1689 1690 1690 1690 1691 1691 Stellungnahme | Politik, Praxisführung, Qualität | Datenschutz, Digitalisierung Gesundheitsdaten für eine patientenzentrierte Versorgung und gemeinwohlorientierte Forschung

Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlamentes und des Rates über den europäischen Raum für Gesundheitsdaten


Bundeszahnärztekammer


Vorbemerkung

Medizinische Informationen sind eine unverzichtbare Grundlage für die Gesundheitsversorgung. Auch in der Zahnmedizin werden bei jeder Befundung, Diagnostik, Prophylaxe und Therapie zahlreiche Informationen zusammengetragen und dokumentiert. Zu den Patientendaten, die in der Zahnarztpraxis typischerweise anfallen, gehören Aufzeichnungen zur Anamnese, zum Zahnstatus und zur Behandlungsdokumentation, aber auch Röntgenbilder, Abformungen, Verschreibungen und Informationen aus dem zahntechnischen Labor. Außerdem wichtig sind gesundheitsrelevante Informationen, die Patienten und Patientinnen von sich aus beisteuern, z. B. über Vorerkrankungen, Medikamente, Allergien oder Unverträglichkeiten. Behandlungserfolg und Patientensicherheit hängen ganz wesentlich von der Verfügbarkeit all dieser Gesundheitsdaten ab. Diese Daten liegen in analoger oder digitaler Form vor – einen Zwang, alle Daten zu digitalisieren, darf es nicht geben.

Gesundheitsdaten in digitaler Form zu verarbeiten, ist in der Zahnmedizin längst selbstverständlich. Die Bundeszahnärztekammer unterstützt deshalb das Ziel, elektronische Gesundheitsdaten als Informationsquelle für eine vernetzt organisierte Versorgung europaweit zu nutzen und nachgelagert so zusammenzuführen, dass Wissenschaft und Forschung davon profitieren. Dabei sind auf individueller Ebene das Patientenrecht und das Berufsrecht und auf kollektiver Ebene die Interessen des Gemeinwohls zu wahren. Eine rein auf wirtschaftlichen Gewinn zielende Nutzung von Gesundheitsdaten ohne Gegenleistung für die Systeme der sozialen Sicherung in Europa lehnen wir ab: Gesundheitsdaten sind keine Ware! Der EU-Gesundheitsdatenraum darf nicht das virtuelle Warenlager für Datenhandel sein! Eine Pflicht, Gesundheits- und Behandlungsdaten einem Binnenmarkt für Gesundheitsdaten zuzuliefern, darf es weder für Bürgerinnen und Bürger noch für Zahnärztinnen und Zahnärzte geben!


Idee und Konzeption eines gemeinsamen Gesundheitsdatenraums

Wichtiges hat Vorrang! Die Bundeszahnärztekammer befürwortet das Vorhaben, einen europäischen Gesundheitsdatenraum zu errichten, sofern er den Prinzipien einer patientenzentrierten Versorgung und gemeinwohlorientierten Forschung verpflichtet ist. Die Konzeption eines europäischen Gesundheitsdatenraums sollte sich daher zuerst an den Zielen der Primärnutzung von Gesundheitsdaten ausrichten – an den Zwecken also, für die Zahnärztinnen, Zahnärzte und weitere „Leistungserbringer“ diese Daten zuerst („primär“) erfassen und nutzen. Eine derartige Registrierung und Verarbeitung von elektronischen Gesundheitsdaten erfolgt behandlungsbegleitend, sie dient dem Schutz und der Verbesserung der menschlichen Gesundheit. Bisher ungeklärt ist allerdings, welche zahnmedizinischen Daten im europäischen Raum einheitlich verfügbar sind.

Das Feld nicht von hinten aufrollen! Ihrem Wesen nach ist die „sekundäre“ Zweitnutzung von Gesundheitsdaten eine Ableitung aus der Primärnutzung. Nachgelagerte Nutzungsmöglichkeiten dürfen aber weder handlungsleitend für die Etablierung eines gemeinsamen europäischen Gesundheitsdatenraums sein, noch dürfen sie in neue Regeln münden, die dann in umgekehrter Richtung auf die medizinische Versorgung oder auf bestehende (einzelstaatliche) Bestimmungen zum (zahn)ärztlichen Berufsrecht oder Patientenrecht durchschlagen. Zu nennen sind beispielsweise die Schweigepflicht, das Patientengeheimnis, die Dokumentation der Behandlung, Aufbewahrungsfristen oder auch Einwilligungserfordernisse und Widerspruchsmöglichkeiten.

