Die nichtchirurgische subgingivale Belagsentfernung


Ausschuss Gebührenrecht der Bundeszahnärztekammer


§ 4 Abs. 2 Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ)

 Der Zahnarzt kann Gebühren nur für selbstständige zahnärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht wurden (eigene Leistungen). Für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, kann der Zahnarzt eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies gilt auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte. Eine Leistung ist methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden ist.

§ 6 Abs. 1 GOZ

Selbstständige zahnärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, können entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses dieser Verordnung berechnet werden. Sofern auch eine nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertige Leistung im Gebührenverzeichnis dieser Verordnung nicht enthalten ist, kann die selbstständige zahnärztliche Leistung entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung der in Absatz 2 genannten Leistungen des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte berechnet werden.

Geb.-Nr. 1040 GOZ

Professionelle Zahnreinigung
Abrechnungsbestimmung (1. Satz)
Die Leistung umfasst das Entfernen der supragingivalen/gingivalen Beläge auf Zahn- und Wurzeloberflächen einschließlich Reinigung der Zahnzwischenräume, das Entfernen des Biofilms, die Oberflächenpolitur und geeignete Fluoridierungsmaßnahmen, je Zahn oder Implantat oder Brückenglied.

Geb.-Nrn.4070/4075 GOZ

Parodontalchirurgische Therapie (insbesondere Entfernung subgingivaler Konkremente und Wurzelglättung) an einem einwurzeligen/mehrwurzeligen Zahn, geschlossenes Vorgehen


I.

§ 4 Abs. 2 GOZ bestimmt, dass eine Leistung dann nicht berechnungsfähig ist, wenn sie von der Leistungsbeschreibung einer anderen berechneten Leistung erfasst und in deren Bewertung berücksichtigt wird. Beide Bedingungen müssen erfüllt sein.
Die Geb.-Nr. 1040 GOZ umfasst gemäß nachgelagerter Abrechnungsbestimmung die Entfernung supragingivaler/gingivaler Beläge.

Bereits unter Beachtung anatomisch-topographisch üblicher Bezeichnungen und Anwendung eines korrekten Fachsprachengebrauchs ist die Entfernung subgingivaler Beläge nicht Leistungsbestandteil der Geb.-Nr. 1040 GOZ.
Die Entfernung „supragingivaler“ Beläge erfolgt auf Zahnoberflächen, die nicht von gingivalem Gewebe bedeckt sind. Die Entfernung „gingivaler“ Beläge ist in differenzierender Auslegung zu verstehen als Entfernung von Belägen aus einem makroskopisch unveränderten Sulkus.

Im Unterschied hierzu erfolgt die Entfernung „subgingivaler“ Beläge aus der pathologisch vertieften Zahnfleischtasche von Zahnoberflächen, die durch Tiefenproliferation des Saumepithels mit Verlust an bindegewebigem Attachment einer Instrumentierung zugänglich werden.

In den Leistungsbeschreibungen der Anlage 1 GOZ finden auch andere Regionsbezeichnungen (z.B. „je Kieferhälfte“) Anwendung.

Gleiche Regionsangaben, auch wenn sie zu unterschiedlichen Leistungen erfolgen, besitzen dabei immer gleiche Bedeutung. Während in den Geb.-Nrn. 4070/4075 GOZ von „subgingival“ die Rede ist, lautet eine Regionsangabe in der Geb.-Nr. 1040 GOZ „gingival“. Ein Gleichsetzen dieser Regionsangaben widerspräche der Systematik des Gebührenverzeichnisses, insofern ist von einem Willen des Verordnungsgebers zur Unterscheidung dieser Regionen auszugehen.

Es handelt sich bei der nichtchirurgischen subgingivalen Belagsentfernung auch nicht lediglich um eine besondere Ausführung der Geb.-Nr. 1040 GOZ, die in Anwendung des Steigerungssatzes zu berücksichtigen wäre.

