Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) vertritt die gesundheits- und professionspolitischen Interessen des zahnärztlichen Berufsstandes in Deutschland und Europa. Damit ist sie die einzige Berufsvertretung aller in Deutschland arbeitenden Zahnärztinnen und Zahnärzte. Ihr oberstes Ziel ist der Einsatz für ein freiheitliches, zukunftsorientiertes Gesundheitswesen. Sie fördert eine fortschrittliche, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Zahnheilkunde, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Dabei ist sie dem Gemeinwohl verpflichtet.
Gemäß ihrer Satzung ist der Schutz der freien Berufsausübung der Zahnärztinnen und Zahnärzte oberstes Ziel der Bundeszahnärztekammer. Dazu tritt sie u. a. für geeignete Rahmenbedingungen für die Erbringung zahnmedizinischer Leistungen ein. Diese Rahmenbedingungen ergeben sich u. a. aus dem Berufs- und Kammerrecht auf Bundes- wie auf Landesebene, aber auch direkt aus der Ausgestaltung des Gesundheitssystems.
I. Aktueller gesellschaftspolitischer Kontext
Aufgrund einer sich dramatisch verschärfenden demographischen Situation sehen sich die Sozialversicherungssysteme mit Finanzierungsfragen und die Arbeitsmärkte mit einem nie da-gewesenen Fachkräftemangel konfrontiert. Gesellschaft und Politik stehen daher vor wichtigen politischen Weichenstellungen. In dieser kritischen Situation findet planmäßig im September 2025 die kommende Bundestagswahl statt. Der zahnärztliche Berufsstand und allem voran die Bundeszahnärztekammer muss sich daher rechtzeitig mit ihren (standes-)politischen Forderungen auch zu diesen Fragen positionieren. Vor diesem Hintergrund hat der Vorstand der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) im Rahmen seiner Klausurtagung 2024 in Münster/Westfalen die dargestellten Fragestellungen beraten und mögliche Lösungsansätze auch unter Hinzuziehung externer Expertise diskutiert.
II. „Mehr Eigenverantwortung in der reformierten Dualität“ - Zukunft der privaten Zahnheilkunde im Kontext gesellschaftspolitischer Veränderungen
Grundlage des gesellschaftspolitischen Systems in Deutschland ist die „soziale Marktwirtschaft“, ein gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Leitbild, dessen Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden. Es geht also darum, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden. Im deutschen Gesundheitssystem findet dieses Konzept seinen Niederschlag im sog. „dualen Krankenversicherungssystem“.
Der Begriff des dualen Krankenversicherungssystems beschreibt Krankenversicherungssysteme, die gesetzliche und private Absicherungsmöglichkeiten für den Krankheitsfall bieten. Das duale Krankenversicherungssystem in Deutschland sieht für bestimmte Personengruppen die Möglichkeit vor, eine private Krankenversicherung (PKV) in Form einer Krankheitskostenvollversicherung als Alternative (Substitut) zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abzuschließen.
Stand der aktuellen Diskussion
Die Diskussion zur Neuausrichtung der Sozialversicherungssysteme ist im Wesentlichen durch zwei sich diametral gegenüberstehende Denkrichtungen geprägt: Zwischen Verstaatlichung der gesamten Gesundheit im Sinne eines einheitlichen Versicherungssystems (siehe BM Lauterbach vom 27. Mai 2024 im Zusammenhang mit der Bürgerversicherung, der Pflegeversicherung) und der vollständigen Privatisierung von Gesundheitsleistungen (z. B. der Zahnheilkunde, siehe hierzu BILD-Zeitung vom 24. April 2024: „Experten-Plan: Zahnarzt selbst zahlen!“).
Vereinfacht gesprochen geht es um die Frage, entweder die Einnahmen zu steigern (z. B. durch Steuer- und Beitragserhöhungen) oder/und die Ausgaben zu senken (z. B. durch Ausgliederung von GKV-Leistungen).
Aus der Sicht des Vorstandes der BZÄK gilt es, Lösungsansätze zu entwickeln, die sich z. B. mit den folgenden Fragestellungen auseinandersetzen könnten:
- Erhöhung des Steuerzuschusses zur GKV-Finanzierung?
- Einführung anderer/weiterer Steuerungselemente (z. B., BEMA-Zuschuss, Kontaktpauschale/neue Praxisgebühr bei einem (Zahn)Arztkontakt etc.)?
