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart (ZFZ)

Prof. Dr. Stefan Zimmer, Ärztlicher Leiter der Zahnklinik und Abteilungsleiter für Zahnerhaltung, Präventivzahnmedizin und Kinderzahnmedizin

Dr. Ralf Wagner, Ehrenvorsitzender der KZV Nordrhein und Vertreter der KZBV im Ausschuss


Für Rückfragen

Bundeszahnärztekammer, Telefon: +49 30 40005-0,  E-Mail: info@bzaek.de


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