Der Bundesgerichtshof (BGH Az.: III ZR 344/03 vom 13.05.2004) hat in Bezug auf die GOÄ wie folgt entschieden:

„Es ist nicht Aufgabe der Vorschrift (des Steigerungssatzes, Anm. d. Verf.), für eine angemessene Honorierung solcher Leistungen zu sorgen, für die eine Analogberechnung in Betracht kommt… . Ein solches Verständnis nähme dem Arzt die Möglichkeit, den Gebührenrahmen wegen anderer, gleichfalls vorliegender Umstände auszuschöpfen.“

Wenn einem einheitlichen Behandlungsgeschehen auf Grund eigenständiger, unterschiedlicher Zielsetzung mehrere Zielleistungen zugrunde liegen, sind diese gesondert und nebeneinander berechnungsfähig (BGH Az.: III ZR 239/07 vom 5.06.2008, tenoriert).
Da die nichtchirurgische subgingivale Belagsentfernung weder Leistungsbestandteil noch besondere Ausführung der Geb.-Nr. 1040 ist, erübrigt sich eine Betrachtung der Vergütungshöhe.

Auch die Beschlüsse Nr. 55 und Nr. 56 des Beratungsforums von Bundeszahnärztekammer, Privater Krankenversicherung, und der Beihilfe aus Bund und Ländern (Quelle: Bundeszahnärztekammer) bestätigen neben der Geb.-Nr. 1040 GOZ die Entfernung subgingivaler harter und weicher Beläge als selbstständige und analog berechnungsfähige Leistung.


II.

Die S3-Leitlinie „Subgingivale Instrumentierung“ (Stand Oktober 2019) unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde (DGZMK) beschreibt das Leistungsziel der nichtchirurgischen subgingivalen Belagsentfernung und erläutert deren Nomenklatur:

„Die Aufgabe der subgingivalen Instrumentierung besteht in der Entfernung bzw. Disruption des dysbiotioschen Biofilms (‚subgingivale Plaque‘) sowie mineralisierter Ablagerungen (subgingivaler Zahnstein, ‚subgingivale Konkremente‘) von den Wurzeloberflächen, ohne diese offen durch Elevation eines Schleimhautlappens darzustellen.
Diese subgingivale Instrumentierung („geschlossenes Vorgehen“, „geschlossene mechanische Therapie“ (GMT), „subgingivales Debridement“, im anglo-amerikanischen Sprachraum auch „non-surgical periodontal therapy“ oder (historisch) „Scaling and Root Planing“ [SRP] genannt) wird mit Handinstrumenten und/oder mit maschinellen Instrumenten durchgeführt und umfasst ausdrücklich nicht die übermäßige Bearbeitung der Wurzeloberflächen mit gezielter Zemententfernung oder Weichgewebskürettage.“

In einer wissenschaftlichen Betrachtung (Ziffer 4, Auszug, Stand Oktober 2022) nimmt die DG PARO ergänzend Stellung:

„Diese nicht-chirurgische subgingivale Belagsentfernung kann als Initialtherapie im Rahmen der antiinfektiösen Therapie (AIT), der professionellen mechanischen Plaquereduktion (PMPR) oder während der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT, PMPR+) indiziert sein.“
„Die subgingivale Instrumentierung ist vor diesem Hintergrund keine parodontalchirurgische Maßnahme. Ebenso wird die subgingivale Instrumentierung nicht von der professionellen Zahnreinigung erfasst, die ausschließlich auf die Entfernung gingivaler und supragingivaler Beläge abstellt.“
(a.a.O.)