Jeder für seinen Bereich! Nach Auffassung der Bundeszahnärztekammer wird der Erfolg eines europäischen Gesundheitsdatenraums maßgeblich davon abhängen, dass zum Ersten die Primärnutzung von elektronischen Gesundheitsdaten zu einer für Bürgerinnen und Bürger bzw. für Zahnärztinnen und Zahnärzte greifbaren Verbesserung der Gesundheitsversorgung führt, dass zum Zweiten die konkrete Ausgestaltung in einzelnen Mitgliedsstaaten auf bereits vorhandene Regeln und Strukturen aufbaut und dass zum Dritten Kommission und Mitgliedstaaten in geteilter Verantwortung handeln. Der Rechtsrahmen für einen europäischen Gesundheitsdatenraum sollte daher so gestaltet werden, dass einzelstaatliche Bestimmungen soweit als möglich im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten verbleiben und die für den (grenzüberschreitenden) Austausch von strukturierten Gesundheitsdaten notwendigen Harmonisierungen und Anpassungen auf das notwendige Maß beschränkt bleiben. Bei der konkreten Ausgestaltung sollte auf größtmögliche Anwenderbeteiligung geachtet werden. Die Bundeszahnärztekammer bietet an, sich mit zahnmedizinischer Expertise aktiv einzubringen.


Folgende Punkte im EU-Verordnungsentwurf sollten einer kritischen Prüfung unterzogen werden:

  • Fehlende Bezugnahme auf Artikel 168 AEUV (Gesundheitswesen) als vorrangige Grundlage für den Verordnungsentwurf,
  • Umfang und Notwendigkeit der im Verordnungsentwurf genannten Durchführungsakte und delegierten Rechtsakte und daraus resultierenden Angleichungen einzelstaatlicher Bestimmungen,
  • Beibehaltung einzelstaatlicher Bestimmungen und Verbleib der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihre Gesundheitssysteme.
  • Angesichts der Komplexität der Zuständigkeiten: Deutlich längerer Umsetzungszeitraum!

Unabhängig von verfahrenstechnischen Einzelheiten bleibt die grundlegende Fragestellung, wie wir als Individuen und als Gesellschaft mit Gesundheitsdaten umgehen wollen. Die Entscheidungen darüber sollten weder allein von der EU getroffen werden, noch hinter den verschlossenen Türen der national zuständigen Ministerien verhandelt werden. Der Diskurs über einen europäischen Gesundheitsdatenraum gehört in die Mitte der Gesellschaft – mit breiter Beteiligung der Parlamente und Zivilgesellschaften. Dies gilt auch und besonders für Deutschland, wo das Thema der Datennutzung stets ein hochsensibles ist.


Umsetzung in den Mitgliedstaaten:
Vorhandenes nutzen und weiterentwickeln – praxistauglich, strukturiert und aufwandsarm

Alle mitnehmen! Die Bundeszahnärztekammer begleitet den Prozess der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen seit vielen Jahren aktiv, u.a. als Gesellschafterin der gematik. Gerade die Entwicklung der Telematikinfrastruktur und ihrer Anwendungen stellt eine komplexe Aufgabe dar. Gleichzeitig verfügen zahnärztliche Praxen von der Behandlungseinheit bis zum Röntgengerät über hochmoderne Ausstattungen mit digitalen Workflows, so dass – auch bei Zahnärztinnen und Zahnärzten – zuweilen der Eindruck entsteht, die Digitalisierung schreite innerhalb der medizinischen Einrichtungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten voran. Die einzelne Zahnärztin bzw. den einzelnen Zahnarzt stellt dies vor die Herausforderung, unterschiedlichsten Anforderungen gleichzeitig gerecht werden zu müssen; dazu gehören die elektronische Behandlungsdokumentation, Software in medizinischen Geräten, Komponenten und Anwendungen der TI, Praxisverwaltungssoftware, IT-Sicherheit u.v.a.m.