- Entwicklung von Konzepten zur (Teil-)Ausgliederung der Zahnmedizin aus der GKV, ggf. bei gleichzeitiger Pflicht zur Versicherung?
- Konzepte einer Ausweitung des befundorientierten Festzuschuss-Systems auf weitere Bereiche der Zahnmedizin, bei gleichzeitigem Entfall des Zuzahlungsverbotes (z. B. Endo)?
- Einführung einer pauschalen Selbstbeteiligung (analog Schweden)?
- Mögliche positive Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz/Optionen der Hebung des „Gesundheitsdatenschatzes“?
Eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems ist essentiell für die Zahnmedizin der Zukunft. Die vorstehend skizzierten Überlegungen müssen wegen der richtungsweisenden Bedeutung der Bundestagswahlen 2025 jetzt angestellt werden! Hierzu wird die BZÄK die enge Abstimmung mit den anderen relevanten zahnärztlichen Organisationen suchen.
Fazit: BZÄK-Leitbild der „reformierten Dualität“ 2.0
Die BZÄK setzt sich mit der Frage erforderlicher Reformschritte der Sozialversicherungssysteme und insbesondere des dualen Krankenversicherungssystems schon seit einigen Jahren konstruktiv kritisch auseinander. Bereits 2013 hat die Bundeszahnärztekammer die damalige Diskussion über eine Bürger- bzw. Einheitsversicherung zum Anlass genommen, in Zusammenarbeit mit dem Verband der privatärztlichen Verrechnungsstellen (PVS) das Modell einer sog. „reformierten Dualität“ zu erarbeiten. Auf dieses Konzept hat sich die BZÄK in den Folgejahren in ihrer politischen Arbeit gestützt, u. a. zuletzt im Rahmen ihrer Forderungen zur Bundestagswahl 2021 sowie im Rahmen ihrer Klausurtagung 2023 .
Der Blick über die Grenzen zeigt, dass in Ländern mit Einheitssystemen die medizinische Versorgung oft deutlich schlechter ist als in Deutschland: lange Wartezeiten, hohe Zuzahlungen und häufig ein kleineres Leistungsangebot. Es ist daher die Überzeugung des Vorstandes der BZÄK, dass die Alternative deswegen nur heißen kann: Beide Systeme – GKV und PKV - müssen gestärkt und fit für die Zukunft gemacht werden. Den Weg dorthin ebnet aus Sicht des Vorstandes der BZÄK ein System der „Reformierten Dualität 2.0“, ein System, in dem die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger ein größeres Gewicht erhält, die Grundversorgung durch eine nachhaltige Reform auf der Einnahme- wie der Ausgabenseite gleichzeitig qualitativ auf einem angemessenen Niveau erhalten bleibt. Im Sinne einer Stärkung der Eigenverantwortung im Rahmen der reformierten Dualität wird die BZÄK ihre wesentlichen Forderungen in Richtung der Bundestagswahl 2025 schärfen.
III. Fachkräftemangel: Nachhaltige Maßnahmen der Gewinnung und Sicherung gemeinsam fördern („Code of Conduct“)
Ein weiterer Schwerpunkt der Klausurtagung 2024 war die Situation am Arbeitsmarkt und die damit verbundenen Fragen der Fachkräftegewinnung und -sicherung in und für Zahnarztpraxen. In den kommenden Jahren ist von einem deutlichen Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland bis 2040 auszugehen.
Noch dramatischer sind die Vorhersagen für das medizinische Fachpersonal und speziell für den Bereich der zahnmedizinischen Fachangestellten, für den die vorliegenden Daten einen jetzt schon extrem hohen Engpassindikator aufweisen .
Unter der Überschrift „ohne Tabus und Denkverbote“ hat der BZÄK-Vorstand multiple Fragen und Optionen sowohl im Zusammenhang mit der Fachkräftegewinnung wie auch -sicherung diskutiert.
Dazu gehörten u. a. allgemein-politische Forderungen, wie die Möglichkeit zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen in den Zahnarztpraxen sowie andere Optionen einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik zur Unterstützung von Menschen bei der Integration in Arbeit. Weitere Diskussionspunkte betrafen die Begrenzung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie die verbesserte Nachwuchsgewinnung durch verbesserte Berufsorientierung und Stärkung der dualen Ausbildung. Auch muss über die Beseitigung von Frühverrentungsanreizen nachgedacht und die Diskussion um die sogenannte „Rente ab 63“ schnellstmöglich beendet werden. Vielmehr ist sogar über eine Anhebung des Renteneintrittsalters zu diskutieren.
