Patientenorientierung
Die Rolle des Patienten hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Nicht nur im unmittelbaren Verhältnis zwischen Zahnarzt und Patient.
Die Entwicklungen im Gesundheitswesen sind durch eine deutliche Patientenorientierung gekennzeichnet. Sichtbare Zeichen dafür sind u.a. die Beteiligung von Patientenvertretern im Rahmen des gemeinsamen Bundesausschusses und die Verabschiedung eines Patientenrechtegesetzes durch den Bundestag. Gesundheitspolitische Entscheidungen werden ohne die Berücksichtigung der Patientenbelange nicht mehr akzeptiert und bedürfen deswegen einer besonderen Berücksichtigung. Auch in medizinischen Forschungsarbeiten werden Therapiefolgen, wie der Patient sie wahrnimmt (patient-reported outcomes) erfasst. Aus Sicht der evidenzbasierten Medizin/Zahnmedizin spielen neben der externen Evidenz und der klinischen Erfahrung des Behandlers die Patientenpräferenzen eine maßgebliche Rolle.
Kommunikation und Aufklärung
Die Kommunikation mit dem Patienten ist immer eine Interaktion, die nicht nur der Aufklärung des Patienten dient, sondern dem Behandler notwendige Erkenntnisse über die Perspektive des Patienten vermittelt.
Die o.g. Veränderungen innerhalb der Gesellschaft spiegeln sich in der Interaktion zwischen Zahnarzt und Patienten im Versorgungsgeschehen wider. Die partizipative Entscheidungsfindung (shared decision making) ist heute ein Grundpfeiler im komplexen Entscheidungsprozess sowohl in der ärztlichen als auch der zahnärztlichen Praxis (Klingenberger, Kern und Micheelis 2006). Das Berufsrecht misst der Aufklärung des Patienten einen hohen Stellenwert zu. Im Rahmen dieser Aufklärung hat der Zahnarzt den Patienten über Befund und Diagnose, mögliche Therapie und Therapiealternativen, über Risiken der Behandlung, aber auch über Risiken einer nicht durchgeführten Behandlung sowie über die Kosten aufzuklären. Die Aufklärung bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf Leistungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch darüber hinaus.
Die Aufklärung erfolgt im Rahmen eines individuellen Gespräches zwischen Zahnarzt und Patient. Unabhängig von den gestiegenen Gesundheitskompetenzen der Patienten ist nach wie vor von einer Wissensasymmetrie zwischen dem Zahnarzt (als Experten) und dem Patienten (als Laien) auszugehen. Diesem Umstand hat der Zahnarzt im Rahmen seiner Aufklärungsmaßnahmen Rechnung zu tragen und seine Informationen patientenverständlich darzustellen. Nur auf Grundlage der ausführlichen Aufklärung kann ein informierter Konsens hergestellt werden und damit eine Behandlungseinwilligung des Patienten erfolgen.
Sprechende Zahnmedizin schafft Vertrauen
Aufklärung im Rahmen des zahnärztlichen Gespräches in patientenverständlicher Sprache und mit Empathie ist eine wesentliche Grundlage für das, für den Therapieerfolg so wichtige, Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient. Sprechende Zahnmedizin ist somit aus Sicht der Bundeszahnärztekammer nicht nur ein rechtliches Erfordernis, sondern die wesentliche Grundlage für das Vertrauensverhältnis und die Herstellung der notwendigen Compliance bzw. Adhärenz – gemeinsam mit dem Patienten. Sprechende Zahnmedizin bedeutet somit, sich auf die psychische und soziale Situation einzustellen, sowie mit zielgerichteter Ansprache positiv und dauerhaft das Mundgesundheitsverhalten zu beeinflussen (Schneller, Mittermeier, Schulte und Micheelis 1990).
Darüber hinaus verdeutlicht die Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) „Einstellung und Bewertung der Bevölkerung zur zahnärztlichen Versorgung in Deutschland“, dass der Zahnärzteschaft innerhalb der Bevölkerung insgesamt ein sehr positives Ansehen zugesprochen wird und die soziale Zahnarztbindung in allen Altersgruppen sehr hohe Werte erzielt (Micheelis und Süßlin 2012). Dem eigenen Zahnarzt werden insbesondere beim Erklären der Behandlung und beim Eingehen auf den Patienten hohe Werte bei der Befragung zugeordnet. Letztendlich ist dies auch ein Ergebnis der ausführlichen Kommunikation zwischen Zahnarzt und Patient.
Sprechende Zahnmedizin ist erfolgreich
Exemplarisch zeigen sich die Erfolge der sprechenden Zahnmedizin in der deutlichen Verbesserung der Mundgesundheit der Patienten: Aufklärung des Patienten über die Sprechende Zahnmedizin steht am Anfang der Verhaltensformung und führt über mehrere Stufen zur Verhaltensbeeinflussung, welche von großer Bedeutung für die Verbesserung der Mundgesundheit ist. Dabei ist die Krankheitsvorbeugung durch ein verbessertes Mundgesundheitsverhalten auch volkswirtschaftlich sinnvoll und kostensparend (Ziller und Micheelis 2002).
Die individuelle Aufklärung und das beratende Gespräch haben ein hohes präventives Potential.