Vorhandenes nutzen! Aus Sicht der Bundeszahnärztekammer ist es deshalb die vordringliche Aufgabe der Politik, den rechtlichen Rahmen für die nächsten Jahre so zu setzen, dass alle Werkzeuge, die im Rahmen einer digital gestützten Versorgung zum Einsatz kommen, auf ein gleichwertiges Niveau gehoben und dort gehalten werden können. Dabei gilt es, Zahnärztinnen und Zahnärzte angesichts knapper Personal- und Finanzressourcen nicht zu überfordern, indem man sie mit neuen Aufgaben im Zusammenhang mit dem EU-Gesundheitsdatenraum belastet. Deshalb spricht sich die Bundeszahnärztekammer dafür aus, die TI und ihre medizinischen Anwendungen so weiterzuentwickeln, dass bereits existierende Strukturen und Technologien für den europäischen Gesundheitsdatenraum genutzt und nicht neu oder – schlimmer noch – zusätzlich konzipiert werden müssen.


Der Fokus sollte aus Sicht der Bundeszahnärztekammer auf Gesundheitsdaten liegen, die

  • für die Behandlung relevant,
  • strukturiert und interoperabel und
  • automatisiert verarbeitbar

sind.


Dabei ist es aus zahnärztlicher Sicht notwendig, die Registrierung von und den Zugriff auf Daten differenziert zu betrachten. So gibt es einerseits nur wenige zahnmedizinische Daten, die sich für eine Registrierung eignen; andererseits aber viele medizinische Daten, die im Kontext einer zahnmedizinischen Behandlung nützlich sein können.

Ebenfalls ist es wichtig, zu betonen: Bürokratische und finanzielle Negativauswirkungen für die Zahnarztpraxen sollten vermieden und müssen berücksichtigt werden! Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte sind nach negativen Erfahrungen mit der TI sehr sensibel gegenüber neuen bürokratischen und technischen Belastungen; oft erschweren sie die Abläufe in den unter Personalmangel leidenden Praxen.


Primärnutzung

Schreiben und Lesen. Der Verordnungsentwurf definiert Primärnutzung als Verarbeitung von Gesundheitsdaten für die Erbringung von Gesundheitsdiensten sowie für die einschlägigen Dienste der Sozialversicherung, Verwaltung und Kostenerstattung (Artikel 2). Damit legt er den Fokus ganz klar auf das Behandlungsgeschehen, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass als prioritäre Kategorien für die Primärnutzung diejenigen Daten bestimmt werden, die im Verlauf der medizinischen Behandlung registriert und verarbeitet werden (Artikel 5). Weiterhin sieht der Verordnungsentwurf vor, dass Angehörige der Gesundheitsberufe auf die Daten von Personen, die sie behandeln, Zugriff haben; sie sollen prioritäre Daten in einem EHR-System registrieren und über Zugangsdienste zumindest Zugriff auf diese Daten erhalten. Natürliche Personen erhalten das Recht, ebenfalls auf ihre Daten zuzugreifen, eine elektronische Kopie ihrer prioritären Daten zu erhalten und den Zugang von Angehörigen der Gesundheitsberufe zu ihren Daten oder Teile davon zu beschränken.

Original und Kopie. Auch wenn jede dieser Regelungen für sich genommen gerechtfertigt und plausibel erscheint, bleibt unklar, wie sie zu einem kohärenten System der Primärnutzung zusammengeführt werden sollen. Dabei ist es nach Auffassung der Bundeszahnärztekammer zwingend notwendig, zwischen der (zahn)ärztlichen Behandlungsdokumentation mit Originaldaten einerseits und Datenkopien im Besitz von Patientinnen und Patienten andererseits zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung fehlt bisher, auch mit Blick auf die – für die Konzeption des Datenraums wesentlichen - EHR-Systeme. So sollte beispielsweise präzisiert werden, ob EHR-Systeme allein als Ablagesysteme für Datenkopien in Patientenhand zu verstehen sind oder ob sie im Sinne einer gemeinsamen Behandlungsdokumentation auch den Zugriff auf Originaldaten ermöglichen sollen.