Da absehbar ist, dass der erhebliche Fachkräftebedarf trotzdem nicht gedeckt werden kann, ist ergänzend zu prüfen, wo die Praxen von Aufwand befreit werden können, um so Personal für wichtigere Aufgaben freizumachen. Hierher gehören aus Sicht des Vorstandes der BZÄK z. B. Möglichkeiten einer Automatisierung in den Bereichen Abrechnung, medizinische Dokumentation, Patientenverwaltung sowie Praxisorganisation und -verwaltung. Dabei geht der Vorstand der BZÄK davon aus, dass unterstützende Tätigkeiten direkt am und mit dem Patienten auch in Zukunft Aufgabe der (zahnmedizinischen) Fachkräfte bleiben müssen. Als relevante gestalterische Momente in den Zahnarztpraxen verbleiben nach Ansicht des Vorstandes der BZÄK vor allem das Gehalt, flexible Arbeitszeiten als Angebot sowie eine verstärkte Einbindung in Strategie- und Entscheidungsprozesse der Zahnarztpraxis. Zudem zeigen Befragungen, dass Personal eher länger als geplant arbeiten würde, wenn es frei bestimmen könne, wie viel Einbindung praktisch gewünscht ist.
Eine weitere Aufgabe, der sich der Berufsstand zusätzlich zu stellen hat, ist die Nutzung der Chancen einer gezielten Fachkräfteeinwanderung nach und weniger Abwanderung aus Deutschland. Auf der Ebene der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde hierzu 2010 der „WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel” (Globaler Verhaltenskodex zur internationalen Anwerbung von Gesundheitspersonal) verabschiedet. Die rechtlich nicht-bindende internationale Vereinbarung hat zum Ziel, das Verständnis und das ethische Management der Rekrutierung von internationalem Gesundheitspersonal durch verbesserte Daten, Informationen und internationale Zusammenarbeit zu stärken. Zentrale Forderung ist, dass die Staaten genügend Gesundheitsfachkräfte ausbilden müssen, um den eigenen Bedarf decken zu können. Nur wenn dies nicht möglich ist und bestimmte Umstände gegeben sind, sollte ein Land ausländisches Fachpersonal aktiv anwerben dürfen. Auch die Zahnärzteschaft hat sich im Jahr 2019 für ethische Grundsätze bei der internationalen Rekrutierung von zahnärztlichem Personal ausgesprochen .
Fazit: Maßnahmen zur Linderung des Fachkräftemangels
Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist aktuell die größte Herausforderung der deutschen Wirtschaft. Im Vorstand der BZÄK besteht daher Einigkeit, dass es nicht nur eines allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Umsteuerns bedarf, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels zu bestehen, sondern auch spezifischer praxisbezogener Maßnahmen, um hier zu spürbaren Verbesserungen zu kommen. Hierzu gehören zunächst die klassischen (tarifpolitischen) Maßnahmen, wie angemessene Gehälter, flexiblere Arbeitszeiten sowie eine verstärkte Einbindung in Strategie- und Entscheidungsprozesse der Zahnarztpraxis.
Der Vorstand kommt als ein konkretes Ergebnis der Klausurtagung darin überein, als Maßnahme zur Stärkung der Konzeption von Personalbindungsmaßnahmen einen „Code of Conduct“ im Rahmen einer „AG Münsteraner Erklärung“ zu erarbeiten und diesen aktiv in den zahnärztlichen Berufsstand und die Politik zu tragen. Ziel muss es dabei sein, über diese Maßnahmen sowohl die Anwerbung von Fachkräften für die Zahnarztpraxis als auch deren Verbleib zu verbessern.
Im Falle des Recruitings von ZFA im Ausland ist unbedingt die Einhaltung der anerkannten ethischen Standards sicherzustellen. Die Anwerbung muss für die Fachkräfte unentgeltlich und transparent sein. Eine individuelle Unterstützung bei der Berufsanerkennung und bei der Integration in Deutschland ist zu gewährleisten. Angeworbene Fachkräfte müssen in allen Belangen gegenüber inländischen Arbeitskräften gleichgestellt sein.
Der Vorstand der BZÄK wird die in dieser Erklärung aufgeworfenen Fragen und Aufgaben nunmehr konkret angehen, mit dem Ziel, die sich daraus ergebenden Maßnahmen in den Berufsstand und den Bundestagswahlkampf im Jahre 2025 zu tragen.
(Kurzfassung)