Auf Grund dieser Ausführungen hat sich die Bundeszahnärztekammer mit einer Frage an die wissenschaftliche Fachgesellschaft gewandt:

„Leitliniengemäß (Seite 29) liegt klinisch eine Parodontitis vor, wenn der Verlust an parodontalem Gewebe zu Taschentiefen über 4 mm mit BOP oder Taschentiefen größer/gleich 6mm geführt hat. Es stellt sich uns die Frage, ob und welche therapeutischen Maßnahmen indiziert sind, sofern sich in einem natürlichen Gebiss nur unphysiologische Taschen unter 4 mm finden?“

Die DG PARO antwortet wie folgt (August 2023):

"Patienten mit Taschensondierungstiefen von unter 4 mm mit Bluten auf Sondieren wird die Diagnose Gingivitis zugewiesen. Die Einleitung einer strukturierten Parodontitistherapie ist bei dieser Diagnose nicht indiziert. Ziel therapeutischer Interventionen ist bei diesem klinischen Befund vielmehr, die gingivale Situation des Patienten zu verbessern oder zu stabilisieren. Erforderlich ist deshalb, die Zahnoberflächen wiederholt von harten und weichen Belägen zu befreien. Das umfasst ausdrücklich auch die nicht-chirurgische subgingivale Belagsentfernung, insbesondere auch die Entfernung harter subgingivaler Ablagerungen.
Der Erkrankungsverlauf ist in individuellen Intervallen zu kontrollieren. Die Häufigkeit dieser Maßnahmen richtet sich nach den Ergebnissen der Reevaluation des gingivalen/parodontalen Befundes.
Hyperplastische/-trophe Veränderungen der Gingiva können zusätzlich Gingivektomien oder Gingivoplastiken notwendig machen, um die Hygienefähigkeit für die professionelle sowie die häusliche Reinigung insbesondere im subgingivalen Bereich zu verbessern oder zu ermöglichen."

Mit der vorstehenden Aussage wird in Verbindung mit der wissenschaftlichen Betrachtung klargestellt, dass nicht nur eine leitliniengemäß zu behandelnde Parodontitis der nichtchirurgischen subgingivalen Belagsentfernung bedarf, sondern auch eine durch Gingivitis erkrankte und veränderte Gingiva und dass diese Leistung nicht von der professionellen Zahnreinigung nach der Geb.-Nr. 1040 GOZ erfasst wird.
Infolge einer zu befürchteten Progression der Erkrankung des Zahnhalteapparates ohne therapeutischen Eingriff ist dieses Leistungsgeschehen nachvollziehbar.

Auch wenn zu diesem Zeitpunkt leitliniengemäß noch keine Parodontitis vorliegt, so besteht dennoch eine Notwendigkeit zur Behandlung der Gingivitis, mit der gleichzeitig der Entstehung einer Parodontitis vorgebeugt/entgegengewirkt wird. Die nichtchirurgische subgingivale Belagsentfernung genügt somit der Definition des Bundesgerichtshofes zur medizinischen Notwendigkeit:
Eine Behandlung ist dann medizinisch notwendig, wenn es im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen als wahrscheinlich erachtet werden konnte, dass die geplanten und durchzuführenden Maßnahmen geeignet waren, die Verhinderung oder Verschlimmerung einer Erkrankung, deren Verlangsamung oder Heilung zu bewirken (vgl. BGH, u.a. Az.: IV ZR 133/95 vom 10.07.1996, tenoriert laufende Rechtsprechung).


III.

Gegen die vorstehende gebührenrechtliche und fachliche Einordnung wird die Entscheidung des VG Düsseldorf (Az.: 13 K 5973/12 vom 17.01.2013) angeführt.

Ausweislich der Entscheidungsgründe beruhte das Urteil des VG Düsseldorf auf der richterlichen Lektüre eines klinischen Wörterbuchs und ohne Hinzuziehung eines zahnärztlichen Sachverständigen. Ebenfalls ohne Mitwirkung eines zahnärztlichen Sachverständigen bestätigte das OVG Nordrhein-Westfalen (Az.: 1 A 477/13 vom 21.02,2014) in einem Beschluss (kein Urteil) die Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Das zahnärztliche Gebührenrecht ist spezifisch und erfordert unabdingbar zahnärztlichen Sachverstand, der von einem Richter nicht zwingend erwartet werden kann und darf.