Arztgeführte Behandlungsdokumentation. Die Bundeszahnärztekammer favorisiert das Konzept einer Primärnutzung im Sinne einer Behandlungsdokumentation im gemeinsamen Zugriff aller Mitbehandelnden. Der Regelfall sollte so gestaltet sein, dass alle Angehörigen von Gesundheitsberufen, die an der gesundheitlichen Versorgung einer natürlichen Person mitwirken, im konkreten Behandlungsfall elektronische Gesundheitsdaten registrieren und auf die registrierten Daten dieser natürlichen Person zugreifen können, z.B. mit Abschluss des Behandlungsvertrags willigen natürliche Personen ein, dass die Behandlungsdokumentation des einzelnen Behandelnden, Teil der gemeinsamen Behandlungsdokumentation wird; sie haben außerdem Anspruch darauf, dass alle an ihrer Behandlung Beteiligten diese Daten annehmen und lesen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung für natürliche Personen, an der Primärnutzung ihrer elektronischen Gesundheitsdaten aktiv mitzuwirken, sollte es nicht geben. Wenn natürliche Personen den Zugang zu ihren Daten beschränken, sollten alle damit verbundenen Verarbeitungsvorgänge zentral gebündelt werden.

ePA nutzen und weiterentwickeln. Grundsätzlich hält die Bundeszahnärztekammer die deutsche Telematikinfrastruktur für die geeignete Plattform, um über sie das Konzept der oben skizzierten Primärnutzung – unter Nutzung der aktuellen ePA, Fach- und Zugangsdienste – auf nationaler Ebene zu realisieren. Daraus ergibt sich jedoch eine Reihe technischer, rechtlicher und organisatorischer Fragen, die es zu beantworten gilt.

Technisch muss geklärt werden, ob für die Primärnutzung die in den Leistungserbringerinstitutionen registrierten elektronischen Gesundheitsdaten anlassbezogen zusammengeführt werden sollen oder ob Kopien dieser Daten in EHR-Systemen archiviert werden sollen. Aus Sicht der Bundeszahnärztekammer ist eine anlassbezogene Zusammenführung zu bevorzugen, da medizinische Daten berufsgruppen- und facharztspezifisch gefiltert, aufbereitet und angezeigt werden können.

Rechtlich muss geklärt werden, ob die Zustimmung von natürlichen Personen in die Verarbeitung ihrer Gesundheitsdaten über eine Einwilligungs- (opt-in) oder eine Widerspruchslösung (opt-out) geregelt werden soll. Ob die für Deutschland favorisierte Opt-out-Regelung tatsächlich den gewünschten Effekt einer intensivierten Primärnutzung von elektronischen Gesundheitsdaten haben wird, bleibt abzuwarten. Unabhängig davon könnte ein Vorteil in geringeren Bearbeitungsaufwänden liegen, die bei Widersprüchen anstelle von Einwilligungen zu erwarten sind. Auch dabei wäre jedoch sicherzustellen, dass alle Verarbeitungsvorgänge auch künftig aus den Praxen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen ausgelagert bleiben. Gleichzeitig müssen alle geltenden Anforderungen an die ärztliche Schweigepflicht berücksichtigt werden.

Organisatorisch muss festgelegt werden, wer die datenschutzrechtliche und betriebliche Verantwortung für die notwendige Infrastruktur, Zugangsdienste und Fachanwendungen trägt. Nach Auffassung der Bundeszahnärztekammer sollte die Verantwortung zur Gänze in den Händen der gematik, zukünftig Digitale Gesundheitsagentur, liegen.

Zusammenfassend bietet es sich an, für die Umsetzung des europäischen Verordnungsentwurfs in Deutschland die bereits vorhandene ePA zu einem EHR-System auszubauen, das sowohl den Anforderungen an eine Behandlungsdokumentation im gemeinsamen Zugriff aller Mitbehandelnden genügt als auch die Funktion einer patientengeführten Akte mit Kopien der persönlichen elektronischen Gesundheitsdaten vorsieht.


