Eingliederung eines festsitzenden Retainers

Berücksichtigung einer besonderen Ausführung nach § 4 Abs. 2 GOZ


Ausschuss Gebührenrecht der Bundeszahnärztekammer


Berechenbarkeit nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
vom 26. Februar 2021 (Az.: BVerwG 5 C 7.19)

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Eingliederung des festsitzenden Retainers eine besondere Ausführung der Retention sei und daher nicht neben den Kernpositionen berechnet werden könne. Neben den kieferorthopädischen Kernpositionen 6030 bis 6080 GOZ ist die Eingliederung eines fest-sitzenden Retentionsgerätes danach nicht zusätzlich berechenbar.

I. Urteilskritik

Das Urteil überzeugt weder fachlich noch gebührenrechtlich.

  1. Zunächst enthalten die Leistungsbeschreibungen der Geb.-Nrn. 6030 bis 6080 GOZ keinen entsprechen-den Abrechnungsausschluss.

    Zwar enthält der Gebührentext den Hinweis „Die Maßnahmen …umfassen alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention …innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten.“. Damit soll aber nicht die Nebeneinanderberechnung der Kernpositionen neben der Retainereingliederung ausgeschlossen werden. Vielmehr verfolgt die Regelung das Ziel, im Falle der Eingliederung eines festsitzenden Retentionsgerätes, die erneute Berechnung der Kernposition auszuschließen.

    Die hiervon zu unterscheidende Berechnungsfähigkeit anderer selbständiger Leistungen wird vielmehr durch folgende Formulierung in der den Kernleistungen nachgeordneten Abrechnungsbestimmung geregelt: „Neben den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 sind Leistungen nach den Nummern 6190 bis 6260 nicht berechnungsfähig.“
    Da diese Abrechnungsbestimmung abschließend formuliert ist, ist eine Ausdehnung auf darüber hinausgehende Leistungen, namentlich auf die Eingliederung eines festsitzenden Retentionsgerätes, nicht möglich. (so z.B. AG Hamburg-Barmbek, Az. 815 C 200/06 zur GOZ 1988)

    Bekräftigt wird dies durch die Bundesregierung in der Begründung des Kabinettsentwurfes, in der es heißt: „Der vierte Absatz der Abrechnungsbestimmung stellt klar, dass neben den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 die Leistungen nach den Nummern 6190 bis 6260 nicht berechnungsfähig sind. Damit können die übrigen Leistungen des Abschnitts G sowie diagnostische Leistungen außerhalb dieses Abschnitts (z. B. Abformungen, Röntgen) neben den Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 berechnet werden.“

    Aus diesem Grund sind alle nicht ausdrücklich genannten selbständigen kieferorthopädischen Maßnahmen neben den Kernpositionen berechenbar. Unstreitig gilt dies z. B. für die Geb.-Nrn. 6000 bis 6020 oder 6100 ff. GOZ. Aus den genannten Gründen muss dies auch für die Eingliederung eines festsitzenden Retentionsgerätes gelten.
     
  2. Die Eingliederung eines festsitzenden Retentionsgerätes ist zudem kein methodisch notwendiger Bestandteil der Kernpositionen 6030 bis 6080 GOZ, sodass die zusätzliche Berechnung auch nicht durch § 4 Absatz 2 GOZ ausgeschlossen wäre. Für eine Leistung, die ein methodisch notwendiger Einzelschritt einer im Gebührenverzeichnis aufgeführten Zielleistung ist, kann der Zahnarzt eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die im Gebührenverzeichnis aufgeführte Zielleistung eine Gebühr berechnet. Wann eine Leistung „methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung“ ist, definiert § 4 Absatz 2 Satz 4 wie folgt: Eine Leistung ist methodisch notwendiger Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung (Zielleistung) umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt worden ist. Erforderlich ist daher, dass zum einen die Leistungsbeschreibung der „Zielleistung“ ausdrücklich die andere Leistung zu ihrem Bestandteil macht. Der Verordnungsgeber hat dies in den von ihm beabsichtigten Fällen in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. (vgl. z. B. Allgemeine Bestimmung Ziffer 1 zum Abschnitt E: Die primäre Wundversorgung (z. B. Reinigen der Wunde, Glätten des Knochens, Umschneidung, Tamponieren, Wundverschluss ohne zusätzliche Lappenbildung, gegebenenfalls Fixieren eines plastischen Wundverbandes) ist Bestandteil der Leistungen nach Abschnitt E und nicht gesondert berechnungsfähig.)

    Die Eingliederung eines Lingualretainers ist in der Leistungsbeschreibung nicht zum Bestandteil der Kernpositionen gemacht worden. Zwar heißt es hier „Die Maßnahmen …umfassen alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention …“ Maßnahmen zur Retention im Sinne der Kernpositionen sind neben den erforderlichen Verlaufskontrollen jedoch nur Leistungen, die nicht über die Aushändigung und das Einsetzen eines herausnehmbaren Gerätes hinausgehen. Dies folgt zwingend aus der vom Verordnungsgeber vorgesehenen Berechnungsfähigkeit weiterer kieferorthopädischer Leistungen.
     
  3. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt dies zwar, umschifft die gebührenrechtlichen Konsequenzen aber, indem es den festsitzenden Retainer kurzerhand als „besondere Ausführung“ der Retention qualifiziert und annimmt, damit sei die zweite Voraussetzung, nämlich die „Berücksichtigung in der Bewertung“ nicht mehr erforderlich. § 4 Absatz 2 GOZ soll – durchaus nachvollziehbar – eine Doppelberechnung von Leistungen verhindern. Aus der Formulierung von § 4 Absatz 2 GOZ wird deutlich, dass der Verordnungsgeber nicht zwischen „Leistungsbestandteil“ und „Besondere Ausführung“ unterscheiden wollte, sondern in beiden Fällen eine Berechnung ausschließen wollte, wenn die Leistung von einer anderen, berechneten Gebühr inhaltlich wie wirtschaftlich bereits erfasst ist. Aus diesem Grund muss auch die besondere Ausführung einer Leistung in der Bewertung der Leistung berücksichtigt worden sein. Das ist stets dann nicht der Fall, wenn die Vergütung des möglichen Leistungsbestandteils außer Verhältnis zur Vergütung der vermeintlichen Zielleistung steht. Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wie der Honorierungsvergleich zwischen der Geb.-Nr. 6030 GOZ und Geb.-Nr. 2698 GOÄ eindrucksvoll belegt.
    Wann dies der Fall ist, wird in § 4 Absatz 2 Satz 4 näher erläutert. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Berücksichtigung in der Bewertung der Leistung sei zwar bei Leistungsbestandteilen geboten, nicht aber bei besonderen Ausführungen, ist erkennbar verfehlt.
     
  4. Eine verfassungsrechtliche Überprüfung dieser Auslegung bleibt abzuwarten.
     

II. Konsequenzen

Aus den dargelegten Gründen hält die Bundeszahnärztekammer an der Auffassung fest, dass gebührenrechtlich eine gesonderte Berechnung der Eingliederung eines festsitzenden Retainers neben den Kernpositionen zulässig ist. Es ist jedoch möglich, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auch auf die Rechtsprechung der unteren Verwaltungsgerichte wie auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung Einfluss hat. Lediglich aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt die Bundeszahnärztekammer die Berücksichtigung des Mehraufwandes der Eingliederung eines festsitzenden Retainers bei der Gebührenbemessung der jeweiligen Grundleistung (GOZ Nrn. 6030 bis 6080) nach § 5 oder durch eine Vereinbarung nach § 2 GOZ. 


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