Folgerichtig stellt der Bundesgerichtshof (Az.: VI ZR 204/14 vom 13.01.2015) fest:

„Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Tatrichter, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten darf, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Dies ist in dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend dargetan.“

Der die Zulassung der Berufung ablehnende Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen ist ebenfalls geprägt von unzutreffender topographischer Zuordnung der Zahnoberflächen und daraus folgend einem inadäquaten Fachsprachengebrauch.

Beide Auffassungen sind aus zahnmedizinischer und gebührenrechtlicher Sicht weder zitierfähig noch -würdig.

Andere Urteile bestätigen die analoge Berechnungsfähigkeit der nichtchirurgischen subgingivalen Belagsentfernung neben der Geb.-Nr. 1040 GOZ:

„Denn nach der Leistungslegende der Gebühren-Nr. 1040 GOZ umfasst die professionelle Zahnreinigung das Entfernen der supragingivalen/gingivalen Beläge auf Zahn- und Wurzeloberflächen, einschließlich Reinigung der Zahnzwischenräume, das Entfernen des Biofilms, die Oberflächenpolitur und geeignete Fluoridierungsmaßnahmen, je Zahn oder Implantat oder Brückenglied. …  Die Leistung nach der Gebührenziffer 1040 GOZ umfasst danach allerdings nicht das Entfernen von subgingivalen Belägen.“ (VG Stuttgart Az.: 3 K 3921/12 vom 13.02.2013)

„Auch ist das Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Zedent Leistungen erbracht hat, die nicht vom Gebührentatbestand der professionelllen Zahnreinigung erfasst sind, sondern darüber hinausgehen. So wurden nach Bekunden der Zeugen Dr. … und …, an deren Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, Konkremente entfernt. Da Konkremente den subgingivalen Bereich betreffen, sind sie nicht vom Gebührentatbestand der Nummer 1040 umfasst, der sich ausschließlich auf den supragingivalen Bereich erstreckt, also auf oberhalb des Zahnfleischsaums befindlichen Zahnstein.“ (AG Oldenburg Az.: 7 C 7199/12 (X) vom 23.08.2012)

„Die Berechnung der Geb.-Nr. 2130 GOZ analog für die Behandlung der Zähne 21-28, 31-36, 38, 41-48 am 21.02.2012 und der Zähne OK, 31-36, 38, 41-48 am 27.08.2012 ist nicht zu beanstanden. Die vorgenommene Entfernung subgingivaler Beläge wird nicht von der Geb.-Nr. 1040 GOZ erfasst; die Geb.-Nr. 1040 GOZ erfasst das Entfernen supragingivaler/gingivaler Beläge. Die Entfernung subgingivaler Beläge unterfällt nicht den Geb.-Nrn. 4070, 4075 GOZ. Die Geb.-Nrn. 4070. 4075 GOZ erfassen eine paradontalchirurgische Therapie, bei der über die Belagentfernung hinaus ein Abtrag von Wurzelelementschichten, eine Wurzelglättung und ein Ausschälen des entzündlich infiltrierten Bindegewebes erfolgen. Die hier vorgenommene subgingivale Belagentfernung stellt keinen solchen chirurgischen Eingriff dar.“
(AG Celle 13 C 1449/13 5.2 vom 11.11.2014, im vorstehenden Sinn auch VG Kassel Az.: 1 K 1035/17.KS vom 19.02.2019)


IV.

Die nichtchirurgische subgingivale Belagsentfernung ist im Sinne § 4 Abs. 2 GOZ eine selbstständige zahnärztliche Leistung, die nicht der Geb.-Nr. 1040 GOZ unterfällt und neben dieser berechnungsfähig ist.

Es handelt sich um eine regelungsbedürftige Lücke, die gemäß § 6 Abs. 1 GOZ durch analoge Berechnung der nicht beschriebenen Leistung zu schließen ist.


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