Um einen sinnvollen Einsatz in der Zahnmedizin zu ermöglichen, sollte die von Zahnärztinnen und Zahnärzten genutzte ePA folgende Eigenschaften haben:

  • Mehrstufiges Berechtigungsmanagement,
  • sukzessive Befüllung mit Daten, jeweils im Kontext der aktuellen Behandlung,
  • keine Verpflichtung, Daten nachträglich zu registrieren,
  • Pflicht zur Registrierung nur von strukturierten und interoperablen Daten,
  • Berücksichtigung aller für die zahnmedizinische Versorgung relevanten Daten (auch: privatzahnärztliche Leistungen, zahntechnisches Labor).

EHR-Systeme

ePA für alle. EHR-Systeme sollten so konzipiert sein, dass sie sowohl die Funktionalitäten einer Behandlungsdokumentation als auch die Ausleitung von Kopien für Patientinnen und Patienten ermöglichen. Die arztgeführte Behandlungsdokumentation sollte als Grundlage für die Primärnutzung, die patientengeführte ePA als Grundlage für die Sekundärnutzung dienen.

Sofern für Deutschland weiterhin vorgesehen ist, natürlichen Personen eine ePA über die Krankenkassen anzubieten, muss auch zukünftig sichergestellt sein, dass die Kassen keinen Zugriff auf die persönlichen Gesundheitsdaten der ePA erhalten. Als Alternativen zur Bereitstellung einer kassenindividuellen ePA kämen auch die Bereitstellung einer bundeseinheitlichen ePA oder die individuelle Wahlfreiheit zwischen den EHR-Systemen unterschiedlicher Anbieter in Betracht.


Sekundärnutzung

In den unendliche Weiten des Datenraums? Der Verordnungsentwurf definiert den Begriff der Sekundärnutzung sehr allgemein als Verarbeitung elektronischer Gesundheitsdaten für die in Kapitel IV des Entwurfs genannten Zwecke. Dabei fällt auf, dass die Sekundärnutzung nicht als direkte Ableitung aus der Primärnutzung verstanden wird, sondern ausdrücklich auch elektronische Gesundheitsdaten umfassen kann, die eigens für die Zwecke der Sekundärnutzung erhoben werden (Artikel 2). Dazu will passen, dass die in Artikel 33 genannten „Mindestkategorien elektronischer Daten für die Sekundärnutzung“ nicht den in Artikel 5 genannten „Prioritären Kategorien personenbezogener elektronischer Gesundheitsdaten für die Primärnutzung“ entsprechen, sondern insgesamt 15 Kategorien (mit Unterkategorien) beinhalten, die von elektronischen Patientenakten (Buchstabe a) bis zu elektronischen Gesundheitsdaten mit Verbesserungen verschiedener Art (…) (Buchstabe o) reichen. Mit elf Einträgen ähnlich lang ist die Liste möglicher Zwecke für die Sekundärnutzung, wohingegen eine Definition von berechtigten Nutzerkreisen gänzlich fehlt. Die Gruppe der Dateninhaber schließlich – derjenigen also, die Daten für die Sekundärnutzung bereitstellen sollen - umfasst ebenfalls einen denkbar großen Kreis, nämlich jede natürliche oder juristische Person, bei der es sich um eine Organisation oder Einrichtung im Gesundheits- oder Pflegesektor handelt oder die Forschungsaktivitäten hinsichtlich dieser Sektoren durchführt sowie (unter bestimmten Voraussetzungen) Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union (Artikel 2).