Insbesondere im Bereich der Kariesprophylaxe ist dies über viele Jahre erfolgreich gelebt worden. Hinzu kommt die Sensibilisierung der gesundheitlichen Risikowahrnehmung in der breiten Bevölkerung. Die Ergebnisse der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V; Jordan und Micheelis 2016) belegen den kontinuierlichen Kariesrückgang über mehrere Jahrzehnte. Zudem haben sich das mundgesundheitsbezogene Bewusstsein und das Mundgesundheitsverhalten deutlich verbessert: Im Ergebnis leben heute viele Menschen Jahrzehnte lang mit nur geringen Gesundheitseinbußen und die Krankheitslast verdichtet sich erst im hohen Alter (Morbiditätskompression). Erstmalig gehen auch die Erkrankungslasten bei den - insbesondere schweren - Parodontalerkrankungen zurück.
Mögliche Erklärungsmuster liegen im Bereich der dargestellten sozialwissenschaftlichen Ergebnisse: verbessertes Mundgesundheitsverhalten, hohes mundgesundheitsbezogenes Bewusstsein , hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung, starke Kontrollorientierung bei der Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienstleistungen. Die Zunahme der eigenen Zahnzahl steht in einer direkten Beziehung zu diesen Ergebnissen. Statistisch ist weiterhin auffällig, dass, wer die PZR häufiger in Anspruch nimmt, auch weniger Parodontitis und weniger schwere Erkrankungsformen besitzt.
Perspektiven der sprechenden Zahnheilkunde
Wir beobachten Defizite beim vorhandenen Wissen in der Bevölkerung im Bereich der Parodontalerkrankungen (Deinzer et al. 2008). Diese chronische Erkrankung in der Zahnmedizin imponiert als sog. silent disease und tritt damit in der Symptomwahrnehmung für Erkrankungsrisiken weniger in Erscheinung. Hier gilt es, zukünftig die Krankheits- bzw. Risikowahrnehmung durch weitere Aufklärung, deutlich zu erhöhen.
Die Bundeszahnärztekammer hat mit ihrer Entscheidung, eine Awareness-Kampagne zu den Parodontalerkrankungen vorzubereiten und durchzuführen, auf diese Herausforderungen reagiert. So soll auf der Bevölkerungsebene, die Risikowahrnehmung erhöht werden, um im individuellen Zahnarzt-Patientengespräch die Früherkennung und ggf. die notwendige Therapie einzuleiten.
Um gerade bei chronischen Erkrankungen wie Karies und Parodontitis die Compliance bzw. Adhärenz des Patienten herzustellen, bedarf es einer kontinuierlichen und wiederholten Ansprache im Rahmen der vertrauensvollen Zahnarzt-Patientenbeziehung.
Es gibt erste Belege dafür, dass eine motivierende Gesprächsführung (motivational interviewing) bei Parodontitispatienten die subjektive Überzeugung fördern kann, auch selbst etwas gegen ihre Erkrankung und für ihre Mundgesundheit tun zu können (Selbstwirksamkeit; Woelber et al. 2016). Dies führt zu der Forderung, im Rahmen der systematischen Parodontaltherapie den Aufklärungs- und Gesprächsanteil zu erhöhen.
Fazit
Die derzeitigen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen fördern leider nicht, trotz aller politischen Deklarationen über die Rolle und Bedeutung des Patienten im Gesundheitswesen, die Aspekte der Beratung und der Sprechenden Zahnmedizin.
Gesprächsanteile, in denen Beratung und Motivierung erfolgen und so schließlich Compliance bzw. Adhärenz erzeugt wird, sind derzeit sowohl im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung als auch der privaten Gebührenordnung untergewichtet und unzureichend abgebildet. Hier bedarf es eines gesundheitspolitischen Richtungswechsels. Gleichzeitig sollten in der zahnärztlichen Aus- und Fortbildung Erkenntnisse der Gesundheitspsychologie zur Kommunikation mit dem Patienten stärker vermittelt werden.
Literatur
Klingenberger, D., Kern, A.O., Micheelis,W.: Zahnärztliche Kommunikationsmuster bei der Versorgung mit Zahnersatz – Ergebnisse einer bundesweiten Evaluationsstudie zum Festzuschuss-System in der gesetzlichen Krankenversicherung. IDZ-Information 2/2006, Institut der Deutschen Zahnärzte: Köln
Schneller, Th., Mittermeier, D. ,Schulte am Hülse, D., Micheelis, W.: Mundgesundheitsberatung in der Zahnarztpraxis. Deutscher Ärzte-Verlag: Köln,1990
Deinzer, R., Micheelis, W., Granrath, N. und Hoffman, T.: Parodontitisrelevantes Wissen in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativerhebung, IDZ-Information 1/2008, Institut der Deutschen Zahnärzte: Köln.
Jordan, A. R. und Micheelis, W. (Hrsg).: Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie, Deutscher Zahnärzteverlag: Köln, 2016.
Micheelis, W. und Süßlin, W.: Einstellungen und Bewertungen der Bevölkerung zur zahnärztlichen Versorgung in Deutschland. Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage 2011, IDZ-Information 1/2012, Institut der Deutschen Zahnärzte: Köln.
Woelber, J. P., Spann-Aloge, N., Hanna, G., Fabry, G., Frick, K., Brueck, R., Jähne, A., Vach, K. und Ratka-Krüger, P.: Training of Dental Professionals in Motivational Interviewing can Heighten Interdental Cleaning Self-Efficacy in Periodontal Patients. Front Psychol, 2016, 7, 254.
Ziller, S. und Micheelis, W. (Hrsg.): Kostenexplosion durch Prävention? Orale Gesundheitsgewinne im Alter und versorgungspolitische Konsequenzen, Deutscher Zahnärzteverlag DÄV: Köln, 2002.