1689 1690 1691 Stellungnahme | (Zahn-)Medizin | Mundgesundheit und Allgemeingesundheit Wechselwirkungen zwischen Mundgesundheit und Allgemeingesundheit

Wissenschaftliche Erkenntnisse aus Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die Mundgesundheit steht in enger Wechselwirkung mit der Gesundheit des gesamten Körpers steht.


Bundeszahnärztekammer


Diabetes mellitus, Rheuma, chronische Atemwegserkrankungen, Herzinfarkt und Schlaganfall - nicht nur mit diesen Krankheiten steht Parodontitis in Wechselwirkung. Die Folgen der Volkskrankheit Parodontitis reichen weit über den Mund hinaus und werden in ihrer Wirkung oft unterschätzt. Darauf weist die Bundeszahnärztekammer im Rahmen ihrer Aufklärungskampagne hin:
paro-check.de


Die Mundgesundheit ist biopsychosozial determiniert, d. h. sie wird von einer Vielzahl von körperlichen Faktoren (Genetik), Umweltfaktoren (Ernährungsweise, Mundhygieneverhalten), von kognitiven und psychosozialen Aspekten (Bildung, sozioökonomischer Status) beeinflusst.

So ist bspw. der Zusammenhang zwischen einem hohen Tabakkonsum und einem schweren Parodontitis-Verlauf evident. Tabak schwächt die Abwehrkräfte; der Rauch greift das Zahnfleisch an. Damit liegt bei Rauchern die Wahrscheinlichkeit, an Parodontitis zu erkranken, bis zu siebenmal höher als bei Nichtrauchern. Außerdem verschleiert Rauchen ein Symptom, das auch vom Patienten als Alarmzeichen wahrgenommen werden kann: Rauchen verengt die Blutgefäße und unterdrückt dadurch das Zahnfleischbluten. Tabakkonsum erhöht auch das Risiko für Mundhöhlenkrebs erheblich.

Darüber hinaus können altersphysiologische Abbausyndrome, Mangelerscheinungen, eine geschwächte Immunabwehr oder Medikamente Auswirkungen haben.


Wechselwirkungen

Es existieren vielfältige Hinweise dafür, dass Erkrankungen des Mundes einen negativen Einfluss auf die Allgemeingesundheit haben können. Einige Beispiele sollen diese Wechselwirkungen zwischen der Mundgesundheit und der allgemeinen Gesundheit illustrieren:

  • Einerseits haben viele allgemeine Erkrankungen deutliche Auswirkungen auf die Mundhöhle und verstärken das Risiko für Karies und Zahnbett- oder Mundschleimhauterkrankungen. Bei den Wechselwirkungen von Parodontitis mit anderen Erkrankungen steht Diabetes an vorderster Stelle. Eine bereits bestehende Diabeteserkrankung kann Parodontitis verschlimmern. So ist bei Diabetikern im Vergleich zu Nicht- Diabetikern das Risiko, an einer Zahnbetterkrankung zu erkranken, dreimal so hoch. Die hohen Blutzuckerwerte schwächen das Immunsystem; Entzündungen treten häufiger auf und heilen schlechter ab. Eine Parodontitis begünstigt zudem Folgeerkrankungen des Diabetes. Das Risiko beispielsweise für Nierenerkrankungen erhöht sich um das bis zu 8,5-fache. Der Zahnarzt/die Zahnärztin ist nicht selten der/die Erste, der/die Erkrankungen des Körpers an Erscheinungen in der Mundhöhle erkennt.
     
  • Andererseits verstärken entzündliche Erkrankungen in der Mundhöhle das Risiko für bestimmte Allgemeinerkrankungen. Einen massiven entzündlichen Angriff erfährt der Körper durch die Bakterien des Zahnbelags bzw. oralen Biofilms. Sie können zu Zahnbetterkrankungen (Parodontitis) führen. Gelangen die dabei freigesetzten Bakteriengifte in den Organismus, stellen sie ein Risiko für den ganzen Körper dar – auch auf vom eigentlichen Entzündungsherd weit entfernte Regionen. Sie können beispielsweise Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus begünstigen oder eine Verengung der Blutgefäße verursachen, die dann zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen.
     
  • Psychischer Stress oder die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft können die Progredienz der Parodontitis verstärken. Das Zahnfleisch wird anfälliger für Entzündungen. Die Wechselwirkungen: Wie eine schwere Parodontitis zu Komplikationen während der Schwangerschaft führen kann, bewirkt der erhöhte Hormonspiegel in der Schwangerschaft, dass bestehende Entzündungen in der Mundhöhle verstärkt werden. Das Risiko bei Schwangeren für eine Frühgeburt oder eine Niederkunft mit geringem Geburtsgewicht ist erhöht.
     
  • Besteht also eine Zahnbetterkrankung über viele Jahre hinweg, erhöht sich entsprechend die Gefahr einer negativen Wechselwirkung mit dem Organismus. Werden solche Erkrankungen erkannt, sollte eine kausale Parodontaltherapie in der Zahnarztpraxis durchgeführt werden, um weitere Folgeschäden und Wechselwirkungen zu vermeiden.