Klarheit schaffen! Angesichts derart weit gefasster Datenkategorien, Nutzungszwecke und Inhabergruppen fallen einige Unschärfen im Verordnungsentwurf auf. Zum Ersten wird innerhalb der Datenkategorien nicht zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten differenziert. Zum Zweiten fehlt eine spezifische Zuordnung von Datenkategorien zu Dateninhabern. Damit bleibt unklar, wann beispielsweise die personenbezogenen Daten einer natürlichen Person in deren eigenem Zuständigkeitsbereich verbleiben oder aber in den Besitz einer anderen natürlichen oder juristischen Person übergehen; ob es mehrere Dateninhaber für dieselben Gesundheitsdaten geben kann; welchen Effekt Verarbeitungsverfahren wie die Pseudonymisierung oder Anonymisierung auf eine Dateninhaberschaft haben usw. Zum Dritten fehlen Bestimmungen zu den Rechten natürlicher Personen hinsichtlich der Sekundärnutzung (analog zu Artikel 3 in Abschnitt 1 zur Primärnutzung). Zum Vierten werden die Anonymisierung und Pseudonymisierung von Daten als Bereitstellungskriterium für die Sekundärnutzung zwar benannt (Artikel 44), dabei bleibt jedoch u.a. offen, wer diese Techniken in welchem Verarbeitungsschritt anwenden soll.

Angesichts des geplanten Umfangs und der genannten Unschärfen werden die in Artikel 36 ff. genannten Zugangsstellen für Gesundheitsdaten vor immensen Herausforderungen stehen, die Sekundärnutzung organisatorisch umzusetzen. Umso sinnvoller erscheint es, auch bei der Sekundärnutzung auf Vorhandenem aufzubauen. Dabei sieht die deutsche Gesetzgebung bereits heute vor, dem Forschungsdatenzentrum gem. § 303d SGBV nicht nur die Abrechnungsdaten aller gesetzlich Krankenversicherten zu übermitteln, sondern auch Daten aus der ePA, die Versicherte zu Forschungszwecken freiwillig freigegeben haben (§ 363 SGB V). Die Bundeszahnärztekammer regt an, diesen Weg weiter zu beschreiten und das Forschungsdatenzentrum zur Zugangsstelle für Gesundheitsdaten i. S. d. Verordnungsentwurfes zu bestimmen. Dabei sollten die in Deutschland bereits geltenden Regelungen zu den Aufgaben, Nutzungsberechtigten, Gebührenregelungen und zur Vertrauensstelle Berücksichtigung finden.

Besonders mit Blick auf die nachgelagerte Nutzung der zum Zwecke der Primärnutzung erhobenen Daten gem. Artikel 5 des Verordnungsentwurfs (Sekundärnutzung im eigentlichen Sinn) regt die Bundeszahnärztekammer an, das bereits definierte Verfahren der Datenspende als freiwillige Übermittlung von Daten aus der patientengeführten ePA auszuschöpfen und die dort geltenden Maßstäbe an alle Anträge auf Datennutzung anzulegen.


Für die Sekundärnutzug sollten nach Auffassung der Bundeszahnärztekammer folgende Eckpunkte berücksichtigt werden:

  • Es bedarf der Einwilligung einer natürlichen Person, um ihre personenbezogenen elektronischen Gesundheitsdaten gem. Artikel 5 des Verordnungsentwurfs der Zugangsstelle für Gesundheitsdaten zu übermitteln.
  • Liegt die Einwilligung zur Sekundärnutzung der eigenen personenbezogenen elektronischen Gesundheitsdaten vor, werden die Daten aus der ePA Patient an das Forschungsdatenzentrum übermittelt.
  • Zahnärztinnen und Zahnärzten sind keine Dateninhaber im Sinne des Verordnungsentwurfs bzw. sie sind nicht verpflichtet, die im Rahmen der Primärnutzung registrierten Daten für eine Sekundärnutzung zur Verfügung zu stellen.
  • Geschäftsgeheimnisse privater Unternehmen und geistiges Eigentum müssen geschützt werden.
  • Daten, die Rückschlüsse auf einzelne Einrichtungen oder Angehörige von Gesundheitsberufen zulassen, müssen pseudonymisiert bzw. anonymisiert werden.
  • Dopplungen bei der Datenerhebung und Datenübermittlung müssen vermieden werden.
  • Zusätzlich zum Nutzungszweck muss der Kreis der Nutzungsberechtigten für die Sekundärnutzung definiert werden.
  • Antragsteller müssen die Gemeinwohlorientierung ihrer Sekundärznutzung nachweisen.
  • Es darf keine Genehmigungsfiktion für nicht fristgerecht bearbeitete Nutzungsanträge geben.

Zusammenfassung

Die Bundeszahnärztekammer unterstützt das Ziel, einen europäischen Gesundheitsdatenraum zu errichten, in dem elektronische Gesundheitsdaten als Informationsquelle für eine vernetzt organisierte Versorgung genutzt und so zusammengeführt werden, dass Wissenschaft und Forschung davon profitieren. Damit die Prinzipien einer patientenorientierten Versorgung und gemeinwohlorientierten Forschung gewahrt werden, muss die Primärnutzung zu Versorgungszwecken an erster Stelle stehen. Erst an zweiter Stelle kann die daraus abgeleitete Sekundärnutzung stehen. Der Erfolg eines europäischen Gesundheitsdatenraums wird auch davon abhängen, dass die Umsetzung auf bereits vorhandenen Regeln und Strukturen aufbaut und dass Kommission und Mitgliedstaaten in geteilter Verantwortung handeln. Der Diskurs über einen europäischen Gesundheitsdatenraum gehört in die Mitte der Gesellschaft – mit breiter Beteiligung der Parlamente und Zivilgesellschaften!

Zahnärztinnen und Zahnärzte werden sich für eine aktive Unterstützung nur dann gewinnen lassen, wenn sie - angesichts knapper Personal- und Finanzressourcen - für den EUGesundheitsdatenraum nicht mit neuen Aufgaben oder Kosten belastet werden. Der Fokus sollte deshalb auf Gesundheitsdaten liegen, die für den konkreten Behandlungskontext relevant, strukturiert, interoperabel und automatisiert verarbeitbar sind. Bürokratische und finanzielle Negativauswirkungen für die Zahnarztpraxen müssen vermieden und ggf. berücksichtigt werden!

Der Verordnungsentwurf für einen europäischen Gesundheitsdatenraum definiert den Rechtsrahmen für die Primärnutzung und Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten und verortet in diesem auch die EHR-Systeme als ein zentrales Element. Für die konkrete Umsetzung in Deutschland sollten die bereits vorhandenen Strukturen und Ausbaustufen der Telematikinfrastruktur und der elektronischen Patientenakte (ePA) für die Primär- und Sekundärnutzung genutzt und weiterentwickelt werden.

Die Bundeszahnärztekammer favorisiert das Konzept einer Primärnutzung im Sinne einer Behandlungsdokumentation im gemeinsamen Zugriff aller Mitbehandelnden. Zu diesem Zweck könnte die bisherige ePA weiterentwickelt werden und außerdem die Funktion einer patientengeführten Akte mit Kopien der persönlichen elektronischen Gesundheitsdaten vorsehen. Um die Akzeptanz bei Zahnärztinnen und Zahnärztinnen sicherzustellen, sollte die Pflicht zur Registrierung auf den konkreten Behandlungsfall und hier auf strukturierte und interopable Daten von klinischer Relevanz beschränkt werden.

Mit Blick auf die Sekundärnutzung fallen die zahlreiche Unschärfen im Verordnungsentwurf auf, z. B. hinsichtlich der Datenkategorien, Nutzungszwecke und Inhabergruppen. Dabei könnte der Rückgriff auf Bewährtes für mehr Klarheit sorgen: in Deutschland ließe sich das Forschungsdatenzentrum Gesundheit zur Zugangsstelle für Gesundheitsdaten ausbauen. Die bereits existierenden Regelungen zu den Aufgaben, Nutzungsberechtigten, Gebührenregelungen und zur Vertrauensstelle könnten und sollten bestehen bleiben. Um ein aufwandsarmes und datenschutzrechtlich sicheres Verfahren zu gewährleisten, sollte die Übermittlung von personenbezogenen Gesundheitsdaten gem. Artikel 5 des Verordnungsentwurfs ausschließlich über die patientengeführte ePA organisiert werden. Patienten und Patientinnen behalten so die Hoheit über ihre Daten. Zudem muss sichergestellt sein, dass eine Sekundärnutzung nur nach einem positiv beschiedenen Genehmigungsverfahren und ausschließlich durch forschende Institutionen möglich ist.


Zahnärztekammern der Länder
Positionen und Statements