Häusliche Zahnpflege und Professionelle Zahnreinigung (PZR)

Die tägliche, häusliche Zahnpflege und die regelmäßige Professionelle Zahnreinigung (PZR) in der Zahnarztpraxis sind wichtige Prophylaxemaßnahmen zum Gesunderhalt der Zähne und des Zahnfleisches. Sie können schwerwiegenden Erkrankungen vorbeugen und dienen so der Verbesserung und dem Erhalt der allgemeinen Gesundheit und der Lebensqualität. Leiden Patienten bereits an Allgemeinerkrankungen, wie Diabetes, kann der Krankheitsverlauf durch gesunde Mundverhältnisse günstig beeinflusst werden.


Aufklärung und Information

Für alle Patienten sind Aufklärung und Information sehr wichtig – das gilt natürlich auch für Diabeteserkrankte. Allein in Deutschland haben ca. 7 Mio. Menschen einen dokumentierten Typ-2-Diabetes und 32.000 Kinder und Jugendliche sowie 340.0000 Erwachsene einen Typ-1-Diabetes. Aufgrund steigender Prävalenzen liegt die Zahl der Menschen mit einem dokumentierten Typ-2-Diabetes im Jahr 2021 vermutlich bei 8,5 Mio. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von mindestens 2 Millionen Menschen. Hier gilt es natürlich auch das Duo ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel zu bekämpfen, um einer möglichen Stoffwechselerkrankung vorzubeugen.

Den Zahnärzten und Zahnärztinnen kommt bei der Aufklärung eine besondere Rolle zu. Es sind häufig zahnärztliche Untersuchungen, bei denen sich erste Anzeichen für eine eventuelle Diabeteserkrankung offenbaren. Zahnärzte und Zahnärztinnen sollten in diesem Fall ihren Patienten dazu raten, zum Hausarzt oder zum Diabetologen zu gehen um dies abklären zu lassen. Der zahnmedizinischen Diagnostik kommt im Sinne des Screenings von wichtigen medizinischen Erkrankungen eine zunehmende Bedeutung zu.

Zum anderen ist für Patienten, die wissen, dass sie an Diabetes erkrankt sind, die Aufklärung bedeutend. Die Zahnärzte sollten geeignete Maßnahmen der Mundhygiene aufzeigen, welche die Auswirkungen eines Diabetes positiv beeinflussen können. Umgekehrt sollten aber auch Diabetiker ihren Zahnarzt frühzeitig über ihre Krankheit und ihre Blutzuckerwerte informieren, damit dieser die Behandlung darauf abstimmen kann. Darüber hinaus ist in Abhängigkeit der Schwere der Erkrankung auch eine Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt, Hausarzt oder Diabetologen zu empfehlen.

Die Bundeszahnärztekammer hat deshalb im März 2022 eine digitale Aufklärungskampagne über die Risiken, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten einer Parodontitis gestartet. Im Mittelpunkt der Kampagne steht der sogenannte Paro-Check auf www.paro-check.de . Mit diesem kurzen Test können Patientinnen und Patienten niedrigschwellig online schnell und unkompliziert überprüfen, ob der Verdacht auf eine Parodontitis besteht. Außerdem informiert die Webseite über die Symptome und die Behandlungsschritte einer Parodontitis. Die Kampagne erklärt, dass Parodontitis gut behandelbar ist und eine „Früherkennungsuntersuchung des Zahnfleischs“ in der Zahnarztpraxis hilft, Parodontitis rechtzeitig zu entdecken und damit erfolgreich behandeln zu können.


Fazit für die Praxis

Aufgrund der Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen allgemeinen und oralen Erkrankungen, und hier v. a. zwischen Diabetes und Parodontitis, stellen die Parodontitisprävention, -therapie und Nachsorge ein wichtiges Bindeglied zwischen der Zahnheilkunde und der Diabetologie dar. Die medizinische Kompetenz des Zahnarztes und des zahnärztlichen Teams muss gestärkt werden. Auf Grund dieses Wissens gilt die Empfehlung:

  • Jeder Diabetespatient sollte zum Zahnarzt überwiesen werden, wie auch vice versa, die zahnärztliche Praxis ein Screeningort für Diabetiker und andere Allgemeinerkrankungen sein könnte.
  • Im Rahmen der zahnärztlichen Anamneseerhebung sollten Patienten mit Diabetes mellitus zum Diabetestyp, Dauer der Erkrankung, zu möglichen diabetesassoziierten Komplikationen, zur augenblicklichen Therapie sowie zur Blutzuckereinstellung (HbA1c-Wert) befragt werden, da all diese Faktoren Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Parodontitiserkrankung und deren Verlauf und Schwere nehmen können. Mithilfe des Parodontalen Screening Index (PSI) kann der Zahnarzt den Zustand des Zahnhalteapparates überprüfen.

Derzeit existiert jedoch noch keine belastbare Basis, um überhaupt vom Zahnarzt/von der Zahnärztin zum Diabetologen oder umgekehrt überweisen zu können. Ein erster Schritt der integrativen Kooperation zwischen Zahnärzten und Diabelogen wäre die Einführung eines Verweises auf eine Screeninguntersuchung auf Parodontitis im Diabetespass, um das Bewusstsein für Folge- oder Begleiterkrankungen bei Diabetespatienten zu stärken.

Die zahnmedizinische Perspektive sollte also ein integraler Bestandteil des Diabetesmanagements sein. Die orale Prävention leistet so einen wichtigen Beitrag zur Senkung des allgemeinen Erkrankungsrisikos.


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